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Kapitel I]
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Inhaltsverzeichnis][
Kapitel III]
Kapitel II
Eine Woche in Bombay
Der achte November 1881 war der herrliche und für mich
denkwürdige Tag, an welchem ich zum ersten Male tropischen
Boden betrat, tropische Vegetation bewunderte, tropisches Thier- und
Menschenleben anstaunte. Genau vor einem Monat, am 8. October, hatte
ich mein liebes Jena verlassen und nun stand ich bereits, durch den
Lloyd-Damper "Helios", wie durch Faust's Zaubermantel
über 34 Breitenbrade getragen, 4000 Seemeilen von der
deutschen Heimath entfernt, auf dem wunderreichen Boden Indiens.
Schon eine Stunde vor Sonnenaufgang war ich an Bord und sah
allmälig aus dem duftigen Nebel der Morgendämmerung das
tief eingeschnittene Küstenland von Bombay hervortreten,
überragt von den seltsam geformten Gebirgszügen der
"Bhor-Ghats". Diese letzteren bilden die Grendmauer
zwischen den ausgedehnten, circa 2000 Fuß hohen Tafellande von
Dekkan (dem "Oberlande" der vorderindischen Halbinsel)
und dem schmalen und flachen Küstenstreifen von Konhan (dem
littoralen "Unterlande"). Die steilen Gebirgsmauern, die dan
in langgedehnter Kette aufsteigen, bestehen aus Basalt, Syenit und
anderen plutonischen Gesteinen, und sind in seltsamster Weise
zerkllüftet und eingeschnitten, so daß man auf der
Höhe des horizontal abgeplatteten Tafellandes eine Anzahl
collossaler Festungen, Forts, Thürme und Zinnen zu erblicken
glaubt.
In raschem Wechsel färbte sich der dämmernde
Morgenhimmel über der indischen Küste mit den zartesten
und duftigsten Tönen, und dann trat plötzlich mit
glühendem Strahl zwischen zwei breiten Wolkenschichten der
indische Helios hervor, unser gleichnamiges Schiff mit sienem vollen
Glanze begrüßend. Jetzt ließen sich auch die Einzelheiten
der nahen Küste deutlich unterscheiden, vor Allem ausgedehnte
Wälder der Palmyra-Palme und zunächst der gewaltige,
tausende von Schiffen beherbergende Hafen von Bombay. Von der Stadt
selbst wurden die einzelnen Häuser des Colaba-Viertels sichtbar,
auf der südöstlich vorspringenden Landzunge der Insel
Bombay; darauf die stattlichen Prachtbauten des nahen Forts, und im
Hintergrunde der langgestreckte grüne Rücken von Malabar-
Hill, das südwestliche Vorgebirge der Insel mit seinen zahlreichen
Villen und Gärten. Aber mehr als dies fesselte unsere Augen
zunächst das bunte Gewühl der Schiffe in dem
geräumigen Hafen, einem der besten Indiens. Da lagen vor uns die
beiden weißen eisengepanzerten Monitors mit ihren drehbaren
Thürmen, welche die Befestigungen des Platzes in wirksamster
Weise ergänzen; dort standen hunderte von englischen Soldaten an
Bord zweier gewaltiger Truppen-Transport-Schiffe, die 3-4000 Mann
aufzunehmen vermögen; weiter fuhren wir zwischen einer ganzen
Flotte verschiedener Dampfer durch, welche von Bombay nach allen
Himmelsgegenden Frachten und Passagiere befördern; ganz
fremdartig aber erschien das bunte Gewimmel der kleineren Schiffe und
Boote der Eingeborenen, deren nackte braune Körper meistens nur
mit einem weißen Schurze, oder einem weißen Lappen
bekleidet sind, das Haupt durch einen bunten Turban gegen die
tropische Sonne geschützt.
Kurz nach Sonnen-Aufgang ließ unser „Helios" in der Nähe
des „Apollo-Bunder" (- des gewöhnlichen Landungsplatzes der
Passagiere -) die Anker fallen: Sanitäts- und Steuer-Officianten
kamen an Bord, und alsbald befand sich die Passagier-Gesellschaft, die
seit Triest, 24 Tage lang, das schwimmende Hotel gemeinsam gewohnt
hatte, in völliger Auflösung. In aller Eile wurden noch einige
freundliche Grüße ausgetauscht, Karten gewechselt und
Glückwünsche auf die weitere Reise mitgegeben; und dann
stieg Jeder mit seinen Habseligkeiten so rasch als möglich in das
Boot, das ihn dem ersehnten Lande zuführte. Ich selbst folgte der
gütigen Einladung eines trefflichen deutschen Landsmannes, des
Herrn Blaschek aus Frankfurt a. M., welcher seine Gattin, unsere
liebenswürdige Reisegefährtin, von Bord abholte. Er bat
mich, die Woche, welche ich in Bombay zubringen würde, in seiner
Villa auf Malabar-Hill zu wohnen, und ich nahm diese Einladung um so
lieber an, als die englischen Hotels in den großen Städten
Indiens mit ihrem leidigen Pensions-Zwange, ihrer steifen Etiquette und
ihrem Gewimmel lästiger Dienerschaft die freie Bewegung des
Reisenden in unliebsamer Weise beschränken.
Obgleich ich nun in der Villa Blascheck, mitten unter Palmen und
Bananen, von allem dem glänzenden Comfort umgeben war,
welchen die wohlhabenden Europäer in Indien für
selbstverständlich halten, der aber dem deutschen
Ankömmling stets sehr luxuriös erscheint, so fühlte ich
mich doch bald so behaglich wie zu Hause; und wenn diese Woche in
Bombay zu meinen angenehmsten Reise-Erinnerungen gehört, so
verdanke ich das mindestens ebenso sehr jener herzlichen und
liebenswürdigen Gastfreundschaft, als den wunderbar
schönen und mannigfaltigen Bildern, die während dieser
acht kurzen Tage in reichster Fülle an meinen Augen
vorüber zogen.
Natürlich reicht eine solche Woche nicht im Entferntesten hin, um
eine Wunderstadt wie Bombay gründlich kennen zu lernen, und
ich beabsichtige daher in den folgenden Zeilen nichts weniger zu geben,
als eine ausführliche Beschreibung derselben, oder auch nur eine
touristische Skizze; vielmehr muß ich mich auf eine dürftige
Wiedergabe der mächtigen und großartigen Eindrücke
beschränken, welche ich hier in kürzester Frist empfangen.
Ich hatte von Bombay früher wenig gelesen und gehört; ich
wußte wenig mehr davon, als daß es nach Calcutta die
größte und bedeutendste Stadt von British-Indien sei, mit
einem höchst großartigen Handel und Verkehr, und einer
bunt gemischten Bevölkerung. Auch erinnere ich mich nicht,
jemals auf einer unserer Gemälde-Ausstellungen Bilder dieser
Stadt und ihrer Umgebung gesehen zu haben. Wie sehr war ich daher
überrascht, hier einen Reichthum der schönsten und
großartigsten Ansichten zu finden, welche ich nach meinen
persönlichen Erfahrungen nur mit denjenigen von Neapel in
Europa, von Cairo in Aegypten oder besser noch mit einer
eigenthümlichen Combination dieser beiden berühmten und
unter sich so sehr verschiedenen Metropolen vergleichen kann. Mit
Neapel läßt sich Bombay hinsichtlich der herrlichen Lage an
einer vielfach geschmückten Meeresküste, hinsichtlich des
Kranzes von Inseln und Küstenbergen, welche den weiten
großartigen Golf umgeben; dagegen erinnert Bombay an Cairo
durch die bunte Mischung und malerische Gestaltung seiner
südlichen, aus den verschiedenartigsten Rassen
zusammengesetzten Bevölkerung, durch das fremdartige
Gewühl des Straßenlebens und durch die intensiven Farben,
mit denen hier Natur und Kunst gleichmäßig ihre
mannigfaltigen Gebilde bekleiden.
Die Stadt B o m b a y
bedeckt eine kleine Insel von 22 englischen Quadrat-Meilen
Oberfläche; sie liegt unter 18o 56' N. Br.,
72o 56' W. L. Diese Insel wurde zuerst von den Portugiesen
im Jahre 1529 entdeckt und besetzt, und wegen des vortrefflichen
großen Hafens, welchen sie mit einigen benachbarten Inseln und
mit der nahen Küste des Festlandes einschließt, Buona-
Bahia (d.h. „gute Bay", Bonne Bay) genannt. (Andere leiten
allerdings den Namen Bombay von der indischen Meeresgöttin
Bomba-Devi oder Maha-Deva ab). 1661 traten die
Portugiesen Bombay an die Engländer ab; diese wußten
jedoch anfänglich nicht Viel daraus zu machen;
hauptsächlich hinderten ausgedehnte Sümpfe und das
dadurch bedingte ungesunde Klime eine günstige Entwicklung. Erst
nachdem diese Sümpfe ausgetrocknet, auch sonst bessere
Bedingungen geschaffen waren, entwickelte sich Bombay rasch -
hauptsächlich seit 1820, seitdem der verdienstvolle Governeur
Mount Stuart Elphinstone die Regierung übernahm; und im Laufe
des letzten halben Jahrhunderts ist daraus die drittgrößte
Handelstadt Asiens (nächst Kanton und Calcutta) geworden. Die
Bevölkerung ist jetzt auf ungefähr 800,000 gestiegen
(darunter 8000 Europäer und 50,000 Parsi); sie betrug noch 1834
nur 234,000 Einwohner, 1816 nur 160,000 und 1716 nur 16,000 Seelen.
Für den ganzen Handel und Verkehr des indischen Orients,
insbesondere die Verbindung von Asien und Europa, hat sich Bombay
jetzt zu einer ähnlichen Bedeutung emporgeschwungen, wie sie zur
Zeit seiner höchsten Blüthe im Alterthum Alexandria
besaß. Der wichtigste Theil des Handels ist der Baumwollen-Markt;
Bombay wird in dieser Hinsicht nur noch von New-Orleans in Nord-
Amerika übertroffen. Der mächtige, ebenso sichere als
umfangreiche Hafen ist der größte und beste Handelshafen
Indiens. Er öffnet sich nach Süden, wird nordöstlich
vom Festlande begrenzt, westlich von der Insel Bombay und
nördlich von einer Gruppe kleiner Inseln, die dicht bei einander
liegen.
Die Gestalt der Insel ist ein längliches Viereck, dessen
längster Durchmesser von Norden nach Süden gerichtet ist.
Das nörliche Ende ist durch mehrere Brücken mit der
größeren Insel Salfette und durch diese mit dem Festlande
verbunden. Einen großen Theil der nördlichen Hälfte
nimmt der ausgedehnte Palmenwald von Mahim ein. Die südliche
Hälfte läuft in zwei langgestreckte Vorgebirge aus, welche
man den beiden ungleichen Schenkeln einer Krebsscheere vergleicht,
und welche eine weite, aber flache, schön gerundete Bucht („Back
Bay") zwischen sich einschließen. Von den beiden parallelen
Vorgebirgen oder Landzungen ist die westliche kürzer und
höher, dem Pofilippo von Neapel zu vergleichen; das ist
„M a l a b a r -
H i l l" , die herrliche Villenstadt.
Reizende Gärten, mit allen Prachtpflanzen der Tropen
geschmückt, umgeben hier in üppigster Fülle die
zahlreichen eleganten Villen oder Bungalow's, in denen die
wohlhabendsten und vornehmsten Einwohner (theils Europäer,
theils Parsi) wohnen. ein hübscher Weg, der zwischen diesen
Gärten der Länge nach über den höchsten Grat
des Basalt-Rückens von Malabar-Hill führt, bieten eine Reihe
der prächtigsten Aussichten, bald nach Westen über das
palmengekrönte Gestade des offenen indischen Oceans, bald nach
Osten über die weite Back-Bay und die großartige Stadt, die
sich rings um letztere ausbreitet. Der südlichste Ausläufer
derselben geht bis zur Südspitze von
C o l a b a vor; das ist die
östliche und längere von den beiden parallelen Landzungen,
der Hauptplatz des Baumwollen-Handels, zum großen Theil noch
von den Zeltlagern und Baracken der europäischen Truppen
eingenommen.
Am nördlichen Ende der Coloba-Landzunge, zwischen dieser und
dem anstoßenden Fort, liegt der vielgenannte
A p o l l o -
B u n d er , der hübsche
Quai, an welchem die meisten Reisenden zuerst landen, und an welchem
auch ich zuerst den indischen Boden betrat. Seinen Namen führt
dieser vielbesuchte Quai nicht etwa vom schönen Sonnen-Gotte
der Griechen, sondern von dem indischen Worte „Pallow" (=Fisch),
aus welchem durch Corruption Apollo entstand. Pallow-Bunder war
ursprünglich indischer Fischmarkt. Jetzt ist hier eine vortreffliche
Restauration (die einzige größere und elegantere in Bombay)
errichtet; auf dem Altane derselben, mit prächtigster freier
Aussicht über Hafen und Gebirge, nahm ich, der Einladung eines
werthen Landsmannes folgend, mein erstes Frühstück in
Indien ein. Auf dem freien Platze von Apollo-Bunder, wie auf der „Santa
Lucia" in Neapel, entwickelt sich Abends besonders das regste Leben. Oft
spielt hier die Militär-Musik und dann gibt sich die schöne
und vornehme Welt von Bombay hier ihr Rendezvous. Zahlreiche
elegante Equipagen begegnen sich in der erquickenden
Abendkühle und fahren längs des Strandes der Back-Bay
nach Malabar-Hill zurück. Dazwischen entwickelt sich auf freien
Rasenplätzen am Strande das bunte Leben der Eingeborenen, die
hier ebenfalls auf ihre Weise, um Feuer gelagert und spielend, das Leben
genießen.
Der breite Raum der südlichen Inselhälfte, zwischen den
beiden parallelen Landzungen Malabar-Hill und Colaba, wird von den
beiden wichtigsten Stadttheilen eingenommen, vom Fort und von der
„schwarzen Stadt". Das sogenannte
F o r t , früher eine isolirte
Citadelle, stößt an das Nordende von Colaba und umfaßt
den weitaus wichtigsten Theil der europäischen Stadt. Hier finden
sich erstens die meisten öffentlichen Gebäude, auf
geräumigen, mit Brunnen gezierten offenen Plätzen
vertheilt, und zweitens die meisten Comptoire und
Geschäftshäuser der Europäer
zusammengedrängt; sie bilden die eigentliche „City" mit dem
lebendigsten Geschäftsverkehr. Die Mehrzahl der großen
öffentlichen Gebäude: Das Regierungsgebäude,
Secretariat, Postamt, Universität, Kunstschule, Bank, Rathhaus etc.
sind erst im Laufe der letzten 20-30 Jahre mit großen Kosten
aufgeführt, sämmtlich stattliche Prachtbauten im gothischen
Stil, mit Spitzbogen und Säulenhallen; meistens in jener
besonderen Form desselben, welche an vielen Palästen Venedigs
zu finden ist. Höchst seltsam contrastiren diese venetianisch-
gothischen Prachtbauten mit der üppigen Tropen-Vegetation,
welche sie umkleidet und mit dem bunten indischen
Volksleben, welches in den Straßen zu ihren Füßen
wogt.
Den eigentlichen Herd dieses Volkslebens aber bildet die sogenannte
„ S c h w a r z e
S t a d t " oder die
Stadt der Eingeborenen ('Native-Town'). Sie ist sowohl von dem
südlich anstoßenden „Fort", als von dem westlich
angrenzenden Malabar-Hill völlig abgetrennt und bietet in ihrem
farbenreichen und fremdartigen Volksgewühl für jedem
Europäer einen Anziehungspunkt vom höchsten Interesse.
Beim ersten Betreten derselben wurde ich lebhaft an Cairo erinnert. Die
offenen Läden der Eingebornen, die sich hier in buntester
Ausstellung dicht aneinander reihen, die lebhaft gefärbten
Trachten und die halbnackten Gestalten der sich drängenden
Volksmenge, das Geschrei der Verkäufer, das Gewühl der
Wagen und Pferde ist in den Bazaren und Laden-Straßen von Cairo
und von Bombay sehr ähnlich. Allein je länger man in
diesem Gewühl verweilt, desto mehr fallen auch die
charakteristischen Unterschiede der indischen und der
ägyptischen Metropole in die Augen. Einen ganz verschiedenen
und einen viel schöneren Anblick bietet namentlich der
nordwestliche Theil der schwarzen Stadt, welchen den Namen
G i r g a u m
führt. Hier liegen einzelne Hütten und Höfe
höchst malerisch im Schatten eines prachtvollen Waldes von
Cocos-Palmen, und die Staffage von nackten Kindern, reich
geschmückten Weibern, braunen Männern, zierlichen Zebus,
dazwischen Pferde, Hunde, Affen etc. im buntesten Gemische, gibt dem
Genre-Maler hier eine Fülle der reizendsten Motive.
Die Bevölkerung, welche diese verschiedenen Theile von Bombay
bewohnt, ist so mannigfaltig zusammengesetzt und trägt sich so
verschiedenartig, daß es vollkommen die Kraft unserer Feder
übersteigen würde, wollten wir den Versuch wagen, von
ihrem bunten Leben und Weben auch nur ein skizzenhaftes Bild zu
entwerfen. Die Hauptmasse der Bevölkerung bilden die Hindu, eine
kleine und schwächliche Rasse von dunkelbrauner Hautfarbe,
welche bald mehr in ds Caffeebraun, bald mehr in des Kastanienbraun
zieht. Allerliebst sind die Kinder dieser Rasse, welche überall nackt
auf der Straße spielen und bis zum neunten Lebensjahre jeder
Kleidung entbehren. Aber auch die Männer der niedern Kasten
gehen größtentheils fast nackt und tragen nur einen
einfachen Gurt oder Schurz um die Hüften, ähnlich einer
schmalen Schwimmhose; der Malen kann daher den zierlichen
Körperbau und die auffallend schlanken Glieder dieser Rasse auf
Schritt und Tritt in allen möglichen Stellungen studiren, und
besonders unter den Jünglingen von 16-20 Jahren wird er
reizende Modelle finden. Diese bilden in derThat das „schöne
Geschlecht"; ihre Gesichtszüge sind in jenem Alter oft sehr fein und
edel, durch einen gewissen elegischen Anflug ausgezeichnet. Auch unter
dem weiblichen Geschlechte erblickt man viele zierliche und schlanke
Gestalten, und das einfache faltige Gewand, in welches sie ihre Gestalt
verhüllen, wird meist mit vieler Anmuth getragen; aber
hübsche Gesichter sieht man nur sehr selten: die meisten
Mädchen heirathen sehr früh (mit 10-15 Jahren),
verblühen rasch und werden im Alter ausnehmend
häßlich. Dazu kommt die entstellende Sitte, durch den linken
Nasenflügel einen großen silbernen Ring zu ziehen, an
welchem Steine, Glasperlen und andere Zierratehn befestigt werden; bei
vielen Weibern verdeckt ein solches Gehänge den
größten Theil des Mundes und Kinnes. Außerdem wird
der Mund noch durch die Sitte des Betelkauens entstellt, wodurch
Lippen und Zähne sich rothgelb färben. Ferner werden auf
die Stirn allgemein Striche und Zeichen von verschiedener Farbe gemalt,
die Abzeichen der verschiedenen Kasten. Die Arme werden blau
tättowirt. Um die Knöchel und um einzelne Zehen werden bei
beiden Geschlechtern silberne Ringe getragen. So machen die nackten
Figuren der Hindu äußerlich durchaus den Eindruck von
echten „Wilden", obgleich sie in der That zu derselben „mediterranen"
oder arischen Rasse gehören, aus der auch unsere
europäischen Volksstämme entsprungen sind. Die bekannten
Einrichtungen des Kastenwesens und der brahmanischen Religion haben
sich unter ihnen größtentheils noch bis auf den heutigen Tag
erhalten. Die Todten werden durch Feuer bestattet, und wenn man
Abends längs des schönen Back-Bay-Strandes vom Fort nach
Malabar-Hill fährt, erblickt man unmittelbar neben den
Eisenbahn-Stationen die Feuer in den großen Oefen, in denen die
Hindu-Leichen auf Rosten in einfachster Weise verbrannt werden - weit
zweckmäßiger und billiger, als es bei unserer kostspieligen
modernen Leichen-Verbrennung in Gotha geschieht.
Nach dem Census der Bevölkerung Bombay's von 1872 (wonach
die Gesammtzahl der Einwohner 650,000 Seelen betrug) kommen mehr
als 3/5 dieser Zahl auf orthodoxe Hindus verschiedener Kasten, welche
sämmtlich unter der Botmäßigkeit der Brahminen sich
befinden, währen gegen 140,000 (also über 1/4 der
Gesammtzahl) Mohammedaner sind, aber nur 15,000 (also kaum 1/45)
Buddhisten. Dazu kommen nun noch ein paar Tausend Juden, Chinesen
und afrikanische Neger; ferner eine große Anzahl von Mischlingen
der verschiedenen Rassen. Man kann also denken, wie bunter Natur das
Völkergemisch ist, welches die Straßen von Bombay belebt,
und welche verschiedenen Typen, Sitten, Anschauungen und
Gebräuche sich hier ungestört neben einander bewegen.
Vielleicht in keiner Stadt der Erde wird eine größere Zahl von
verschiedenen Sprachen durch einander gesprochen als in Bombay,
zumal auch die europäische Colonie hierselbst durch alle Zungen
vertreten ist.
Einen der merkwürdigsten und wichtigsten Bestandtheile der
Bevölkerung bilden in Bombay, wie in anderen Hauptstädten
Indiens, die P a r s i oder Gebern.
Ihre Zahl beträgt nur ungefährt 50,000 (also etwa 1/12 der
Gesammtzahl); allein durch ihre energische Thätigkeit, ihre
Klugheit und ihren Fleiß haben sie sich so bedeutenden
Einfluß erworben, daß sie in jeder Beziehung eine
hervorragende Rolle spielen. Wenn man, wie es oft geschieht, den
Europäern in Bombay alle anderen Classen der buntgemischen
Bevölkerung als „Eingeborene oder Natives" gegenüberstellt,
so bilden die Parsi eine dritte Hauptclasse derselben, welche
gewissermaßen zwischen ersteren und letzteren in der Mitte steht.
Sie sind die Nachkommen der alten Perser, welche nach der Eroberung
Persiens durch die Mohammedaner im siebenten Jahrhundert deren
Religion nicht annahmen, sondern diejenige Zoroaster's beibehielten. In
Folge dessen vertrieben, wandten sie sich zunächst nach Ormus
und zerstreuten sich von da aus über Indien. Da sie nur unter sich
heirathen, erhalten sie ihre Rasse rein und sind auf den ersten Blick,
auch abgesehen von ihrer eigenthümlichen Kleidung, von allen
anderen Rassen zu unterscheiden. Die Männer sind stattliche,
große Figuren, von gelblicher Gesichtsfarbe, meistens wohlbeleibt,
weit ansehnlicher und stärker als die schwachen Hindus. Sie sind
in lange weiße Baumwoll-Röcke und Hosen gehüllt und
tragen auf dem Kopfe eine hohe schwarze Tiara, welche einem
Bischofshut ähnlich ist. Die ausdrucksvollen Gesichter, oft mit
schön gebogenen Adler-Nasen, bekunden Energie und Klugheit;
dabei sind die Parsi sparsam und genügsam, und haben in
ähnlicher Weise, wie bei uns die Juden, die großen Capitalien
in ihren Händen zu vereinigen gewußt. Viele der reichsten
Kaufleute von Bombay sind Parsi; außerdem haben sie als
Gastwirthe, Schiffsbauer, Mechaniker und Techniker sich besonderen
Ruf erworben. Ihr Familienleben und ihre häuslichen Tugenden
werden sehr gerühmt. Die Parsi-Frauen sind meist stattlich und
hochgewachsen, ihr Gesichtsausdruck ebenfalls klug und energisch; ihre
Hautfarbe gelblich, Haare und Augen tiefschwarz. Ihre Kleidung besteht
aus langen Gewändern von einfacher, aber leuchtender Farbe:
grün, roth, gelb etc. Die Kinder der reichen Parsi sieht man
häufig in gold- und silbergestickten Gewändern spazieren
fahren. Viele wohnen in stattlichen Villen, legen Werth auf schöne
Gärten und erregen durch ihre guten Verhältnisse wohl den
Neid manches Europäers. Dabei zeichnen sich die reichen Parsi oft
durch lobenswerthen Gemeinsinn aus. Viele haben nützliche
Anstalten und wohlthätige Institute gegründet. Einige sind
von der englischen Regierung in Anerkennung ihrer besonderen
Verdienste zu Baronets erhoben worden.
Nicht wenig trägt sicher zu der hervorragenden Thätigkeit
und Tüchtigkeit der Parsi der Umstand bei, daß sie sich von
der Herrschaft der Priester in hohem Maße frei erhalten haben.
Ihre Religion, die Lehre
Z o r o a s t e r
' s , ist in ihrer reinsten Form eine der edelsten
Naturreligionen, auf die Verehrung der schaffenden und erheltenden
Elemente gegründet. Unter diesen gebührt der Vorzug dem
Lichte und der Wärme der schaffenden Sonne, und deren Abbilde,
dem Feuer. Daher begegnen wir beim Auf- und Untergange der Sonne
am Meeresstrande von Bombay zahlreichen frommen Parsi, welche
stehend oder auf ausgebreitetem Teppich knieend dem kommenden wie
dem scheidenden Tagesgestirn ihre Verehrung betend bezeugen. Ich
habe selber den Religionsübungen keines Volkes mit innigerer
Theilnahme zugeschaut, als denjenigen dieser „Sonnen-Anbeter" oder
Feuer-Anbeter. Sind doch wir Naturforscher der Gegenwart, die wir in
der Wärme und dem Licht unserer Sonne mit vollem Recht den
Urquell all' des herrlichen organischen Lebens unserer Erde erblicken,
im Grunde auch nichts Anderes als „Sonnen-Anbeter"!
Die Religionsübungen der Parsen sind übrigens höchst
einfach und zum Theil, ebenso wie beim Mohammedanismus, auf sehr
zweckmäßige sanitäre Principien gegründet, so
namentlich die diätischen Vorschriften und die zahlreichen
täglichen Waschungen des Körpers. Ihr kräftiger
Körper erfreut sich daher auch meist einer trefflichen Gesundheit,
und die mutnern, lebhaften Kinder der Parsi machen in Bombay einen
weit besseren Eindruck, als die bleichen Gesichter der matten
Europäer-Kinder, welche in dem verderblichen heißen Klima
kraftlos dahinwelken.
Zu den merkwürdigsten Gebräuchen gehört die
T o d t e n b e s
t a t t u n g der Parsi.
Hoch oben auf dem Felsenrücken von Malabar-Hill, und zwar auf
einem der höchsten und schönsten Punkte desselben, wo das
prächtigste Panorama von Bombay (ähnlich dem von Neapel
von der Höhe des Posilippo) zu Füßen des staunenden
Beschauers sich ausbreitet, besitzt die Parsi-Gemeinde einen herrlichen,
mit hohen Palmen und blüthenreichen Bäumen gezierten
Garten. Auf diesem Friedhofe erheben sich die sechs Dakhma's
oder „Thürme des Schweigens" (Towers of silence). Das sind
weiße cylindrische Thürme von 30-40 Fuß Durchmesser
und ungefähr ebensoviel Höhe. Einem Amphitheater
ähnlich ist das Innere derselben in drei concentrische Ringe
abgetheilt, welche druch radiale Scheidewände in zahlreiche
offene Kammern geschieden werden. Jede Kamer nimmt eine Leiche auf
und zwar kommen in den inneren Kreis die Kinder, in den mittleren die
Weiber, in den äußeren die Männer. Sobald die
weißgekleideten Todtenwärter die von den
Angehörigen zum Friedhof geführte Leiche den Letzteren
abgenommen haben, bringen sie dieselbe unter Begleitung singender
Priester in einer der offenen Gradkammern und entfernen sich. Alsbald
erscheinen zahlreiche von den heiligen Vögeln des Ormuzd, ovn
den stattlichen braunen Geiern, die in dichten Gruppen auf den Kronen
der benachbarten Palmyra-Palmen sitzen. Sie stürzen sich auf die
Leiche im Innern des offenen Thurmes und haben in wenigen
Augenblicken deren Fleisch verzehrt. Scharen von schwarzen Raben
vertilgen die kleinen Ueberbleibsel ihres Mahles. Die
übriggebliebenen Knochen werden später im Mittelraum des
Thurmes gesammelt.
Die meisten Europäer finden diese Todtenbestattung der Parsi
entsetzlich, wie es schon im classischen Alterthum für eine
besondere Beschimpfung galt, eine Leiche den „Geiern zum Fraße"
hinzuwerfen. Dem vergleichenden Zoologen erscheint es jedoch vielleicht
ästhetischer und poetischer, eine geliebte Leiche in wenigen
Minuten durch kräftige Raubvögel verzehrt zu sehen, oder
(gleich den Hindus) verbrannt zu wissen, als sie jenem langsamen
Verwesungsprocesse und jenem ekelhaften „Würmerfraße"
ausgesetzt zu sehen, der bei der Beerdigung unserer europäischen
Culturvölker üblich, und ebenso abschreckend, als
sanitätswidrig, ja die Quelle vieler Krankheiten ist. Indessen, was
macht nicht Alles die liebe
G e w o h n h e
i t aus, der mächtigste Hebel der „Anpassung"!
Es war ein unvergeßlicher Abend, als ich am 14. November in
Gesellschaft meiner Reisegefährten vom „Helios", der Frau Blaschek
und des Grafen Hunyadi, die Thürme des Schweigens besuchte. Die
untergehende Sonne schmückte eben den westlichen Horizont mit
jenen wunderbaren, nur zu rasch vorübereilenden
Farbentönen der Tropenzone, deren Gluth und Anmuth weder
Pinsel noch Feder annähernd wiederzugeben vermögen.
Gegenüber im Osten prangten mächtige Reihen
gehäufter Thurmwolken mit goldenem Saume im magischen
Purpurlicht; und darunter schimmerten violett die seltsam geformten
Mauern und Thürme des Bhor-Ghats, auf den Abstürzen des
Tafellandes von Dekkan. Zu unsern Füßen aber spiegelte der
blanke Golf der Back-Bay die ganze Farbenpracht des
Himmelsgewölbes wieder und darüber erhob sich jenseits
die Reihe der Prachtgebäude des Forts, überragt vom
Mastenwalde der Schiffe. Zu unserer Rechten südwärts
verfolgte das Auge die Gärten und Villen von Malabar-Hill bis zur
äußersten Spitze, bi szu den felsigen Vorgebirge Malabar-
Point; hier hatte früher Lord Elphinstone in einer einsamen,
einfachen Villa gewohnt, während daselbst gegenwärtig der
luftige Sommerpalast des Gouverneurs steht. Zur Linken verdeckten
unten die dicht gedrängten Cocos-Palmen von Girgaum das bunte
Leben der „schwarzen Stadt". Und dazu nun als Vordergrund die
„Thürme des Schweigens", umgeben von den hohen Fächer-
Palmen, auf deren Kronen die gesättigten Geier in dichten Gruppen
ihre Abendruhe hielten; und zu ihren Füßen die
weißgekleideten Parsi-Priester. Das gab ein Bild, würdig eines
großen Malers!
Ganz verschieden von der tief elegischen Stimmung dieses Abendbildes
war der Eindruck, den ich am folgenden Morgen von dem
benachbartenn Belvedere von
C u m b a l a -
H i l l erhielt. Ich war schon eine Stunde
vor der Sonne auf dem Wege und war allein in der
Morgendämmerung, an dem Thurme des Schweigens vorbei, eine
Viertelstunde weiter bis zu jener höchsten nördlichen
Erhebung von Malabar-Hill gewandert, welche den „Flag-Staff"
trägt. So heißt die Thurmwarte des fernblickenden
Wächters, der von diesem höchsten Punkte aus die Ankunft
der großen Dampfschiffe in Bombay zu signalisiren und die der
Postschiffe durch zwei Kanonenschüsse kund zu thun hat. Die steil
abfallenden Felsen sind hier theils mit stacheligem Gestrüpp, theils
mit Dattel-Palmen bewachsen, unter denen zahlreiche Hindu-
Hütten zerstreut liegen. Ganz in der Nähe befindet sich in
gleicher Höhe und in herrlichster Lage die Wohnung des deutschen
Consuls, der zur Zeit noch in Europa weilte. Der Blick umfaßt von
hier aus nicht allein die ganze Stadt mit dem Golfe, sondern schweift
auch weiter nordwärts nach dem großen Palmenwalde von
Mahim (am Nordende der Insel Bombay) und darüber hinaus nach
der großen Insel Salfette und dem benachbarten Festlande. Ein
zarter grauer Nebelschleier deckte dieses großartige Panorama, als
ich kurz vor Sonnenaufgang dort anlangte; kaum aber war Helios
strahlend über der zackigen Felsenmauer der Bhor-Gats
emporgestiegen, als auch der Nebel zerfloß und ein Theil des
herrlichen Bildes nach dem andern in voller Klarheit sichtbar wurde.
Ein Ausflug nach dem oben erwähnten
P a l m e n w a
l d e v o n
M a h i m , den am 13. November
in Gesellschaft von Blaschek's unternommen hatte, gehört zu
meinen angenehmsten Erinnerungen an Bombay. Es war ein herrlicher
Sonntagmorgen - mein erster in Indien! - und ich werde seine
mannigfaltigen Eindrücke nie vergessen. Man muß unter den
Tropen vor der Sonne unterwegs sein, wenn man die volle
Morgenfrische recht genießen will, und so trafen uns denn die
ersten Sonnenstrahlen dieses wunderschönen wolkenlosen
Sonntags bereits im leichten Wagen an, mitten unter den riesigen alten
Benyanen, am nördlichen Fuße von Cumbala-Hill. Die
indischen Hütten im Schutze dieser Feigenbäume, oft ganz
zwischen deren Luftwurzeln versteckt und durch die daraus
entstandenen Stämme gestützt, waren der Schauplatz jener
originellen häuslichen Scenen, welche den europäischen
Ankömmling so sehr ergötzen. Ganze Familien saßen im
Costüme des Paradieses am Wege und verliehen ihrem braunen
Fell neuen Glanz durch Einreiben mit Cocosöl. Zugleich sichten sich
die liebenden Geschwister - oder auch Eltern und Kinder - gegenseitig
die kleinen langsam kriechenden Insekten ab, welche ihr langes
schwarzes Haupthaar bevölkerten; da sie aber als fromme Hindu
kein Thier tödten dürfen, setzen sie die Gefangenen
sorgfältig bei Seite. Andere wandten ein wirksameres Mittel an,
indem sie sich das Haupthaar radical abrasiren ließen. Viele
badeten in kleinen Teichen am Wege, und noch andere dehnten sich
behaglich, ehe sie wieder mit dem weißen Schurze sich bekleideten,
unter oder auf den Aesten der Bäume aus.
Der Cocos-Palmenwald von Mahim, der erste, den ich betrat, bot uns
noch viel mannichfaltigere Bilder. Da klimmen Toddyzapfer mit
affenartiger Behendigkeit an den mächtigen hohen Stämmen
empor, um den Palmenwein, der Nachts in die oben aufgehängten
Gefäße getröpfelt war, einzusammeln. Auf Seilen, die
horizontal zwischen den benachbarten Stämmen ausgebreitet sind,
klettern sie geschickt von einer Krone zur andern. Andere
pflücken unten die gelben Früchte der Bananen ab; und noch
andere sind mit der Zurichtung ihres Frühmahls beschäftigt.
Ich aber wurde nicht müde, die prachtvollen Lichteffecte zu
bewundern, welche der spielende Sonnenglanz auf den breiten
zitternden Fiederblättern der edlen Cocos und ihren weißen,
anmuthig gebogenen Stämmen hervorbrachte, sowie auf den
zarten frischgrünen Riesenblättern der zu ihren
Füßen stehenden Bananengruppen. Und dazu nun
überall eine Fülle herrlicher Blumen, mit den ringsum
spielenden Schmetterlingen wetteifernd durch riesige Größe,
durch bunte Farbe, durch seltsame Gestalt und durch aromatischen
Geruch! Hie und da erhob sich ein luftiger Busch des zierlichen
schlanken Bambusrohres; und allenthalben zerstreut lagen kleine
Hütten aus Rohr gebaut und mit Rohr gedeckt. Auf den Wegen
allerlei Hausthiere, Schweine und Hunde, Hühner und Enten; und
zwischen diesen spielend und tanzend die allerliebsten Gestalten der
nackten Hindukinder mit ihren großen schwarzen Augen!
Nachdem wir über eine Stunde auf Kreuz- und Querwegen im
Palmenwalde von Mahim umhergeschlendert, versuchten wir links nach
dem benachbarten Meeresstrand durchzudringen. Allein der schmale,
zwischen zwei Mauern eingeschlossene Pfad endigte in einer
großen Pfütze. Gerade zur rechten Zeit kam uns von der
anderen Seite ein zweiräderiger Ochsenkarren (Bullock cart)
entgegen; wir erkletterten dieses saubere Gefährt in sehr heiterer
Stimmung und ließen uns von dem leitenden Hindujüngling
durch die Pfütze hinüber fahren, wären aber beinahe
in dem tiefen Schlamm derselben stecken geblieben! Glücklich
hinüber, gelangten wir bald an den sandigen Meerestrand, der
hier in weiter Ausdehnung mit dem schönsten Cocoswalde
gesäumt ist. Hier begegneten wir stattlichen Gruppen des
merkwürdigen Pandanus, jener sonderbaren Schrauben-Palme,
deren gebogener Stamm sich oben armleuchterartig gabelt, an jedem Ast
ein agavenartiges Blütterbüschel mit
schraubenförmiger Drehung tragend, während er unten auf
einem Büschel von Luftwurzeln, wie auf hohen Stelzen steht.
Zwischen den Aesten waren allenthalben mächtige Spinnenetze
ausgespannt, bewohnt von einer prächtig gezeichneten
Riesenspinne, deren dicker Leib 6 cm, deren dünne Beine 10 cm
lang sind. Die ungeheuerliche Bestie ließ sich ziemlich leicht fangen
und fand in meinem Spiritusglase ihr Ende. Die dicken Fäden ihres
Gespinstes, das über einen Meter Durchmesser zeigte,
überraschten uns durch ihre Festigkeit, fast derjenigen eines
Zwirnfadens gleich. Während wir unten mit dieser aufregenden
Spinnenjagd beschäftigt waren, erhob sich oben aus den
Palmenkronen ein kreischender Schwarm grüner Papageien, der
ersten, die ich wild erblickte.
Eine Reihe anderer zoologischer Überraschungen wartete meiner am
sandigen Strande von Mahim, welcher gerade duch die tiefe Ebbe in
ziemlich weiter Ausdehnung entblößt war. Da lagen
ausgeworfene Riesenexemplare einer prächtigen blauen Meduse
(einer Crambessa) von mehr als einem Fuß Durchmesser;
daneben sonderbare Igelfische (Diodon) mit stacheliger Haut und
großem aufgeblasenen Kehlsack. Im Seesande selbst fans sich eine
große Anzahl verschiedener Muscheln und Schnecken, lauter
charakteristisch indische Formen, die ich bisher nur in zoologischen
Museen erblickt; ferner große Röhrenwürmer,
verschiedene Krustenthiere (darunter schnellfüßige
Sandkrabben, dich sich im Sande Löcher graben), sowie viele Reste
von großen Fischskeletten, untermischt mir Schädeln und
anderen Skelettheilen des Menschen. Letztere gehörten Hindu's
niederster Classen an, deren Leichen nicht verbrannt, sondern einfach
im Seesande verscharrt werden. Meine Umhängetasche war mit
diesen und anderen zoologischen Schätzen überfüllt,
als wir endlich gegen Mittag nach Hause zurückkehrten.
Einer der interessantesten Punkte von Bombay war für mich das
heilige Brahminendorf
W a l k e s c h
w a r , nur wenige Minuten vom Bungalow meiner
lieben Gastfreunde entfernt, zwischen diesem und dem
Gouverneurshause auf Malabar-Point gelegen. Ich besuchte dieses
merkwürdige Dorf zu wiederholten Malen und zu verschiedenen
Tageszeiten, und wurde stets durch eine Fülle origineller und
mannigfaltiger Bilder aus dem Leben der höchsten Hindu-Kasten
überrascht; denn nur solche, nur echte Brahminen bewohnen
diesen heiligen Ort, und kein unreiner Hindu niederer Kaste darf
denselben durch seine Gegenwart entweihen. Den Mittelpunkt besselben
bildet hier, wie an ähnlichen, hie und da in der schwarzen Stadt
zerstreuten heiligen Orten ein viereckiger Teich, dessen Ufer geradlinige
Treppenreihen säumen. Diese sind eingefaßt von zahlreichen
Tempeln und Capellen, zwischen welchen enge Gassen zum Wasser
hinabführen. Die Tempel zeichnen sich aus durch charakteristische
Thürme, theils von Gestalt einer Bischofsmütze, theils von
der eines breiten und niedrigen Obelisken. Das Innere der Tempel, gleich
den dazwischen zerstreuten Hütten noch der Straße
geöffnet, zeigt einen einfachen Raum, in dessen Mitte (oder auch in
einem besonderen Vorhofe unter einer Säulenhalle) ein heiliger
Stier liegt. Andere Gegenstände der Verehrung, gleich den Stieren
mit Blumen geschmückt, sind merkwürdige steinerne
Symbole der Fruchtbarkeit, zum Theil von obscönster und
grotesker Form. Solche sind auch an vielen Stellen der Wege inner- und
außerhalb der Stadt zerstreut, mit rother Farbe bemalt. Sie werden
namentlich von kinderlosen Eheleuten besucht und ihre rothen Theile
werden mit Goldpapierchen beklebt, auch mit duftenden Blumen
bedeckt, in der Hoffnung, durch diese Opferspenden mit Kindern
gesegnet zu werden.
Vor den Stufen der Tempel und auf den Treppen des heiligen Teiches
hocken oder bewegen sich heilige Büßer in den
verschiedensten und sonderbasten Geberden und
Andachtsübungen. Die meisten dieser Fakire sind geriebene
Betrüger, welche dem Dolce far niente auf Kosten ihrer
frommen und wohlthätigen Glaubensgenossen sich hingeben. Ihr
nackter Körper ist mit Asche und Oel beschmiert, die langen Haare
in wirre Zöpfe geflochten, die niemals gereinigt werden und
besondere Species des „Weichselzopfes" repräsentiren, meist ein
reich bevölkerter zoologischer Garten. Das einzige Verdienst der
meisten Fakire besteht darin, daß sie irgend ein Glied ihres
Körpers verstümmeln. Der Eine hat seit vielen Jahren seite
Faust krampfhaft geschlossen, so daß die Fingernägel tief in
das Fleisch der Hohlhand eingewachsen sind; ein Anderer hat den
emporgestreckten Arm in senkrechter Stellung so lange erhalten, bis
derselbe alle Beweglichkeit und Empfindlichkeit verlor, so daß er
nun gleich einem dürren Aste vertrocknet und atrophisch
über das Haupt emporragt; ein Dritter hat sich die verschiedensten
Wunden beigebracht und durch Einstreuen von Asche in langer Eiterung
erhalten, so daß sein Gesicht und Leib auf das Scheußlichste
entstellt ist etc. Bekanntlich gibt es keine Thorheit und keine
Verrücktheit, zu der nicht religiöse Wahnvorstellungen den
Menschen bringen können, besonders wenn sie mit den
üblichen Betrügereien der Priesterschaft Hand in Hand
gehen; aber wenige Religionsformen dürften es in dieser
Beziehung zu solchen extremen Ausgeburten bringen, wie der Brahma-
Cultus.
Während ich stundenland im Brahminen-Dorfe Walkeschwar
verweilte und unter dem dichten Schatten eines heiligen
Benyanenbaumes am Ufer des Teiches saß, um diese seltsamen
Eindrücke in meinem Skizzenbuche festzuhalten, hatte ich
genügende Muße, das sonderbare Leben und Treiben dieser
privilegirten Faullenzerkaste zu studiren. Die Hauptbeschäftigung
dieser edlen Brahminen, die eigentlich als echte „Bettelmönche"
von den reichlichen Spenden der abergläubischen und
opferwilligen Hindu's niederer Kaste leben, besteht in süßem
Nichtsthun, in philosophischer Betrachtung der Welt mit ihrer Narrheit;
nur zeitweilig wird dasselbe durch äußerliche
Religionsübungen unterbrochen, unter denen wiederholte
Waschungen jedenfalls noch die zweckmäßigsten sind; fast
ununterbrochen war der heilige Teich von Badenden beiderlei
Geschlechts besucht. Vielen Spaß hatte ich mit der munteren, jede
Kleidung verschmähenden Jugend, die in Scharen meiner
Aquarellarbeit zuschaute und darüber ihre lustigen Clossen
machte. Besonderes Vergnügen schien ihr die Carricatur eines
heulenden, sich ganz verrückt geberdenden Fakirs im Teiche zu
machen; wie den überhaupt diese Hindu-Jungen noch nicht von
der Orthodoxie der Alten angesteckt erschienen.
Andere interessante Bilder in Welkeschwar lieferte mir eine
Brahminenschule; der alte graue Schulmeister schien ebenfalls den Ernst
des Lebens mehr von der heiteren Seite zu nehmen und war offenbar
sehr erfreut, als ich mich ihm pantomimisch als Collegen zu erkennen
gab. Dicht neben diesem Tempel der Weisheit hatte ich auch Gelegenheit,
Etwas von der praktischen Medicin der Hindu zu sehen; eine Entbindung
unter erschwerenden Umständen wurde mit den sonderbasten
Instrumenten auf offener Straße ausgeführt; ein Hindu-
Constabler oder „Police-Man" hielt dabei die versammelten Zuschauer in
Ordnung und erklärte mir sehr gefällig die Bedeutung des
Actes. Daneben war ein anderer Hindu-Doctor beschäftigt, aus
einem armen Rheumatismuskranken den Teufel durch Kneten und
Pressen auszutreiben. In diesen Fächern, wie überhaupt in
der Thierquälerei, leisten die frommen Hindu wirklich
Großes, während sie gleichzeitig sich sehr hüten, irgend
ein Wesen, sei es auch das kleinste oder schädlichste Insekt,
wirklich umzubringen.
Schon am Tage nach meiner Ankunft in Bombay, am 9. November, hatte
ich Gelegenheit, an einer Excursion nach der berühmten Insel
Elephanta Theil zu nehmen, auf welcher sich die vollendetsten und
figurenreichsten unter den zahlreichen indischen Höhlentempeln
befinden. Da diese brahminischen Tempel durch zahlreiche Abbildungen
und Beschreibungen allbekannt sind, will ich mich auf das kurze
Geständniß beschränken, daß sie meinen
hochgespannten Erwartungen nicht entsprachen; ich hatte mir den
Eindruck weit großartiger und imposanter vorgestellt. Von
wirklicher Schönheit ist ohnehin bei den verschnörkelten
und fratzenhaften Sculpturen der Inder nicht die Rede; die
häßlichen und widernatürlichen Verbindungen von
Menschen- und Thierleibern, die Gottheiten mit drei Köpfen
(Trimurti), ferner die verzerrten Fratzengesichter, die Leiber mit
mehreren Reihen von Brüsten, mit 8 Armen und Beinen etc. sind
mir höchlich zuwider, und ich gehöre zu jenen wenigen
Ketzern, die auch hier das Urtheil unseres Altmeisters Goethe von den
„verrückten Elephanten- und Fratzentempeln" zutreffend finden.
Immerhin sind die Felsentempel von Elephanta durch die
sorgfältige Sculptur der Einzelheiten, und durch die Art und Weise,
wie der ganze Tempelraum mit seinen drei Säulenhallen und den
zahlreichen Figuren aus dem lebendigen schwarzen und sehr festen
Gestein des Trapp-Gebirges ausgemeißelt ist, sehr
merkwürdig, und die Lage des Tempels auf dem steilen
Westabhange der schön bewachsenen Insel ist so herrlich, der
Blick auf den Hafen von Bombay so großartig, daß sich Jeder
durch diese Excursion reichlich belohnt führen wird. Wir machten
dieselbe vom Apollo-Bunder aus mit einer kleinen Dampfbarkasse
(Steam-Lounch). Die Ueberfahrt dauert nur eine gute Stunde und
bietet eine Reihe hübscher Hafenbilder; indische Schiffe und Boote
aller Größen und Formen konnte ich hier in der Nähe
sehen. Sehr schön ist dabei der Blick auf das hohe Tafelland, die
Bhor-Ghats von Dekkan, sowie auf das palmenreiche Vorland an dessen
Fuße, auf das Konkan, zwischen welchem und der Insel Bombay die
kleine Insel Elephanta gelegen ist. Durch prächtig rothe
Färbung der nacksten Felsen zeichnet sich die benachbarte
größere Insel Trombay aus.
In anderer Hinsicht bot mir die Excursion nach Elephanta das
allergrößte Interesse und wird mir immer unvergeßlich
bleiben. Denn dieser Tag, der 9. November, war der erste, an welchem
ich die tropische Flora ihr Wunderwerk frei und ungekünstelt
entfalten sah. Allerdings hatte ich schon den vorhergehenden
Nachmittag, meinen ersten in Indien, dazu benutzt, um mit dem
Tramway nordwärts durch die schwarze Stadt nach Victoria
Garten zu fahren. Das ist ein hübscher, wenn auch nicht sehr
sorgfältig gepflegter botanischer Garten. Zwar kann er sich nach
Reichthum und Anlage nicht mit anderen botanischen Gärten
Indiens messen; indessen sah ich doch zum ersten Male hier eine
große Anzahl der schönsten und großartigsten
Tropengewächse von Angesicht: insbesondere die Hauptformen
der indischen Palmen und Bambusen, Bananen und Pandanus, Brotfrucht
und Papaya, Lotos und Pistia etc. Wie sehr mich aber auch dieser
schöne Victoriapark am ersten Abend in Bombay entzückte,
zumal er durch das prachtvolle Beleuchtungsspiel eines glühenden
Sonnenuntergangs verklärt wurde, so war doch meine Freude noch
ungleich größer und lebhafter, als ich am folgenden
Nachmittag auf Elephanta die bedeutendsten Charakterpflanzen Indiens
wild in ihrem freien Naturzustande erblickte, in jener Ueberfülle
der Ueppigkeit, die keinen Gartenzwang duldet.
Da bekleiden rankende Schlingpflanzen und kletternde Farne die
reisigen Tiekstämme; da beugen die edelsten Cocos-Palmen ihren
schlanken gebogenen Stamm mit der herrlichen glitzernden Fiederkrone
über den Stand des Meeres, der mit Pandanusbüschen
gesäumt und mit einer, im Wasser wurzelnden Mangroven-Mauer
befestigt ist. Da ranken mächtige Schmarotzerfeigen und Winden,
und andere, mit großen bunten Blumen ausgestattete
Kletterpflanzen an den kerzengeraden schwarzen Stämmen der
gewaltigen Palmyra-Palmen empor, und selbst ihre stolze Krone von
handförmigen Fächerblättern ist mit Blumen
bekränzt. Und dort erheben sich uralte Prachexemplare vom
heiligen indischen Feigenbaum, von der Benyane; unten löst sich
ihr mächtiger Hauptstamm in ein förmliches Netzwerk
gewaltiger Wurzeln auf, während oben aus dem dichten
dunkelgrünen Laubwerke dicke Riesenäste eine Schar von
Luftwurzeln herabsenken; von letzteren erreichen viele wieder den
Boden und bilden wurzelschlagend neue Stämme zur Stütze
der alten mütterlichen Krone. Und dort, siehe dort, da erstickt ein
gewaltiger Würger (eine parasitische Feigenart), mit dem
Netzwerk seiner verflochtenen Stammäste die edle Palme, die er
zäh umklammert hält - und wenige Schritte weiter da steht
ein Bruder dieses Würgers mit todtem, einen cylindrischen
Hohlraum umschließenden Gitterstamme, ohne Blätter; erst
war die erwürgte Palme gestorben und vermodert, und dann hatte
den grausamen Mörder dasselbe Schicksal erreicht. Dazwischen
bildet das zierliche Bambusrohr große Riesenbouquets, breiten
prächtige Bananen und Strelitzien ihre frischgrünen zarten
Blätter aus, entfalten herrliche bunte und große Blumen ihre
duftenden Kelche, bilden zartgefiederte Acacien weit ausgedehnte
Schirmdächer, verflechten sich stachelige cactusähnliche
Euphorbien zu dichten Hecken. So sah ich hier zum ersten Male auf
Elephantia in greifbarer Wirklichkeit eine Fülle der
merkwürdigsten und schönsten Gestalten der tropischen
Flora, von denen ich seit 30 Jahren gelesen und geträumt hatte.
Und dazwischen gaukelten in der sonnenglühenden Luft Tausende
der schönsten und buntesten Schmetterlinge, schwirrten durch das
Gebüsch große goldglänzende Prachtkäfer,
huschten durch das Laub Hunderte von behenden Eidechsen und
Schlangen, flogen von Stamm zu Stamm lärmende Scharen
prachtgefiederter Vögel - lauter neue, nie lebend gesehene
Formen, und mir doch großentheils seit Langem alte Bekannte. Wie
ein Kind haschte ich nach all den herrlichen Siebensachen und legte
meine Hand auf die Stämme der Palmen und Bambusen, um mich
zu überzeugen, daß nicht Alles nur ein schöner
Märchentraum sei! Und so fuhr ich traumbefangen bei der
wunderherrlichsten Abendbeleuchtung von Elephanta nach Bombay
zurück und sah in der schlaflosen Nacht, der ersten in Indien,
Tausende der prächtigsten Bilder an meinem Auge auf's Neue
vorüber ziehen.
Leider gestattete die kurze, rasch verfließende Woche in Bombay
nur einen einzigen größeren Ausflug auf das
i n d i s c h e
F e s t l a n d ;
dieser war aber sehr interessant und gab mir eine recht gute
Vorstellung von der Natur des berühmten Hochlandes von
D e k k a n . Auf den guten
Rath eines freundlichen Landsmanns, Herrn Tintner (dem ich für
viele andere Gefälligkeiten bei dieser Gelegenheit herzlich danke),
wählte ich unter den verschiedenen, im Zeitraume von zwei Tagen
ausführbaren Excursionen diejenige nach
L a n a u l i e
und zu den Felsentempeln von
C a r l i . In Gesellschaft des
Grafen Hunyady, des Reisegefährten von der „Helios", verließ
ich Bombay am Mittag des 11. November. Das herrlichste Wetter
begünstigte diesen Ausflug, wie meinen ganzen Aufenthalt in
Bombay; nur war es etwas zu heiß: Mittags im Schatten bis
30o R, meistens am Tage zwischen 22 und 26o R;
auch die Nächte waren sehr heiß und einmal hatten wir noch
um Mitternacht 25o R.!
Die Eisenbahnfahrt nach Lanaulie (die erste Strecke der großen
Bahn von Bombay nach Madras) dauerte 5 Stunden und entlockte uns
neben vielem Schweiße manchen Seufzer über die stechende
Sonnenglut; und doch waren die Waggons erster Classe, die wir
benutzten, überaus bequem und boten die raffinirtesten
Schutzmittel gegen die Tropensonne: doppeltes, seitlich weit
vorspringendes Dach, Jalousien und grüne Scheiben an den
Fenstern, innen und außen Vorhänge, bequeme und
kühle Lederpolster, sinnreiche Einrichtungen für reichliche
Ventilation, und was das Angenehmste war -, kleine Badecabinette mit
gekühltem Wasser, in denen ich mehrmals während der
heißen Fahrt ein erquickendes Bad nahm. Jeder Waggon erster
Classe enthält nur zwei geräumige Salons und in jedem Salon
dürfen nicht mehr als 6 Passagiere sitzen, während man bei
uns die dreifache oder mindestens doppelte Zahl darin
zusammenpferchen würde. Nur drei Bänke sind in jedem
Salon (zwei der Länge, eine der Quere nach); bei Nacht wird
über jeder Bank noch eine zweite, 4 Fuß entfernt,
aufgeschlagen; und so erhält man 6 Betten, weit geräumiger
und bequemer, als die Betten in Dampfschiffscabinen. Dabei kann man
bequem in dem kleinen Salon seinen Koffer unterbringen und
auspacken, promeniren und nach beiden Seiten durch die zahlreichen
Fenster die Aussicht auf die vorübereilende Landschaft
genießen.
Diese Aussicht war für mich höchst anziehend und ich
sammelte während der kurzen fünfstündigen Fahrt
eine Reihe interessanter indischer Bilder in meinem Skizzenbuche.
Zunächst fährt die Eisenbahn durch einen großen Theil
der Stadt Bombay selbst hindurch, an Byculla, Parell und Sassoon vorbei,
dann auf einer Brücke über einen schmalen Meeresarm nach
der Insel Salfette und von dieser über einen zweiten Meeresarm
nach dem Festlande von Vorder-Indien hinüber. Anfänglich
zieht sich hier die Bahn ganz flach mehrere Stunden lang durch das
ebene und niedere Küstenland, das Konkan. Zahlreiche
Dörfer, aus elenden Rohrhütten zusammengesetzt, und
einzelne kleine Städtchen von unbedeutendem Umfang geben uns
eine Idee von der Mahratten-Bevölkerung dieser Gegend. Die
ausgedehnte Ebene ist während der Regenzeit (von Juni bis
September) mit dem üppigsten hohen Grase bedeckt, zum
großen Theil auch gut cultivirt mit Reis, Mais etc. Jetzt war die
Vegetation seit mehr als einem Monat völlig verbrannt und die
weiten Grasflächen strohgelb. Nur die zahlreichen
immergrünen Pflanzen erhielten sich frisch, die
Bananengebüsche und Feigenbäume rings um die
Hütten, und vor Allem der wichtigste Schatz dieser Konkan-Flora,
die herrliche
P a l m y r a -
P a l m e (Borassus
flabelliformis). Tausende oder vielmehr Millionen von
Stämmen dieser edlen Fächerpalme mit dem kerzengeraden
schwarzen Stamme sind allenthalben sichtbar, bald einzeln, bald in
Gruppen, und geben dem ganzen flachen Küstenlande seine
charakteristische Physiognomie; gleich der Cocos- und Dattelpalme ist
auch die indisch Palmyra-Palme einer der nützlichsten
Bäume; fast jeder Theil derselben dient für einen oder
mehrere häusliche oder technische Zwecke. Besonders schön
erscheinen die Gruppen dieser Palme an den Ufern der zahlreichen
schilfbekränzten Teiche, an denen wir vorüberfuhren; dazu
als malerischer Vordergrund die nackten braunen Eingeborenen mit
ihren zweiräderigen Ochsenkarren, badende Büffel und
zusammengewürfelte Rohrhütten; im Hintergrunde
darüber die malerischen Formen der Bhor-Ghats, der zackigen
Felsenwände, die den steilen, 2000 Fuß hohen Absturz des
mächtigen Tafellandes von Dekkan bilden.
Auf der Station Kurjut, hinter Noreb, waren wir am Fuße des
Gebirges angelangt und die leichte Locomotive, die uns bisher
geführt hatte, wurde jetzt mit einer schweren Gebirgslokomotive
vertauscht. Die Steigung der Bahn wird bald sehr bedeutend (1:37); sie
erhebt sich in wenigen Stunden Fahrzeit über 2000 Fuß.
Zahlreiche Tunnels und Viaducte, sowie scharfe Biegungen der Bahn an
steilen Felswänden vorbei erinnern an unsere malerischen
Alpenbahnen, Semmering und Brenner (die stärkste Steigung auf
letzterer beträgt nur 1:40). Die umgebende Landschaft nimmt
alsbald einen ganz anderen Charakter an. Die Palmen, die in so
großer Masse das Unterland (Konkan) schmückten,
verschwinden schon beim Beginn der Steigung völlig;
mächtige, bald säulenförmige, bald astreiche
Waldbäume treten an ihre Stelle, darunter die stolzen
Tiekbäume, sowie Wollbäume mit sehr großen
Blättern. Der steile Abfall des tafelförmigen Hochlandes
(Dekkan), der zum Theil treppenartig oder terrassenförmig
abgestuft ist, wird vielfach von tiefen Wasserschluchten eingeschnitten
und diese Abgründe, mit dichtem Waldgebüsch ausgekleidet,
geben dem Gebirgslande einen europäischen Charakter. Ganz
eigenthümlich aber, und in ähnlicher Form von keinem
europäischen Gebirge mir bekannt, ist die Gestaltung der
mächtigen Felsenmassen dieser
B h o r -
G h a t s . Sie erscheinen bald als
ungeheure, fast senkrecht aufsteigende schwarze Mauern von mehr als
tausend Fuß Höhe, bald als breite und flache Tafelberge mit
horizontal abgeschnittenen Kuppen, bald als zerklüftete
Wände, deren thurm- und castellartige Aufsätze aus der
Entfernung täuschend eine gewaltige Festung mit vielen
Thürmen und Zinnen vorspiegeln. Obgleich die plutonischen
Gebirgsmassen der Bhor-Ghats (größtentheils
schwärzlicher Trapp und basaltartiger Syenit) von dem
geschichteten Quadersandstein unserer „sächsischen Schweiz"
völlig verschieden sind, so bleibt die äußere Gestalt der
isolirten Tafelberge doch oft auffallend ähnlich.
Wie uns der Anblick des schluchtenreichen Waldgebirges, ohne alle
Zuthaten tropischer Vegetationspracht, plötzlich vom 19. nach dem
33. Breitengrade versetzte, so erschien auch die Luft, die wir athmeten,
mit einem Male gänzlich verändert. An die Stelle der
drückenden Hitze trat luftige Kühle und mit Wonne sogen
wir die kräftigeg frische Bergluft ein - eine Wohlthat des
gemäßigten Klimas, welche man erst dann voll schätzen
lernt, wenn man sie unter dem erschlaffenden Einflusse der
Tropensonne schmerzlich vermißt. Je höher wir hinauf
kamen, desto heimathlicher wurde es uns zu Muthe. Doch erfuhr diese
Illusion einige Störung durch die Mittheilung, daß in der
tiefen wasserreichen Waldschlucht, an der wir eben vorbeifuhren, vor
zwei Jahren ein englischer Capitän durch einen Tiger
getödtet worden sei. Hier stürzten aus beträchtlicher
Höhe zwei Wasserfälle herab. Während der Regenzeit
sind diese überaus zahlreich; jetzt waren sie
größtentheils versiegt und gelben dünnes Gras
bedeckte die Flächen, die nicht mit Bäumen oder nicht mir
„Dschungle"-Dickicht besetzt waren.
Kurz vor Lanaulie passirten wir die Station
M a t h e r a n ,
eine beliebte Sommerfrische der wohlhabenden Bewohner von Bombay.
Mehrere schöne Aussichtspunkte in dessen nächster
Umgebung gewähren einerseits wilde und romantische Einblicke
in die umgebenden Waldschluchten, andererseits weite und umfassende
Ausblicke über das flache Küstenland und das Meer, bis
nach Bombay hin. Eine besonders auffallende Felsenform in der
Nähe der vorhergehenden „Reversion-Station" führt
den Namen Dukes Nose (Herzogs-Nase, Wellington zu Ehren!). Es
war bereits völlig dunkel geworden, als wir um 7 Uhr in einer
Meereshöhe von 2100 Fuß an unserem Ziele Lanaulie
anlangten und in dem kleinen Hotel eines Parsi recht leidliche
Unterkunft fanden.
Der folgende Morgen war für eine Excursion nach den
berühmten
C a r l i e -
C a v e s bestimmt, den
buddhistischen Grotten-Tempeln, welche alle anderen an bedeutendem
Umfang und Reichthum der Sculptur übertreffen sollen. Wir
hatten für 5 Uhr Ponies bestellt, welche uns bis in die Nähe
der Grotten und ein Stück bergauf tragen sollten. Als wir aber die
Bergpferde besteigen wollten, erschien statt deren eine stattliche
Kutsche mit zwei Pferden, deren Lieferung dem schlauen Wirthe
vortheilhafter erschien. Wohl oder übel mußten wir uns in
die Kutsche setzen, die uns nur eine halbe Stunde weit auf gutem
Fahrweg weiter brachte. Dann mußten wir aussteigen und
über eine Stunde weit über Wiesen und Felder
hinwegmarschiren. Schließlich ging es noch eine halbe Stunde steil
bergauf zu den Grotten. Diese liegen in halber Höhe am westlichen
Abhange eines Trachytberges, der sich noch mehr als tausend Fuß
über das Plateau von Lanaulie erhebt. Letzteres liegt bereits auf
der Höhe des Tafellandes von Dekkan.
Die buddhistischen Höhlentempel von
C a r l i e sind weit
größer und älter, als die brahmanischen Tempelgrotten
von Elephanta; auch sind die Sculpturen einfacher und weniger
schnörkelhaft, die Figuren der Menschen und Tiere
natürlicher. Sie gelten als die vollendetsten Bauwerke ihrer Art.
Gleich den Tempeln von Elephanta und vielen ähnlichen in Indien
sind auch diejenigen von Carlie durch Aushöhlung aus dem Felsen
des Gebirges selbst herausgeschnitten, ebenso wie die Sculpturen von
Menschen und Thieren, welche in großer Zahl die Wände
zieren. Der stattliche Hauptraum des Tschaitya-Tempels von Carlie, ein
riesiges Tonnengewölbe, wird durch zwei Säulenreihen in
ein breites Hauptschiff und zwei schmale Nebenschiffe getheilt. Die
zahlreichen Figuren, von männlichen und weiblichen Gestalten,
von Elephanten, Löwen etc., sowie die Säulen und
Thürpfosten, sind sehr kunstreich aus dem harten schwarzen
Trapp-Felsen ausgemeißelt und glatt poliert; sie sollen durch
sorgfältige und ästhetische Ausführung diejenigen der
meisten anderen indischen Tempel übertreffen. Oberhalb des
Haupttempels und zu beiden Seiten desselben, (- in 777 Meter
Meereshöhe -) sind kleine Räume ausgemeißelt, aus
denen wir große Schwärme von Fledermäusen
aufscheuchten. An dem Eingange zu den Tempelgrotten stehen
außen ein paar kleinere Tempel, von herrlichen heiligen
Feigenbäumen überschattet; einige buddhistische Priester,
die hier ihr Leben zubringen, bettelten um Almosen. Während sie
zum Danke dafür ein Gebet hinmurmelten, ertönte oben von
der Höhe der Felsen lautes Geschrei, und als wir hinblickten,
sprangen in eiligen Sätzen mehrere große schwarze
A f f e n (Wanderuh's) davon. Es
waren dies die ersten Affen, die ich in wildem Naturzustande erblickte;
im Vergleiche zu den schmutzigen und nackten Bettelmönchen zu
unseren Füßen erschienen sie mir als deren Vorfahren recht
verehrungswürdig.
Der Blick von der Pforte der Carlie-Tempel, noch besser von den
vorspringenden Felsen oberhalb derselben, auf welche wir den Affen
nachkletterten, umfaßt das Plateau von Lanaulie. Dasselbe
erstreckt sich in gleichmäßiger Ebene ziemlich weit nach
Puna hin, und ist rings eingeschlossen von einem Kranze niederer,
größtentheils kahler Hügel. Hier beginnt das
mächtige Tafelland von Dekkan, das den größten Theil
der vorderindischen Halbinsel einnimmt und sich gegen Osten, gegen die
Voromandelküste allmälig herabsenkt, während es
nach Westen, gegen das Konkan und die Malabarküste,
größtentheils steil abfällt. Sehr befriedigt von dieser
Excursion, welche uns in einen der interessantesten Theile desselben
führte, verließen wir Lanaulie am Mittag des 12. November
und waren schon vor Sonnenuntergang wieder in Bombay.
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Kurt Stübers online library of biological
books. © 2001, by Kurt
Stueber