Das schöne Pfingstfest habe ich auf meine Weise, d. h. traurig und fröhlich
zugleich, zugebracht. Am Sonntag wollte ich in die Kirche; trotzdem ich aber
schon 5 Minuten vor voll da war und noch kein Orgelton zu hören war, standen
doch die Leute vor den geöffneten Türen bis auf die Straße hinaus, so daß an
Hören nicht zu denken war. Dafür hörte ich den andern Morgen eine recht gute
Frühpredigt. Da es so schönes Wetter war, hätte ich gar zu gern enen
ordentlichen Ausflug gemacht. Meine Bekannten hatten sämtlich eine größere
dreitägige Tour nach dem schönen, unterhalb gelegenen Wertheim unternommen,
an der ich aus verschiedenen Gründen, schon weil es viel zu weit war, nicht
teilnehmen konnte. Ich mußte mich also begnügen, in Erinnerungen an die
früheren Pfingstferien zu schwelgen, die ich immer in schönen Gegenden
verbracht hatte, namentlich die vor 2 Jahren, wo ich mit Karl in Koburg war.
Die schöne Sonne, welche nach vielen Regentagen zum erstenmal wieder im
ganzen Glanze erschien, lockte mich aber doch gar zu sehr hinaus, und so
entschloß ich mich, auf eigne Faust in den 1 Stunde entfernten Zeller Wald
zu wandern. Schon auf dem Hinweg hatte ich einen großen Triumpf; ich fand
nämlich an einer alten Weinbergsmauer ein seltnes, merkwürdiges Farrenkraut,
Ceterach officinarum, für das bisher nur ein einziger unsicherer Standort in
der hiesigen Flora bekannt war. Auf der Höhe vor dem Wald hat man eine
herrliche Aussicht auf das ganze Maintal mit Stadt und Festung. Leider
konnte ich nicht zeichnen, da es sehr windig war. Im Walde drin war es ganz
herrlich, so windstill und ruhig und doch so sonnig und wonnig unter den
schönen alten Buchen, daß ich mir aus schönem Moos (wovon ein Exemplar
beiliegt) am Fuße eines uralten Baums ein förmliches Lager bereitete - dann
- (hört! hört!), mir selbst sehr komisch vorkommend, mit wahrem innigen
Vergnügen ein paar Bücher "Odyssee" im Urtext las! Von Zeit zu Zeit streckte
ich mich dann recht träumerisch aus und dachte mit inniger Sehnsucht an
meine fernen Lieben. Jetzt wurde mir aber auch recht schmerzlich klar, wie
sehr mir ein intimer Freund fehlt, dem ich so recht mein Inneres erschließen
könnte. Es gehört auch mit zu meinem Pech, daß ich wohl nie so einen finden
werde. Ich kenne hier zwar viele sehr nette Leute; diese bilden aber einen
abgeschlossenen Kreis für sich, in den ich wohl kurioses Kraut nicht
eintreten kann und darf. Daß dieses schmerzliche Entbehren nicht an mir
liegt, könnt Ihr daraus entnehmen, daß ich wirklich ganz ernstlich darauf
ausgehe, mir einen Herzensfreund zu erjagen, fast wie Diogenes mit der
Laterne. Doch was kohle ich da wieder für ein Zeug; lieber zu unserm Wald
zurück, der wirklich ganz herrlich war, und indem es mir (wirklich fast
sentimental und graulich) bei Vogelgesang und Windesrauschen so herrlich
wohl gefiel, daß ich erst spät am Abend mich davon trennen konnte und mit
meiner Trommel voll schönem Efeu, mit dem ich dann Humboldts Bild bekränzte,
am Main nach Hause wanderte und mich noch am Anblick eines ganz mit
Studenten bepflanzten Dampfschiffes ergötzte, die eine Tour gemacht hatten.
Solche kleinen Dampfschifftouren wurden an den Feiertagen mehrere und
werden, wie ich höre, den ganzen Sommer hindurch an jedem schönen Sonn- und
Feiertag (deren es wöchentlich 1-2 gibt!) von geschlossenen Gesellschaften
und publice unternommen, und zwar sowohl von dem sehr vergnügungssüchtigen
Volk als von den nicht minder ihr Leben genießenden Studenten. Auch ich nahm
am 2ten Feiertag mittag mehr spaßeshalber als aus wahrer Lust (da ich ja
allein war) an einer solchen teil und fuhr um 2 Uhr auf einem mit Blumen und
Fahnen geschmückten Dampfer, dem bald zwei andere nachfolgten, den Main
hinunter nach dem 1 1/2 Stunden entfernten Veitshöchheim. Die Fahrt selbst
auf den mannichfachen Windungen des Mains, abwechselnd zwischen Rebenhügeln
und Wäldchen hin, machte mir viel Freude und erinnerte mich sehr an unsere
letzte Rheinreise, wo ich zum letztenmal auf einem Dampfschiffe gefahren
war. Am Bestimmungsort angelangt, stürzte alles sogleich in den fürstlichen
Park, von dem mir meine Wirtin nicht genug hatte erzählen und vormalen
können, wie herrlich und prächtig es dort sei. Ich hatte schon an einem
einzigen Blick genug, als ich, kaum eingetreten, vor mir eine lange Allee
von grauenhaft verstümmelten Buchen sah, die eine wie die andere zu
regelmäßig vierseitigen Pyramiden zugestutzt waren. Als ich nun vollends sah
und hörte, wie sowohl die "haute volée" als das "profanum vulgus" von
Würzburg in den tönendsten Phrasen laut diese greulichen altfranzösischen
Geschmacklosigkeiten, steinernen Liebesgötter, verschnittenen
Buchsbaumfiguren, chinesische Pavillons usw. bewunderte, machte ich sogleich
linksum kehrt und lief schnurstracks in den 3/4 Stunden entfernten
Edelmannswald, einen berühmten botanischen Standort, wo ich zwar keine
Menschen (leider!?), aber desto herrlichere Waldbäume fand, zwischen denen
ich mich ein paar Stunden planlos herumtrieb. So kam ich auch unvermutet auf
eine kahle Waldecke, von der aus man einen herrlichen Blick das ganze
Maintal hinunter hat, der mir sehr überraschend war. Es standen zwar schöne,
seltne, auch neue Pflanzen dort, aber alles noch nicht blühend, da die ganze
Vegetation wenigstens 3-4 Wochen zurück ist wegen der großen Kälte. Um 7 Uhr
trat ich die Rückfahrt an, auf welcher mir das Beobachten des bier- und
liebeseligen Volks, das in dem "harrlich kunstboren" Garten seine südlichen
Gefühle noch um einige Prozent erhöht hatte, viel Spaß machte. Da alles, vom
Kapitän bis auf den Heizer hinunter, ziemlich stark angesäuselt war, so
kamen wir erst sehr spät nach Würzburg, unter fortwährendem Böllerschießen,
Schreien, Jubeln, Jauchzen, Singen und grauenhafter Produktion einer
Musikbande, die den ganzen Vormittag ihre Talente hatte spielen lassen. So
oft sich ein paar Menschen am Ufer oder eine lustige Dorfgesellschaft
zeigte, schrie die ganze, mehrere hundert Personen starke
Schiffsgesellschaft laut ein "Vivat hoch!" hinüber, wehte mit den Tüchern
und ließ sich von den Dorfmusikanten mit einem Tusch antworten. Obgleich ich
auf der ganzen Fahrt kein bekanntes Gesicht sah und kein Wort sprach, machte
sie mir doch bei dem herrlichen Wetter viel Freude. Nun folgte bis gestern
aber wieder ein wahrhaft sündflutliches Regenwetter, das nur an einem Tage
aussetzte. An diesem machte ich solo eine Exkursion über die nördlichen
Weinberge nach Versbach, wobei ich die schöne Traubenhyazinthe (Muscari
racemosum ), die wir in unsern Gärten hatten, blühend fand, nach einem
schönen Moose aber vergeblich suchte. Sonst ist mir diese Woche sehr still
und einsam vergangen . . .