VIII.

Meine Herren!


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Die wichtigen Vorgänge, welche nach erfolgter Befruchtung der Eizelle zunächst eintreten und welche die individuelle Entwickelung des neuen Organismus einleiten, sind im ganzen Thierreiche im Wesentlichen dieselben. Die menschliche Eizelle verhält sich in dieser Beziehung nach erfolgter Befruchtung ganz wie die Eizelle der übrigen Thiere und in specieller Beziehung genau ebenso wie diejenige der übrigen Säugethiere. Zwar finden zwischen den Säugethieren (mit Inbegriff des Menschen) und den übrigen Thieren mancherlei Differenzen in Bezug auf die ersten embryonalen Entwickelungsvorgänge statt; doch sind diese nur von secundärer und untergeordneter Bedeutung. Es ist sehr wichtig, gerade diesen scheinbar auffallenden Differenzen gegenüber die wesentliche Uebereinstimmung der ursprünglichen Entwickelungs-Processe der Eizelle bei allen Thieren festzuhalten.

Der erste Vorgang, den wir nach erfolgter Befruchtung an der Eizelle der Thiere wahrnehmen, ist sehr merkwürdig, nämlich scheinbar eine Rückbildung: Die Eizelle verliert ihren Kern. Wie bei den meisten (oder allen?) übrigen Thieren, so scheint auch bei allen Säugethieren der Nucleus der kugeligen Eizelle oder das sogenannte "Keimbläschen" mit sammt dem darin eingeschlossenen Keimfleck völlig zu verschwinden und sich aufzulösen, nachdem die Samenfäden durch die Hülle hindurch in das Innere der Eizelle eingedrungen sind und sich hier mit dem Protoplasma derselben, mit dem Dotter vermischt haben. Man betrachtet jetzt diesen viel besprochenen und viel bestrittenen Process als die erste Wirkung der Befruchtung. Der sonderbare Vorgang ist deshalb von dem grössten Interesse, weil nunmehr der individuelle Organismus des Säugethiers uns in der denkbar einfachsten Form vor Augen tritt, die wir überhaupt in der Welt der Organismen finden können.

Die einfachsten von allen Organismen, die wir kennen, und zugleich die denkbar einfachsten Organismen sind die Moneren, meistens mikroskopisch kleine formlose Körperchen, die aus einer homogenen Substanz, einer eiweissartigen oder schleimigen weichen Masse bestehen, Körperchen ohne Structur, ohne Zusammensetzung aus verschiedenen Organen und doch mit allen Lebenseigendschaften des Organismus begabt. Sie bewegen sich, ernähren sich und pflanzen sich durch Theilung fort (Fig. 13). Diese Moneren sind deshalb von grosser Wichtigkeit, weil sie usn für die Lehre von der ersten Entstehung des Lebens auf unserer Erde die sichersten Anhaltspunkte darbieten. Wir werden später noch ihre Bedeutung zu würdigen haben. Hier wollen wir nur einstweilen die höchst merkwürdige Thatsache betonen, dass inder Keimesgeschichte ebenso wie in der Stammesgeschichte der Thier-Organismus seine Entwicklung als structurloses Schleimkügelchen beginnt.

Auch der Organismus des Menschen und der höheren Thiere existirt kurze Zeit hindurch in dieser denkbar einfachsten Form, und seine individuelle Entwickelung nimmt von dieser einfachsten Form ihren Ausgang. Dass unser ganzer Körper in diesem Stadium wirklich eine ganz gleichartige und structurlose Masse, eine weiche Protoplasmakugel ohne Kern darstellt, ist nach den genauesten Untersuchungen der neuesten Zeit nicht mehr zu bezweifeln. Das ganze hoffnungsvolle Menschenkind ist jetzt weiter Nichts als ein einfaches Kügelchen von Urschleim (Fig. 14). Die Hülle ist noch vorhanden, erscheint aber als ein völlig passiver Theil des Eies, der an den activen Entwickelungs-Veränderungen desselben gar keinen thätigen Antheil nimmt. Wir können daher diese Hülle einstweilen bei Seite lassen, und wollen erst später auf die Veränderungen, welche sie nachher erleidet eingehen; für den eigentlichen Entwickelungsprocess selbst ist sie völlig bedeutungslos. Es beschäftigt uns jetzt also bloss der Inhalt der Eikugel, der homogene Dotter, den wir in diesem kernlosen Zustande in Erinnerung an die Monerenform "Monerula" nennen können. In dieser structurlosen Protoplasmakugel bildet sich nach kurzer Zeit von neuem ein Zellenkern. Mitten in dem dunkeln Zellstoff zeigt sich ein heller Fleck, welcher Kugelgestalt annimmt, und bald dem ersten Zellenkern so ähnlich erscheint, dass man ihn mit diesem verwechselt und lange Zeit geglaubt hat, dass das Verschwinden des Keimbläschens nur scheinbar sei. Nun ist also das Ei wieder eine einfache Zelle (Fig. 15), nachdem dasselbe eine Zeit lang den Cytodenzustand dargestellt hat33).

Jetzt beginnt der Process der Vermehrung der Eizelle, indem dieselbe durch wiederholte Theilung in eine grosse Anzahl von Zellen zerfällt. Aus der Einsiedler-Zelle wird eine Zellen-Gemeinde. Das Individuum erster Ordnung erhebt sich dadurch zur zweiten Ordnung. Alle die Zellen, welche aus der wiederholten Theilung der Eizelle hervorgehen, sind anfangs ganz gleich und lassen gar keine Unterschiede erkennen. Man hat diesen Process der vielfach wiederholten Theilung der Eizelle fürher als etwas ganz Besonders aufgefasst und mit dem Namen Furchung oder Dotterklüftung oder Segmentation belegt. Erst viel später ist man zu der Ueberzeugung gekommen, dass dieser scheinbar sehr eigenthümliche Vorgang der Furchung weiter gar nichts ist als die ganz gewöhnliche, oftmals wiederholte Zellentheilung. Sie beginnt damit, dass der neue Zellenkern in zwei Zellen zerfällt. Der Nucleus schnürt sich ein und es entsteht eine Trennungsebene zwischen den beiden Hälften; sie weichen aus einander, und nun sammelt sich der Zellstoff rings um die beiden Kerne an, so dass ich auch mitten durch das Protoplasma hindurch eine Theilungsebene ausbildet. Das Protoplasma zerfällt also nachträglich ebenfalls in zwei Hälften, und die Zellstoffmasse jeder Hälfte sammelt sich rings um den Kern an, der wie ein Anziehungsmittelpunkt auf die Moleküle, auf die kleinen Substanztheilchen des festflüssigen Protoplasma wirkt. Nunmehr ist die ursprüngliche Eizelle in zwei Tocherzellen zerfallen, die ganz gleich sind und innerhalb der unveränderten Hülle neben einander liegen (Fig. 16 A). Derselbe Process wiederholt sich an jeder der beiden Tochterzellen; abermals zerfällt der Kern jeder Zelle in zwei Kerne; die beiden Kerne entfernen sich von einander, und um jeden der beiden neugebildeten Kerne sammelt sich wieder das Protoplasma in der Weise an, dass jede der beiden Zellen in zwei vollständige Zellen zerfällt. Wir haben also jetzt vier Enkelzellen vor uns, welche aus der ursprünglichen Eizelle, der Grossmutterzelle, hervorgegangen sind (Fig. 16. B). In dieser Weise wiederholt sich nun der Process noch viele Male, und es entstehen aus den vier Zellen ganz auf dieselbe Weise acht (Fig. 16 C); aus den acht werden 16, dann 32, 64, 128 u. s. w. (Fig. 16 D). Der ganze Vorgang ist aber, wie ich nochmals hervorheben will, weiter gar Nichts als eine gewöhnliche reguläre Zellentheilung, die sich vielfach wiederholt. Keineswegs ist dieselbe als eine ganz eigenthümliche Erscheinung aufzufassen, wie der ältere Name "Furchung" vermuthen lassen könnte. Warum man sie gerade Furchung nannte, werden wir später bei der Betrachtung des Vogel-Eies sehen, wo sich die Vermehrung-Verhältnisse etwas anders gestalten.

Bei den meisten Thieren verläuft der Furchungs-Process der Eizelle ganz in derselben Weise, wie beim Menschen und den übrigen Säugethieren. Als Beispiel dieser Uebereinstimmung führe ich Ihnen hier die Eifurchung eines kleinen Spulwurmes vor, der in der Lunge unseres gemeinen Grasfrosches sehr gewöhnlich ist, und an dem man dieselbe besonders leicht und klar beobachten kann (Fig. 17). Das Endresultat der Furchung ist auch bei diesen niederen Thieren überall das gleiche, die Bildung von einigen hundert kleinen Zellen, die dicht beisammen liegen, alle völlig gleichartig erscheinen und "Furchungszellen oder Furchungskugeln" heissen. Jede Furchungszelle besteht aus weiter nichts als aus einem Kügelchen von Protoplasma oder Zellstoff und dem davon umschlossenen Zellkern. Eine besondere Hülle um jede der kleinen Kugeln fehlt, obwohl man früher irrthümlich das Vorhandensein einer solchen annahm; die Furchungskugeln sind vielmehr nackte Zellen, wie es ja ursprünglich auch die Eizelle selbst ist. Alle diese Kügelchen liegen dicht an einander und bilden, nachdem der ganze Theilungsprocess abgelaufen ist, zusammen eine grosse Kugel, die aussieht wie eine Brombeere oder Maulbeere. Daher wird dieses Stadium der Entwickelung auch der "Maulbeerdotter" oder die "Morula" genannt (Fig. 16 D). Beim Säugethiere lieght diese solide maulbeerförmige Kugel innerhalb der unveränderten Eihülle, durch ein wenig wässerige Flüssigkeit von ihr getrennt; ebenso bei vielen niederen Thieren. Bei anderen niederen Thieren hingegen, denen von Anfang an eine Eihülle fehlt (wie z. B. bei vielen Schwämmen, Medusen) ist auch die Morula nackt (Fig. 18). Im Wesentlichen sind keine Unterschiede in der Beschaffenheit dieser Morula zwischen den verschiedensten Thierklassen aufzufinden.

Der nächste Schritt der Ontogenese besteht numehr darin, dass sich im Mittelpunkte des brombeerförmigen kugeligen Zellenhaufens eine klare Flüssigkeit anzusammeln beginnt. Ihre Menge ist anfangs gering, wird aber bald grösser und drängt die ZUellen alle an die Oberfläche der Morula. So gestaltet sich die Morula zu einer kugeligen Blase, deren Wand aus einer einzigen Schicht oder Lage von Zellen zusammengesetzt ist. Auch dieser Vorgang wiederholt sich in derselben Weise bei den verschiedensten Thieren. Ueberall sammelt sich eine solche Menge klarer wässeriger Flüssigkeit in der Mitte der soliden Maulbeerkugel an, dass sämmtliche Zellen nach aussen an die Oberfläche getrieben und an die innere Peripherie oder Innenwand der ursprünglichen Eihülle gedrängt werden. Die so entstandene Blase führt den Namen Keimblase, oder genauer Keimhautblase (Vesicula blastodermica); nicht zu verwechseln mit dem "Keimbläschen" (Vesicula germinativa), welches ja der ursprüngliche Kern der Eizelle ist. Wenn wir einen Querschnitt durch diese Keimblase oder Blastoderm-Blase machen, überzeugen wir uns, dass ihre dünne Wand nur aus einer einzigen Zellenschicht gebildet wird; diese Schicht heisst die Keimhaut (Blastoderma). Wenn wir dieselbe von der Fläche betrachten, erscheint sie zierlich und regelmässig vieleckig (meist sechseckig) getäfelt, indem die Zellen durch den gegenseitigen Druck sich zu Vielecken abgeplattet. haben (Fig. 19). Die hellen kugeligen Kerne treten deutlich aus dem dunkeln körnigen Protoplasma der Zellen hervor. Die Keimblase hat bei den meisten Säugethieren durchschnittlich einen Durchmesser von einem Millimeter (oder 1/2 ´´´), während ursprünglich der Durchmesser der Eizelle nur 1/5 Mm. (oder 1/10 ´´´) betrug. Diese Vergrösserung wird verursacht durch die Flüssigkeit, welche von aussen her in die Keimblase eindringt; sie wird aufgesaugt aus dem Schleim des mütterlichen Fruchtbehälters, innerhalb dessen das Säugethier-Ei liegt.

Der Erste, der die Keimblase des Säugethieres entdeckte, war Baer; die erste genauere Beschreibung und Abbildung derselben wurde von Bischoff gegeben. Wenn wir nun diese kugelige Keimblase des Säugethieres unter dem Mikroskope von allen Seiten recht genau betrachten, so bemerken wir an einer Stelle ihrer Oberfläche einen kreisrunden Fleck (Fig. 19 c). Es betheiligen sich nämlich nicht alle Zellen, die aus der Furchung hervorgehen, an der Bildung der Keimblasen-Wand, wie viele Schriftsteller angegeben haben. Vielmehr bleibt ein kleiner Theil von diesen ursprünglichen Furchungszellen im Inneren zurück und legt sich an einer bestimmten Stelle der Keimblase an die innere Fläche der Keimhaut an. Dadurch entsteht der kleine kreisrunde Fleck, der bei Betrachtung der Keimblase von der Fläche an einer bestimmten Stelle deutlich hervortritt (Fig. 20 c) und bei durchfallendem Lichte unter dem Mikroskope dunkler als die übrige Keimblase, bei auffallendem Lichte hingegen trübe weisslich erscheint. Dreht man die Keimblase so, dass der Fleck am Range erscheint (Fig. 19. c), so sieht man, dass der innere Zellenhaufen fast halbkugelig in den Hohlraum der Blase vorspringt. Später wird er flacher und endlich scheibenförmig. Dieser dunkle kreisrunde Fleck wird Fruchthof (Area germinativa) genannt, und ist von der grössten Bedeutung, weil dieses Stückchen allein die erste Anlage des bleibenden Säugethierkörpers darstellt, während der ganze übrige Abschnitt der Keimblase später nur als ein überflüssiger Anhang des Körpers (als Dottersack oder Nabelblase) erscheint, der nicht in den bleibenden Säugethierkörper selbst mit eingeht. Nur diejenigen Zellen also, welche an dieser Stelle sich ansammeln und den Fruchthof bilden: erstens die inneren Zellen, die als unveränderte Reste der Furchungszellen zu betrachten sind, und zweitens die äusseren Zellen, welche in der Keimhaut selbst über diesen inneren Zellen liegen und sie bedecken, liefern das zellige Baumaterial, aus welchem allein der Körper des Säugethieres sich aufbaut; die übrigen Zellen, welche den bei weitem grössten Theil des Umfangs der Keimblase bilden, nehmen an der Körperbildung selbst keinen Antheil34).

Während die kugelige Keimblase anfänglich in ihrer ganzen Ausdehnung (mit Ausnahme des Fruchthofes) nur aus einer einzigen dünnen Schicht oder Lage von Furchungszellen bestand, wird sie nunmehr bald zweischichtig. Es wächst nämlich die innere dunklere Zellenschicht des Fruchthofes (Fig. 20, 21) ringsherum an ihrem Rande weiter, indem sich ihre peripherischen, am Rande der Scheibe gelegenen Zellen kräftig vermehren. In Folge dessen breitet sie sich immer weiter an der inenren Fläche der Keimblase aus (Fig. 22, 23), wächst inwendig an derselben rings herum (Fig. 24) und bildet schliesslich eine vollständige innere Auskleidung derselben, eine zweite innere Zellenschicht. Gleichzeitig findet eine lebhafte Vermehrung und Wucherung der Zellen des Fruchthofes statt, und zwar in beiden Schichten derselben, in der Richtung der Dicke (in der Richtung des Radius der kugeligen Keimblase); in Folge dessen ist nunmehr jede der beiden scheibenförmigen Schichten aus mehreren Zellenlagen zusammengesetzt.

Auf diese Weise entsteht aus der ursprünglich einschichtigen oder einblätterigen Keimhautblase ein doppelschichtiges oder zweiblätteriges Blastoderm. Gleichzeitig läst sich die Keimhaut von der anliegenden Eihülle ab, indem sich zwischen beiden etwas Flüssigkeit ansammelt. Diese Eihülle, das Chorion oder die Zona pellucida, wird jetzt sehr dünn und zart. Während sie bisher glatt war (Fig. 20, 21), beginnt sie nun sich mit kleinen structurlosen Zotten oder Warzen zu bedecken, die von aussen aufgelagert werden (Fig. 22-24). Jede der beiden Schichten oder Blätter der Keimhautblase besteht in dem ganzen Umfange der Kugel nur aus einer einzigen Zellenlage; soweit aber der dunkle, kreisrunde, scheibenförmige Fruchthof im Blastoderm reicht, besteht jede der beiden Schichten aus mehreren, über einander liegenden Zellenlagen. Die Zellen jeder Schicht sind unter sich von Anfang an völlig gleich. Hingegen sind die Zellen der beiden Schichten bereits wesentlich unterschieden. Die Zellen der inneren Schicht (oder des sogenannten Entoderms) sind grösser, dunkler, weicher; ihr Zellstoff färbt sich durch Carmin dunkelroth und enthält viele Fettkörnchen; sie sind wenig von den ursprünglichen Furchungskugeln verschieden (Fig. 25 i). Die Zellen der äusseren Schicht hingegen (oder des Exoderms) sind kleiner, heller, fester; ihr Zellstoff wird druch Carmin nur schwach hellroth gefärbt und enthält nur wenige kleine Fettkörnchen; sie unterschieden sich viel mehr von den ursprünglichen Furchungszellen (Fig. 25 e).

Mit der Ausbildung oder Differenzirung dieser beiden zelligen Blastoderm-Schichten, der "Blätter der Keimblase", welche man leicht mechanisch von einander trennen kann, ist ein höchst wichtiger Fortschritt zur fundamentalen Constitution des Säugethier-Körpers gegeben. Diese beiden Zellenschichten sind nämlich nichts Anderes als dei bedeutungsvollen beiden primären Keimblätter, welche für sich allein die erste Grundlage des Körpers sämmtlicher Thiere (mit einziger Ausnahme der Protozoen) zusammensetzen und alle später denselben aufbauenden Zellen erzeugen. Die innere, weichere und dunklere Zellenschicht ist das innere primäre Keimblatt oder das Darmblatt, das "vegetative Keimblatt" (Entoderma oder Gastrophyllum, auch Lamina gastralis oder mucosa genannt). Die äussere, festere und hellere Zellenschicht ist das äussere primäre Keimblatt oder das Hautblatt, das "animale Keimblatt" (Exoderma oder Dermophyllum, auch Lamina dermalis oder serosa genannt).

In diesem zweiblätterigen Entwickelungs-Stadium verlassen wir jetzt den Säugethier-Keim auf einige Zeit und wenden uns zur Betrachtung des Vogel-Eies. Dieses ist, wie Sie bereits wissen, deshalb von besonderer Bedeutung, weil wir ja bezüglich vieler Entwickelungs-Verhältnisse sehr häufig genöthigt sind, unsere Kenntnisse zunächst vom Ei der Vögel zu entlehnen. Das Ei der Säugethiere ist viel schwieriger zu erlangen und zu untersuchen, und aus diesen praktischen, nebensächlichen Gründen viel seltener genau verfolgt. Hingegen können wir das Hühner-Ei in jedem Augenblick erhalten und durch künstliche Bebrütung desselben Schritt für Schritt jedes Stadium der Veränderungen verfolgen, welche der daraus hervorgehende Embryo im Laufe seiner Entwickelung erleidet. Das Vogel-Ei unterscheidet sich, wie wir schon früher gesehen haben, von dem kleinen Säugethier-Ei wesentlich durch seine sehr bedeutende Grösse, indem sich innerhalb des ursprünglichen Dotters oder des Protoplasma der Eizelle eine sehr bedeutende Masse von fettreichem Nahrungsdotter ansammelt, die gelbe Masse, welche wir täglich als Eidotter verzehren. Um zu einem richtigen Verständniss des Vogel-Eies zu gelangen, welches vielfach ganz falsch gedeutet worden ist, müssen wir dasselbe in seinen allerjüngsten Zuständen aufsuchen und von Anfang seiner Entwickelung an im Eierstock des Vogels verfolgen. Da sehen wir denn, dass das ursprüngliche Vogel-Ei eine ganz kleine und nackte, einfache Zelle mit Kern ist, weder in der Größe noch in der Form von der ursprünglichen Eizelle der Säugethiere und anderer Thiere verschieden. Wie bei allen Wirbelthierenk wird die ursprüngliche Eizelle oder das Ur-Ei (Protovum) von einer zusammenhängenden Schicht kleinerer Zellen ringsum bedeckt, wie von einer Haut oder einem Follikel. Diese Epithel-Hülle ist der sogenannte Graaf´sche Follikel, welcher rings um den Eidotter die strukturlose Dotterhaut ausscheidet.

Sehr frühzeitig nun beginnt das kleine Ur-Ei des Vogels eine Masse von Nahrungsstoff durch die Dotterhaut hindurch in sich aufzunehmen un dzu dem soganennaten "gelben Dotter" (dem Eigelb oder Dottergelb) zu verarbeiten. Dadurch verwandelt sich das Ur-Ei in das Nach-Ei (Metovum), welches vielmals grösser ist, als das Ur-Ei, aber dennoch nur eine einzige, colossal vergrösserte Zelle darstellt35). Durch dei Ansammlung der mächtigen gelben Dottermasse in dem Inneren der Protoplasma-Kugel wird der darin enthaltene Kern (das "Keimbläschen") ganz an die Oberfläche der Dotterkugel gedrängt. Hier ist derselbe von einer geringen Menge sogenannten "weissen Dotters" umgeben, d. h. von klarem weicherem Zellstoff, der nicht die gelben "Dotterkörner" enthält, welche das ganze Dottergelb zusammensetzen. Die kleine, den Eikern umgebende Masse des weissen Dotters oder das "Dotterweiss" bildet aussen auf der gelben Dotterkugel, an einer Stelle der Oberfläche, ein kleines kreisrundes weissen Fleckchen, den sogenannten "Hahnentritt" oder die Narbe (Fig. 26, b). Von dieser Narbe aus geht ein fadenförmiger Strang von Dotterweiss (d) bis in die Mitte der gelben Dotterkugel radial hinein und bildet hier eine kleine centrale Kugel von Dotterweiss (Fig. 26 d,). Diese ganze weisse Dottermasse ist aber nicht scharf von dem gelben Dotter getrennt, der auf erhärteten Eiern eine schwache Andeutung von concentrischere Schichtung zeigt (Fig. 26 c). Wie an diesem kugeligen gelben Vogel-ei im Eierstock, so findet man auch an dem gelegten Hühner-Ei, wenn man die Eischale öffent und dan Dotter herausnimmt, an dessen Oberfläche eine kreisrunde kleine weissen Scheibe, die der Narbe oder dem Hahnentritt entspricht, obgleich sie etwas ganz Anderes ist. Die ganze gelbe dottermasse ist völlig bedeutungslos für die Körperbildung des entstehenden Hühnchens, indem dieselbe nur als Nahrungsstoff von dem sich entwickelnden Embryo verbraucht, als Proviant verzehrt wird. Die klare voluminöse Eiweissmasse, welche den gelben Dotter des Vogel-Eies umgibt und ebenso die feste Kalkschale des letzteren, werden erst innerhalb des Eileiters um das bereits befruchtete Vogel-Ei herum gebildet.

Nachdem die Befruchtung des Vogel-Eies innerhalb des mütterlichen Körpers erfolgt ist, findet auch hier, ganz wie beim Säugethier, eine wiederholte Spaltung der ursprünglichen Eizelle statt, nur mit dem Unterschiede, dass diese Vermehrung der Eizelle hier nicht durch Theilung, sondern durch Knospung geschieht36). Nur die weisse Narbe oder der Hahnentritt wird von dieser Spaltung betroffen, indem zunächst das darin eingeschlossene Keimbläschen in zwei neue Kerne zerfällt. Durch fortgesetzte Spaltung entstehen daraus 4, 8, 16, 32, 64 Kerne u. s. w., von denen sich jeder mit einer kleinen Quantität des weissen Dotters umgiebt. Das Endresultat ist, dass sich auch hier wieder eine kleine kreisrunde Scheibe bildet, die aus lauter kleinen Zellen besteht und dem Fruchthofe oder der Area germinativa des Säugethier-Eies entspricht. Der gelbe Dotter, die Hauptmasse des Vogel-Eies wird gar nicht von diesem Furchungsprocess betroffen, sondern bleibt unverändert. Garade dieser Umstand war die Ursache, dass man den Vermehrungs-Process der Eizelle überhaupt "Furchung" nannte. Diese Bezeichnung wird deshalb gewählt, weil auf der äusseren Oberfläche der mächtigen Eizelle an der Stelle, wo das Keimbläschen liegt, sich im Beginne der Entwickelung zunächst oberflächliche feine Furchen bilden. Diese Furchen, die bei oberflächlicher Betrachtung zuerst als Kreuzfurchen sich zeigen, dann als Sternfurchen und spätger als concentrische Ringfurchen, alle diese Furchen, welche dem Furchungsprocesse zu seinem unpassenden Namen verhalfen, sind weiter nichts als die Trennungsgrenzen zwischen den neu entstehenden Zellen, den sogenannten "Furchungskugeln". Sowohl bei den Eiern der Vögel und der nächst verwandten Reptilien, wie bei den Eiern aller anderen Thiere, die einen mächtigen Nahrungsdotter besitzen (z. B. der Cephalopoden oder Tintenfische) beschränkt sich die Furchung auf die Stelle der Eizelle, wo das Keimbläschen liegt, während der Nahrungsdotter selbst ganz unberührt davon bleibt. Gerade deshalb müssen wir diese Spaltungs-Art des eies, die sogenannte partielle Furchung als Knospung auffassen, während die totale Furchung des Säugethier-Eies eine wiederholte wahre Theilung ist.

Das Resultat der Furchung ist übrigens immer schliesslich dasselbe, mag sie nun total oder partiell sein. Immer entsteht ein Haufen von gleichartigen Zellen, welche sich in die beiden primären Keimblätter differenziren. Ueberhaupt ist der Unterschied zwischen totaler und partieller Furchung, auf den man früher grosses Gewicht legte, im Grunde von ganz untergeordneter Bedeutung, und lediglich durch die Ernährungs-Verhältnisse des Embryo, der sich aus der Eizelle entwickelt, bedingt. Die ursprüngliche Furchungs-Weise des Thier-Eies ist die totale. Sie findet sich bei allen niedersten und bei der grossen Mehrzahl der niederen Darmthiere vor, z. B. bei den Schwämmen, Corallen, vielen Würmern (Fig. 17), den Sternthieren, den niederen Gliederthieren und vielen Wirbelthieren (Amphioxus, Amphibien, Säugethiere, Mensch). Alle diese Eier mit totaler Furchung heissen Ovula holoblasta und besitzen keinen Nahrungsdotter. Hingegen entwickelt sich ein Nahrungsdotter bei höheren Thieren verschiedener Klassen, z. B. bei Insecten, höheren Spinnen und Crustaceen, Cephalopoden und den meisten Wirbelthieren (Fischen, Reptilien, Vögeln). Alle diese Eier, bei denen der Embryo vom Nahrungsdotter zehrt, haben partielle Furchung und heissen Ovula meroblasta. Nicht selten haben von zwei ganz nahe verwandten Thieren (bisweilen selbst von zwei Species einer Gattung, z. B. Gammarus) das eine totale, das andere partielle Furchung37).

Die partielle Furchung des befruchteten Vogel-Eies geschieht noch innerhalb des Eileiters, und an dem "gelegten" Eie, welches aus dem Eileiter herausgetreten ist, und welches wir für unsere Brütmaschinen benutzen, ist bereits die Narbe in die vielzellige Keimscheibe verwandelt. Da finden wir zwar ebenfalls noch, wie beim unbefruchteten Eie, oben auf der gelben Dotterkugel einen kleinen kreisrunden weissen Fleck, einen sogenannten Hahnentritt oder Cicatricula. Aber hier besteht diese weisse Keimscheibe oder Narbe bereits aus zwei Schichten von Zellen, während sie an dem unbefruchteten Hühner-Ei nur einen kleinen Theil einer einzigen colossalen Zelle bildete. Wenn man das gelegte Hühnerei öffnet, findet man diese weisse Keimscheibe, welche die wahre Keimhaut oder das Blastoderm ist, immer ganz oben auf dem gelben Dotter. Das rührt daher, dass ihre Substanz specifisch leichter ist als der gelbe Dotter. Von der Keimscheibe aus zieht sich (wie bei der unbefruchteten Eizelle) ein weisser Dotterstrang radial in das Innere der gelben Dotterkugel hinein und verbindet sich dort mit einer centralen weissen Dotterkugel, die von dem gelben Dotter verschieden ist. Alle diese weissen und gelben Dottertheile bilden zusammen den Nahrungsdotter, der vom Embryo als Proviant verzehrt wird und zu seiner Ernährung dient. Die Keimscheibe oder der Blastodiscus (welcher dem "Fruchthofe" der Säugethiere homolog ist) stellt allein den Bildungsdotter dar, aus dessen Zellen sich der Vogel-Körper aufbaut38).

Wenn wir die Keimscheibe oder den Blastodiscus des gelegten Vogel-Eies genau unter dem Mikroskope untersuchen, so finden wir dieselbe aus zwei kreisrunden, über einander liegenden Zellenschichten oder Blättern zusammengesetzt, die wir leicht mechanisch von einander trennen können. Diese beiden Blätter sind ganz dieselben zwei primären Keimblätter, die wir vorher am Blastoderm der Säugethiere unterschieden haben. Die Zellen des inneren oder vegetativen Keimblattes (des Entoderms) sind dunkler, weicher, körniger und fast doppelt so gross, als die helleren festeren und durchsichtigeren Zellen des äusseren oder animalen Keimblattes, des Exoderms (Fig. 25, S. 150).

Anfänglich ist die Keimscheibe des Vogel-Eies, welche dem Fruchthofe des Säugethier-Eies entspricht, auf die Gegend der früheren Cicatricula beschränkt. Später aber breitet sie sich ringsum mächtig aus, indem die Zellen ihrer beiden Blätter mächtig wuchern und sich vermehren. Das kreisrunde Darmblatt wird grösser und grösser und umwächst endlich später die gelbe Dotterkugel ganz. Eigentlich ist also nunmehr auch das Vogel-Ei, gleich dem Säugethier-Ei, in eine geschlossene, kugelige Keimblase umgewandelt, von der nur ein kleiner Theil, der ursprüngliche Fruchthof, zur Bildung des Embryokörpers selbst verwendet wird. Daraus ergiebt sich zugleich, dass die ganze Keimblase des Säugethier-Eies (- nach Abzug des Fruchthofes -) mit ihrem wasserklaren Inhalte dem ganzen gelben und weissen Nahrungsdotter des Vogel-eies sammt seiner Darmblatt-Hülle entspricht. Jene wie diese liefern nur Nahrungsmittel für den Embryo, dessen Körper sich in beiden Fällen bloss aus den Zellen des zweiblättrigen Fruchthofes oder der Keimscheibe aufbaut.

Wir wollen jetzt den Embryo der Säugethiere und Vögel, der höchst entwickelten Thierklassen, in diesem zweiblättrigen Zustande kurze Zeit verlassen und einen vergleichenden Seitenblick auf die Ontogenese der niederen Thiere werfen. Die Furchung ist hier meistens total und endigt (wie bei den Säugethieren) mit der Bildung der maulbeerförmigen Zellenkugel oder Morula (Fig. 18, S. 146). Aus dieser Morula geht nun bei Schwämmen, Polypen, Würmern und bei anderen niederen Thieren der verschiedensten Klassen unmittelbar ein sehr einfacher, aber vollständiger Thierkörper hervor, welcher eine hohle Blase mit einer Oeffnung und mit einer doppelschichtigen Wand darstellt (Fig. 28). Wir wollen diese bedeutungsvolle Entwickelungsform, welche ich für den wichtigsten Entwickelungszustand im ganzen Thierreiche halte, einstweilen als Darmlarve oder Gastrula bezeichnen. Wir werden später die ausserordentliche Bedeutung derselben würdigen.

Die Gastrula ist bald kugelig, bald sphäroidisch abgeplattet, bald ellipsoid, eiförmig oder länglich rund, meistens von 0,1 - 0,5 Mm. Durchmesser, so dass sie dem blossen Augen eben sichtbar ist. Ihre innere einfache Höhle ist die erste Anlage der Magenhöhle oder Darmhöhle des entstehenden Thieres (der "Urdarm"); ihre Oeffnung die Mundöffnung (der "Urmund"). Die Wand des hohlen Körpers besteht bloss aus zwei einfachen Zellenschichten; die innere Zellenschicht entspricht dem inneren oder vegetativen Keimblatt, dem Entoderm der höheren Thiere; die äussere Zellenschicht hingegten dem äusseren oder animalen Keimblatt, dem Exoderm der letzterern.

Nur der formenreichen Abtheilung der niedersten Thiere, den Urthieren oder Protozoen, fehlen diese beiden primären Keimblätter völlig. Sie bringen es überhaupt noch nicht zur Bildung von Keimblättern und zur Bildung eines wahren Darmes. Bei allen übrigen Thieren, die wir deshalb ald Darmthiere oder Metazoen zusammenfassen, bilden jene beiden primären Keimblätter die Grundlage des ganzen Körpers. Die niedersten Darmthiere, welche wir kennen, nämlich die niederen Pflanzenthiere (Spongien, einfachste Polypen u. s. w.) bleiben zeitlebens auf dieser einfachsten Bildungsstufe stehen; ihr ganzer Körper ist nur aus zwei Zellenschichten oder Blättern zusammengesetzt. Diese Thatsache ist von ausserordentlicher Bedeutung, weil wir sehen, dass der Mensch, und überhaupt jedes Wirbelthier, rasch vorübergehend ein zweiblättriges Bildungsstadium durchläuft, welches bei jenen niedersten Pflanzenthieren zeitlebens erhalten bleibt. Wenn wir hier wieder unser biogenetisches Grundgesetz anwenden, so gelangen wir sofort zu folgendem hochwichtigen Schlusse: "Der Mensch und alle anderen Thiere, welche in ihrer ersten individuellen Entwickelungs-Periode eine zweiblättrige Bildungsstufe durchlaufen, müssen von einer uralten einfachen Stammform abstammen, deren ganzer Körper zeitlebens (wie bei den niedersten Pflanzenthieren noch heute) nur aus zwei verschiedenen Zellenschichten oder Keimblättern bestanden hat." Wir wollen diese bedeutungsvolle uralte Stammform, auf welche wir später ausführlich zurückkommen müssen, vorläufig Gastraea (d. h. Urdarmthier) nennen13).

Natürlich hängt die Richtigkeit dieser "Gastraea-Theorie" von dem Nachweise an, dass die beiden primären Keimblätter bei allen Darmthieren dieselben, dass sie gleichbedeutend oder homolog sind. Der Nachweis dieser Homologie der Keimblätter wird dadurch geliefert, dass sich aus ihnen überall, durch die ganze Thierreihe vom Schwamm bis zum Menschen hinauf, dieselben fundamentalen Organe entwickeln. Die Zelle des Exoderms oder des äusseren Blattes bilden späterhin: Erstens die äussere Decke oder Umhüllung des Körpers, die Oberhaut mit ihren Anhängen (Haaren, Nägeln u. s. w.); zweitens das Centralnervensystem, sowie den wichtigsten Theil der höheren Sinnesorgane; ferner drittens wahrscheinlich den grössten Theil des Fleisches, nämlich die Muskeln des Rumpfes und der Gleidmaassen; und viertens bei den Wirbelthieren auch die Knochengerüste, kurz die gesammten Bewegungs- und Empfindungs-Organe. Alle diese Organe vermitteln die sogenannten animalen Lebenserscheinungen und deshalb nannte schon Baer dieses äussere Keimblatt auch das animale Keimblatt; Remak nannte es das sensorielle Keimblatt oder "Sinnesblatt", weil ausser der Haut auch das Nervensystem und die wichtigsten Sinnesorgane daraus sich bilden.

Hingegen liefern die Zellen des Entoderms oder des inneren Keimblattes bei allen Thieren vom Schwamm bis zum Menschen hinauf; Erstens das gesammte Darm-Epithelium, d. h. die innere zellige Auskleidung des Darmcanals und aller damit zusammenhängenden Drüsen: Leber, Lunge, Speicheldrüsen u. s. w.; zweitens wahrscheinlich auch das Darmfleisch, d. h. die Muskeln, welche am Darmcanal selbst in dessen Wand liegen und ihn in Bewegung versetzen; drittens das Herz und die davon ausgehenden Blutgefässe; und viertens endlich vielleicht auch die Zellen der Geschlechtsorgane; (doch ist das letztere noch unsicher); Alle diese Organe vollziehen diejenigen Functionen, welche man gewöhnlich unter dem Namen der vegetativen zusammenfasst, die Functionen der Ernährung und Fortpflanzung, und deshalb nennt man seit Baer dieses untere Keimblatt das vegetative Keimblatt; Remak nennt es das trophische oder ernährende Blatt.

Bei denjenigen niederen Pflanzenthieren, deren ganzer Körper zeitlebens auf der zweiblättrigen Bildungsstufe stehen bleibt, vor allen bei den Schwämmen oder Spongien, bleiben auch diese beiden Functions-Gruppen, animale und vegetative Leistungen, scharf auf die beiden einfachen primären Keimblätter vertheilt. Zeitlebens behält hier das äussere oder animale Keimblatt die einfache Bedeutung einer umhüllenden Decke (einer Oberhaut) und vollzieht zugleich die Bewegungen und Empfindungen des Körpers. Hingegen die inneren Zellenschicht oder das vegetative Keimblatt behält zeitlebens dei einfache Bedeutung des Darmepitheliums, einer ernährenden Darmzellenschicht, und scheint nur noch die Fortpflanzungszellen zu bilden.

vegetative, die kleineren, helleren und festeren Zellen das animale Keimblatt zusammen. Ueberall vollzieht sich dieser erste, älteste und wichtigste Differenzirungs-Process in derselben Weise, und gerade die Identität dieser ersten Keimesanlagen ist von der grössten Bedeutung für unsere Theorie, dass alle Darmthiere zu einem einzigen Stammbaum gehören. Wenn wirklich unser biogenetisches Grundgesetz richtig ist, so müssen wir nothwendig annehmen, dass in früherster Urzeit eine gemeinsame Stammform existirt hat, deren ganzer Körper zeitlebens nur aus diesen beiden primären Keimblättern in ihrer allereinfachsten Form bestand. Als diese uralte Wurzelform wird sich uns ganz von selbst die genannte Gastraea ergeben, die wir später noch eingehend zu betrachten haben.

Zunächst kehren wir jetzt zu der zweiblättrigen Keimscheibe oder dem Fruchthofe des Menschen zurück, der sich bei seiner weiteren Ausbildung vollständig gleich demjenigen der Säugethere, Vögel und Reptilien, überhaupt aller höheren Wirbelthiere verhält. Die nächsten Schicksale des zweiblättrigen Keims sind überhaupt bei allen höheren Thieren dieselben. Mit Ausnahme der niedersten Pflanzenthiere, der Schwämme und vieler Polypen, die ruhig auf dieser Bildungsstufe zeitlebens stehen bleiben, geht das zweiblättrige Stadium der Keimanlage zunächst in ein dreiblättriges und dann in ein vierblättriges Stadium über. Mit dem Zustandekommen von vier übereinander liegenden Keimblättern haben wir dann vorläufig wieder einen festen und sicheren Standpunkt gewonnen, von welchem aus wir die weiteren, viel schwierigereren und verwickelteren Vorgänge der Ausbildung beurtheilen und verfolgen können. Durch die zuverlässigen Untersuchungen zahlreicher Forscher, welche sich über die Ontogenese der verschiedensten höheren Thiere erstrecken, ist gegenwärtig die hochwichtige Thatsache festgestellt, dass hier überall in einem gewissen Stadium der Keim aus vier secundären Keimblättern zusammengesetzt ist. Zwischen dem zweiblättrigen und dem vierblättrigen Stadium liegt sehr häufig ein dreiblättriges Stadium in der Mitte.

So sicher dieses Resultat ist, dass anfangs zwei, später vier Blätter vorhanden sind, so schwierig ist die Erkenntniss, wie diese vier secundären Blätter aus den zwei primären Blättern entstanden sind. In diese Beziehung lauten die Angaben der zahlreichen Beobachter, welche sich damit beschäftigt haben, so entgegengesetzt, dass es unmöglich ist, aus ihrer Zusammenstellung die Wahrheit zu erkennen. Nur darüber sit von vorn herein kein Zweifel, dass diese vier Blätter einzig und allein aus den beiden ursprünglichen Keimblättern entstanden sind, und nicht etwa theilweise "von aussen hineingewandert", wie Reichert, His und andere unklare Beobachter behauptet haben. Dagegen gilt die Frage augenblicklich noch nicht für entschieden, ob die beiden mittleren Blätter gemeinsam aus einem springen, oder ob vielleicht das eine der anderen mittleren Blätter aus dem oberen, das andere aus dem unteren primären Keimblatte abzuleiten ist.

Ich will zunächst die Bedeutung dieser mittleren Blätter kurz erwähnen, damit Sie wissen, welche Schlüsse sich daran für die allgemeine Entwickelungsgeschichte knüpfen. Wir werden diese beiden mittleren Blätter als zweites und drittes bezeichnen müssen, wenn wir von aussen nach innen durchgehend die vier secundären Keimblätter numeriren. Aus dem zweiten Keimblatte (oder dem äusseren Mittelblatte), welches man Darmmuskelblatt oder Darmfaserblatt nennt, entstehen die Muskeln und Faserhäute, welche zunächst das innere Zellenrohr des Darms und seine Drüsen umgeben, und welche die Verdauungsbewegungen des Schlundes, der Speiseröhre, des Magens und der verschiedenen übrigen Abschnitte des Darmcanals vermitteln; ferner entstehen daraus das Herz und die wichtigsten Blutgefässe. Die beiden Mittelblätter leifern also vorzugsweise diejenigen Zellenschichten, welche zur Bildung von fasrigen Häuten und von Fleisch oder Muskelsn verwendet werden. Die Zellen des zweiten Blattes verwandeln sich in das Fleisch und das Knochengerüste des Rumpfes; die Zellen des dritten Blattes in die Muskeln und die Faserhäute des Darmcanales. Beide Mittelblätter werden daher als Muskel- oder Fleischblätter bezeichnet; das äussere als Hautmuskelblatt, weil des dem ersten secundären Blatte, dem Hautsinnesblatte anliegt; das innere als Darmmuskelblatt, weils es dem vierten secundären Blatte, dem Darmdrüsenblatte anliegt (Fig. 29).

Der erste Naturforscher, der die vier secundären Keimblätter der höheren Thiere erkannte und scharf unterschied, war Baer. Allerdings wurde er über ihren Ursprung und ihre weitere Bedeutung nicht vollständig klar, und deutete im Einzelnen ihre verschiedene Verwendung nicht ganz richtig. Aber im Grossen und Ganzen entging ihm ihre hohe Bedeutung nicht, und er sprach bereits diejenige Ansicht über die Entstehung der beiden Mittelblätter aus, welch eich noch heute (den meisten anderen Autorn entgegen) für die richtige halte. Er leitet nämlich das äussere Mittelblatt vom äusseren primären, dass innere Mittelblatt vom innere primären Keimblatt (durch Abspaltung) ab, und sagt: Das äussere oder animale Keimblatt zerfällt in zwei Schichten: eine Hautschicht und eine Fleischschicht; ebenso zerfällt das innere oder vegetative Keimblatt in zwei Schichten: eine Gefälssschicht und eine Schleimschicht39). Verglichen mit den neueren, jetzt üblichen Benennungen stellt sich diese Ansicht Baer´s, die ich bezüglich des phylogenetischen Ursprungs der Mittelblätter für die richtige halte, in folgendem Schema dar:

A. Die zwei primären Keimblätter. B. Die vier secundären Keimblätter.
I. Aeusseres oder animales Keimblatt
(Hautblatt oder Exoderm)
1. Hautsinnesblatt (Hautschicht, Baer).
2. Hausfaserblatt (Fleischschicht, Baer).
II. Inneres oder vegetatives Keimblatt
(Darmblatt oder Entoderm)
3. Darmfaserblatt (Gefässschicht, Baer).
4. Darmdrüsenblatt (Schleimschicht, Baer).

Abweichend von dieser Anschauung nehmen die meisten neueren Beobachter an, dass die beiden Mittelblätter aus der Flächenspaltung eines einzigen mittleren Keimblattes hervorgehen. Hiernach soll also zunächst zwischen den beiden primären Keimblättern ein drittes Blatt entstehen, und durch secondäre Spaltung soll dieses mittlere Keimblatt abermals der Fläche nach in zwei Blätter zerfallen. Allein der eine Theil der Beobachter leitet dieses dritte Blatt mit derselben Bestimmtheit vom unteren, wie der andere Theil vom oberen primären Keimblatte ab. Gerade dieser verdächtige Umstand, sowie viele anderen (namentlich vergleichend-anatomische) Gründe leiten uns auf die Vermuthung, die ich für die wahrscheinlichste halte, dass keiner von beiden Recht hat, und dass vielmehr das äussere Mittelblatt vom animalen, das innere Mittelblatt vom vegetativen Keimblatte abstammt. Allerdings werden wir nachher sehen, dass bei den Wirbelthieren gewöhnlich zuerst nur ein einfaches mittleres Blatt (Remak´s motorisch-germinatives Keimblatt) zwischen den beiden primären Keimblättern auftritt, und dass durch dessen Spaltung erst secundär die beiden verschiedenen Mittelblätter (Hausfaserblatt und Darmfaserblatt) entstehen. Ich habe aber in meiner Arbeit über die Gastraea-Theorie13) zu zeigen gesucht, (und werde dies nachher noch näher begründen), dass dieser Vorgang wahrscheinlich auf gefälschter Vererbung beruht. Das einfache mittlere Keimblatt der Wirbelthieren ist höchst wahrscheinlich erst secundär durch Verwachsung von zwei primäre getrennten Mittelblättern entstanden, und die Spaltung des ersteren in die beiden letzteren ist demnach als ein tertiärer Vorgang aufzufassen. Dieses Verhältniss wird durch folgende Zusammenstellung klar:

faches mittleres Blatt (Remak´s motorisch-germinatives Keimblatt) zwischen den beiden primären Keimblättern auftritt, und dass durch dessen Spaltung erst secundär die beiden verschiedenen Mittelblätter (Hausfaserblatt und Darmfaserblatt) entstehen. Ich habe aber in meiner Arbeit über die Gastraea-Theorie13) zu zeigen gesucht, (und werde dies nachher noch näher begründen), dass dieser Vorgang wahrscheinlich auf gefälschter Vererbung beruht. Das einfache mittlere Keimblatt der Wirbelthieren ist höchst wahrscheinlich erst secundär durch Verwachsung von zwei primäre getrennten Mittelblättern entstanden, und die Spaltung des ersteren in die beiden letzteren ist demnach als ein tertiärer Vorgang aufzufassen. Dieses Verhältniss wird durch folgende Zusammenstellung klar:

Remak´s drei Keimblätter Die vier secundären Keimblätter Die zwei primären Keimblätter
Aeusseres oder oberes Blatt I. Aeusseres (oder oberes) Keimblatt (Sensorielles Blatt) 1. Hautsinnesblatt Animales Blatt, Exoderm, Hautblatt.
Inneres oder unteres Blatt Mittleres Keimblatt (Motorisch-germinatives Blatt) 2. Hautfaserblatt
3. Darmfaserblatt Vegetatives Blatt, Entoderm, Darmblatt.
III. Inners (oder unteres) Keimblatt (Trophisches Blatt) 4. Darmdrüsenblatt
Gefälschter ontogenetischer Process Ursprünglicher ontogenetischer Process

Sei dem nun, wie ihm wolle, wir haben jetzt jedenfalls den wichtigen festen Punkt der Entwickelungsgeschichte erreicht, wo der ganze Körper des Wirbelthieres (gleich dem der meisten höheren Thiere) eine ganz einfache runde Scheibe darstellt, die aus vier übereinander liegenden Blättern zusammengesetzt ist. Dies ist nicht etwa ein bildlicher Vergleich; sondern diese Bestandtheile der runden Keimscheibe sind wirkliche Blätter, dünne Platten, welche fest über einander liegen. Alle vier Keimblätter haben dieselbe ganz einfache Gestalt eines dünnen rundlichen Blattes, welches bald kreisrund, bald länglich rund, eiförmig oder lanzettförmig ist. Die vier Blätter hängen so fest zusammen, dass man die Keimscheibe als Ganzes vom Dotter abheben oder aus der Keimblase herausschneiden kann. Auf der anderen Seite hängen die vier Blätter doch nur so locker zusammen, dass sie sich wirklich mechanisch von einander trennen oder abspalten lassen. Diese Trennbarkeit hängt damit zusammen, dass die Zellen der vier Blätter zwar in jedem Blatte ganz gleich, unter sich aber bereits etwas besondert oder differenzirt sind. Das erste, das Hautsinnesblatt, besteht aus anderen Zellen, als das zweite, das Hautfaserblatt; die Zellen des letzteren sind wieder von denen des dritten oder Darmfaserblattes verschieden, und diese letzteren haben wiederum eine andere Beschaffenheit, als die Zellen des vierten oder Darmdrüsenblattes. Jedes der vier secundären Keimblätter kann man bei sehr genauer mikroskopischer Untersuchung von den drei anderen unterscheiden, indem die Beschaffenheit des Kernes und des Protoplasma der Zellben bereits geringe Unterschiede darbietet. Dieselben vier Keimblätter, wie beim Menschen und den übrigen Wirbelthieren, finden wir nun aber auch bei den Weichthieren, Gliederthieren, Sternthieren, sowie bei den höheren Würmern (Fig. 30) und bei den höheren Pflanzenthieren wieder. Das ist eine Thatsache der vergleichenden Ontogenie, welche die grösste phylogenetische Bedeutung besitzt. Ueberall entwickeln sich diese vier secundären Keimblätter aus den zwei primären Keimblättern, die blosse bei den niederen Pflanzenthieren, namentlich den Schwämmen, in ihrer ursprünglichen Einfachheit erhalten bleiben.

Schliesslich ist als ein besonderer Beweis von dem prophetischen Genius unseres grossen Caspar Friedrich Wolff die merkwürdige Thatsache hervorzuheben, dass derselbe bereits als vier, "nach demselben Typus gebildete Systeme" dieselben vier secundären Keimblätter annahm, deren Nachweis erst ein halbes Jahrhundert später von Carl Ernst Baer geführt wurde40).

Zweite Tabelle.

Uebersicht über die wichtigsten Verschiedenheiten in der Eifurchung der Thiere (vergl. Anmerk. 37).
(N. B. Die sechs Stämme der Darmthiere sind durch die Buchstaben a-f bezeichnet: a Pflanzenthiere, b Würmer, c Weichthiere, d Sternthiere, c Gliederthiere, f Wirbelthiere.)


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Erstellt von Sebastian Högen, Juli 2001.