Wohl selten ist es einem Menschen gelungen, in der Fremde zu einer solchen Popularität zu gelangen, wie dies bei Hermann Wildpret auf Tenerife der Fall war. Jung und alt kannte und liebte ihn; überall war er gerne gesehen. Für jeden hatte er ein freundliches Wort. Die Kinder wetteiferten miteinander, ihrem "Don Hermano" durch kleine Dienstleistungen Freude zu bereiten. Den Behörden leistete er durch seinen öffentlichen Sinn, sein Wissen und Können die schätzendswertesten Dienste. Unzähligen Besuchern der Insel kam seine gründliche Kenntnis von Land und Leuten vortrefflich zustatten; kein Forscher schied von Tenerife, ohne die Bekanntschaft dieses liebenswürdigen Mannes gemacht zu haben. Zahlreiche Gelehrte haben vor Besteigung des Piks seinen Rat eingeholt; manchen hat er selbst dabei geleitet, z. B. Haeckel.
Hermann Josef Wildpret wurde am 5. Oktober 1834 in Warmbach bei Rheinfelden geboren. Sein Vater Josef Wildpret betrieb dort die Wirtschaft zum Hirschen. Der Knabe war lange Zeit äußerst schwach und kränklich. 1846 siedelte die Familie nach der Vaterstadt Rheinfelden über, wo Hermann mit seinen zwei Brüdern Gustav und Adolf die Gemeindeschule besuchte. Der Vater Wildpret, eine rasche, fortschrittlich gesinnte Natur, nahm an den damaligen freiheitlichen Bestrebungen den lebhaftesten Anteil. Er machte den gegen Luzern gerichteten Freischarenzug unter General Ochsenbein mit, geriet aber in die Gefangenschaft, aus welcher er nur durch Duckmäusertum gründlich haßte, von den Jesuiten bitter verfolgt; sie suchten ihm auf alle Weise zu schaden, was ihnen nur zu gut gelang. Das ging dem wackern Manne tief zu Herzen; das Leben war so keine Freude mehr für ihn. Ein vorzeitiges Ende ließ ihn den Sieg seiner Partei, die Gründung der neuen Eidgenossenschaft, nicht mehr schauen. - All diese Ereignisse machten auf den geistig geweckten Knaben, der von seinem Vater das ungestüme Naturell und den glühenden Fortschrittsdrang geerbt hatte, einen unauslöschlichen Eindruck.
Nach dem Tode seines Vaters wurde Hermann von seinem Onkel, Oberst Müller in Rheinfelden, in das damals neugegründete Pestalozzistift zu Olsberg verbracht, wo er vier Jahre tüchtig in Feld und Wald arbeiten mußte. Nach dreijähriger Lehrzeit als Gärtner in Aarau verbrachte er einige Zeit in Zürich, worauf er sich nach Frankreich wandte, um die französische Sprache zu erlernen. In Besançon erhielt er von dem frühern Direktor des Olsbergerstiftes, Herrn Regierungsrat Lindemann, einen Brief, in welchem ihm dieser mitteilte, daß sein Freund, Herr Hermann Honegger aus Wollishofen, Kaufmann in Santa Cruz auf Tenerife, in der Schweiz weile und auf seiner Rückreise einen jungen Gärtner mitnehmen möchte. Da ein Aufenthalt auf den Kanaren seine schwächliche Gesundheit nur stärken konnte, entschloß sich Wildpret kurzerhand, die Stelle anzunehmen. Im Dezember 1856 reiste er nach Marseille ab, um sich mit Herrn Honegger einzuschiffen. Da erreichte ihn dort die Kunde von dem Ausbruch des Neuenburgerhandels und der mannhaften Entschlossenheit, mit welcher man sich in der ganzen Schweiz für den Krieg rüstete. Auf den eifrigen Vaterlandsfreund machte das tiefen Eindruck, und nur der Umstand, daß sein Begleiter bereits für ihn das Fahrgeld gezahlt hatte, vermochte ihn von der Umkehr abzuhalten.
Wildpret verbrachte nun zwei Jahre in Santa Cruz auf Tenerife als Gärtner des Herrn Honegger. Leider kamen für die Firma schwere Zeiten; das Geschäft mußte aufgegeben werden, und Wildpret hatte sich nach einer anderen Stelle umzusehen. Er zog nach Orotava im Norden der Insel und etablierte sich dort als Handelsgärtner. Seine Hauptaufgabe bestand in der Anlage neuer Gärten; daneben befaßte er sich mit einem ausgedehnten Samenhandel. 1859 heiratete er, da er sich vereinsamt fühlte, eine Spanierin, welche ihm in den vielen Jahren glücklichen Zusammenseins neun Kinder schenkte, von denen drei noch heute leben. Im Jahre 1860 wurde die Stelle eines Gärtners am botanischen Garten in Orotava vakant; sie wurde Wildpret mit einem Gehalt von 1000 Pesetas angeboten, und er nahm sie an. In dieser Stellung verblieb unser Freund vierundreißig Jahre lang, und er hätte sie wohl nohc länger innegehabt, wenn er nicht 1893 vom Gouverneur vor die Alternative gesetzt worden wäre, entweder Spanier zu werden oder seinen Posten als Gärtner am botanischen Garten aufzugeben. Mit Entrüstung wies der stets eifrige Vaterlandsfreund das Ansinnen, die Schweizerfahne zu verlassen, von sich, trat von seinem Amte zurück und widmete sich fortan seiner Familie und seinem privaten Geschäfte. Die letzten Jahre seines Lebens brachte er in Santa Cruz zu. Schon im Frühjahr 1908, als die Rikli-Schrötersche Exkursion nach den Kanaren stattfand, fühlte er sich nicht immer wohl, trotzdem sein Humor stets ein goldener war. Nichtsdestoweniger führte er noch im September 1908 die Gesellschaft deutscher Ärzte, welche die Insel behufs Studium des Klimas wegen event. Erstellung von Sanatorien besuchten, durch den Park des Humboldtkurhauses, den botanischen Garten und die Stadt Orotava. Im Oktober nahmen seine Kräfte ab; am 24. dieses Monats schrieb er scherzhaft in einem Briefe, "daß er vor einigen Tagen geglaubt hätte, bald zur großen Armee abmarschieren zu müssen". Nur vorübergehend erholte er sich wieder; am 19. Dezember schloß er nach kurzer Krankheit sein Auge für immer.
Hermann Wildpret hat auf Tenerife geradezu eine Kulturmission erfüllt. Mit scharfem Blick erkannte er gleich von Anfang an die Gunst des Klimas und des Bodens für pflanzliche Kultur, um mit seltenem Eifer machte er sich an die Aufgabe, Gärten zu schaffen. Die öffentlichen Anlagen in Santa Cruz, Villa de Orotava und Puerto sind durch seine Initiative und unter seiner Leitung entstanden; eine große Anzahl von Privatgärten sind von ihm erstellt, schon bestehende umgeändert worden. Ich erwähne hier bloß den herrlichen Garten des Humboldt-Kurhauses in Orotava mit seiner überreichen Fülle von Palmen und andern tropischen oder subtropischen Baumarten, seinen Bromeliaceen, seinen Staticearten und andern, jeden Naturfreund entzückenden Pflanzen.
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Hermann Wildpret (1834-1908) |
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Verschiedene Pflanzen, die noch unbekannt in den Bergen wuchsen, hat er bestimmt, andere veredelt. Eine Menge einheimischer Spezies sind durch ihn nach andern Erdteilen, besonders Europa, exportiert worden. Viele prächtige Blumen, die heute von unsern Gärtnern auf den Markt gebracht werden, haben wir dem tätigen Manne zu verdanken, beispielsweise die mit schönen roten Schmetterlingsblüten geschmückte Heinekenie (Lotus peliorhynchus), eine reizende Hängepflanze. Aus Dankbarkeit für sein verdienstvolles Wirken haben die Botaniker manche Pflanze nach Wildpret benannt.
Was indessen Wildpret besonders einen berühmten Namen geschaffen hat, ist der botanische Garten von Orotava, kurzweg "botanico" genannt. Dieser Garten wurde 1796 von dem Marquis de Villanueva del Prado gegründet und mit bedeutendem Kostenaufwande angelegt. Die Idee, die ihn dabei leitete, war, die schönsten Gewächse der Tropen darin aufzuziehen und sie , durch Gewöhnung an ein gemäßigteres Klima, zum Verpflanzen nach Europa geeigneter zu machen. Der Platz eignete sich zur Ausführung eines solchen Planes vortrefflich: vorteilhafte Lage, fruchtbarer Boden, reiche Bewässerung. Der Garten versprach große Erfolge. Da kam der Besitzer auf den Gedanken, denselben dem spanischen Staate zu schenken. Dankbar nahmen die Behörden das hochherzige Geschenk an; die Sorge dafür wurd einem benachbarten Gutsbesitzer übertragen, welcher das Wasser des Gartens für seine eigenen Kulturen verwendete. 1831 dienten seine Ländereien dem Kohl- und Kartoffelbau (Mac Gregor). Als Englänger den Garten zu gewinnen suchten, um daraum eine Akklimatisationsstätte für Tiere und Pflanzen zu machen, wurden sie abgewiesen, und der Garten verwildete weiter. Noch 1857 fand Schacht darin Gemüse und Unkraut um die Wette wuchernd. Als Wildpret 1860 die Stelle als Gärtner erhielt, nahm er sofort ein Inventar der vorhandenen Pflanzen auf; es enthielt die Namen von 220 Spezies. Mit Feuereifer machte sich der junge Schweizer an die Arbeit, und 1879, als er einen gedruckten Katalog des Gartens erscheinen ließ, war die Zahl berits auf 2486 gestiegen; ein Drittel der neuen Arten waren durch die Regierung angekauft, die übrigen von Wildpret als lebende Pflanzen beschafft oder aus Samen gezogen worden. Er hat den Markwert dieser Pflanzen auf 4500 Pesetas berechnet; trotz vielen Reklamierens ist ihm diese Summe nie vergütet worden. Öfters mußte er auch monate-, ja jahrelang auf die Auszahlung seines Gehaltes warten. Das Budget des Gartens belief sich in den Jahren 1860-1893 auf 7500 Pesetas: 2000 für den Direktor, 1000 für den Gärtner (Wildpret), 1500 für die Arbeiter, der Rest für Pflanzenkäufe, Dünger, Werkzeug, Bauliches usw. Wildpret hatte während der genannten Zeit acht Direktoren, die weder von Botanik, noch von Pflanzengeographie irgend etwas verstanden; wohl kassierten sie die Summen vom Staate ein, sahen sich aber nicht bemüßigt, auch ihren Untergebenen den wohlverdienten Lohn zu verabfolgen. So kam es, daß die Existenz des Gartens öfters bedroht war; unser Landsmann, der von Anfang an sich die Freiheit vorbehalten hatte, mit Samen und Pflanzen zu handeln und so eher etwas erübrigen konnte, leistete Vorschüsse, um das drohende Verderben abzuwehren oder die armen Arbeiter bezahlen zu können. Als er die Stelle 1893 aufgeben mußte, war ihm der Staat insgesamt 10000 Pesetas schuldig; alle Anstrengungen, das Geld zu bekommen, waren fruchtlos. Heute ruht der wackere Mann im Grabe, und Spanien hat seine Schuld noch nicht getilgt.
Wie lieb muß Wildpret der Garten gewesen sein, daß er bei solchen Verhältnissen 34 Jahre lang aushalten konnte! Er hat ihn gehegt und gepflegt, wie ein Kind; er hat ihn aus dem Nichts emporgehoben und eine herrliche Stätte daraus geschaffen. Unter seiner kundigen Hand ist er ein Garten von größter wissenschaftlicher Bedeutung geworden, ein Muster subtropischer Pflanzenkultur, vom dem alle Besucher mit begeisterten Worten erzählen. Außer dem Pik ist nichts auf der Insel Tenerife so oft und so ausführlich beschrieben worden wie der botanische Garten von Orotava, und stets wird sein Schöpfer rühmend erwähnt. Ich möchte unter den vielen Beschreibungen nur auf diejenige hinweisen, die der treffliche Basler Botaniker Christ in seinem schönen Buche "Eine Frühlingsfahrt nach den Kanarischen Inseln" (S. 164 ff.) gibt. Hunderte von Forschern und Pflanzenfreunden hat der kleine, liebenswürdige Mann durch den Garten geleitet, voller Freude und Stolz, als derselbe unter seiner Hand herrlich gedieh, voll Wehmut, als er nach seinem Weggang vernachlässigt zu werden begann.
Leider mußten auch wir Zeugen sein von dem rasch überhandnehmenden Verfall; herrliche Pflanzen sind wegen Mangel an Pflege zugrunde gegangen; mancherorts wuchert üppiges Unkraut; die Etiketten, mit denen Wildpret seine Pfleglinge versah, sind verschwunden oder verblichen. Man sieht, daß der Garten nicht mehr mit der Liebe gepflegt wird, wie dies von seiten Wildprets geschah. Und daß diese Liebe trotz den üblen Erfahrungen bis zu seinem Tode andauerte, beweist ein Brief vom Sommer 1908, in welchem er seine Freude darüber ausdrückte, daß das Budget des Gartens auf 12000 Pesetas angestiegen sei; er schließt mit den Worten: "Wollte Gott, daß der schöne und interessante Garten nun wieder vorwärts kommen werde, was der beste Wunsch seines alten Gärtners ist."
Aber nicht nur an seinem Garten hing Wildpret mit allen Fasern seines Herzens, zeitlebens hat er auch eine glühende Liebe zu seinem Vaterlande bewahrt. Mit Begeisterung redete er von der schönen Schweiz, die er des öftern besucht hat und deren Schulen er seine Söhne genießen ließ. Man konnte ihm keine größere Freude erweisen, als wenn man ihm von seiner Heimat erzählte, und traurigen Herzens hat er angesichts seines Alters und der nahenden Leiden Verzicht geleistet auf einen nochmaligen Besuch. Und wie er begeistert war für alles Schöne in der Natur, so auch für alles Edle im menschlichen Leben. Keinem, der sich ihm vertrauensvoll nahte, hat er seine Hilfe versagt. Fremde und Einheimische unterstützte er durch seine Kenntnisse und seine Erfahrungen; selbst an Geldopfern ließ er es nicht fehlen. Es war rührend zu sehen, mit welcher Herzlichkeit er mit seinen frühern ergrauten Arbeitern verkehrte und mit welch inniger Liebe alle an ihm hingen.
Wohl liebte unser Landsmann alles Gute und Schöne; das Schlechte aber haßte er von ganzem Herzen. Wenn er von den "Cosas d'España" redete, da flammte sein Auge in wildem Zorne auf, und über manchem Dunkelmann hat er harte Worte gesprochen. Mit Mut und Unerschrockenheit ist er stets gegen Lüge, Verleumdung, Heuchelei, Falschheit zu Felde gezogen. Er war ein eifriger Freund einer vernünftigen, wohl angebrachten Aufklärung; der Same, den er ausgestreut, ist auf guten Boden gefallen.
Alle, die Papa Wildpret kannten, Einheimische wie Besucher der Insel, werden ihm ein gütiges Andenken bewahren. Denn ihn kennen, hieß ihn lieben und verehren.