Pittoreske Ansichten der Cordilleren und Monumente americanischer Völker

Alexander von Humboldt

Tübingen, 1810

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Tafel 7


Hohe Auflösung

Pyramide von Cholula.

Unter den Völkerschwärmen, die vom siebenten bis zwölften Jahrhundert unsrer Zeitrechnung nach auf dem mexicanischen Boden erschienen sind, zählt man fünfe, nämlich die Tolteken, die Cicimeken, die Acolhuen, die Tlascalteken und die Azteken, die, trotz ihrer politischen Trennungen, die nemliche Sprache und den nemlichen Gottesdienst hatten, und pyramidalförmige Gebäude aufführten, welche sie als Teocalli´s, das ist, als Wohnungen ihrer Götter, ansahen. Diese Gebäude, obschon von sehr verschiedener Grösse, hatten doch alle einerlei Form; sie waren Pyramiden von mehreren Absätzen, deren Seiten sich genau nach der Mittags- und der Parallel-Linie des Orts richteten. Der Teocalli erhob sich mitten auf einem viereckigten, mit einer Mauer eingefassten, Raum, der mit dem Peripolos der Griechen verglichen werden kann, und Gärten, Springbronnen, die Wohnungen der Priester, und manchmal auch Waffen-Magazine einschloss; indem jeder mexicanische Göttertempel ein fester Ort war, wie der des Baal Berith, welcher von Abimelech verbrannt wurde. Eine grosse Treppe führte auf den Gipfel der abgestumpften Pyramide. Oben auf dieser Platt-Form standen eine, oder zwei thurmartige Kapellen, in denen man die kolossalen Bildsäulen der Gottheit, welcher der Teocalli gewidmet war, aufgestellt hatte. Diesen Theil des Gebäudes muss man als den wesentlichsten ansichen; es ist der Naos, oder vielmehr Secos der griechischen Tempel. Hier war es auch, wo die Priester das heilige Feuer unterhielten. Wegen der besondern Form des Gebäudes konnte der opfernde Priester von einer grossen Menge Menschen zugleich gesehen werden. Das Innere des Gebäudes diente zum Begräbnisort der Könige und der angesehendsten Mexicaner. Unmöglich kann man die Beschreibungen Herodots und Diodors von Sicilien von dem Tempel des Jupiter Belus lesen, ohen die Aehnlichkeit dieses babylonischen Monuments mit den Teocalli´s von Anahuac auffallend zu finden.

Als im Jahr 1190 die Mexicaner oder Azteken, einer von den sieben Stämmen der Anahuatlacs (Uferbewohner) in der Aequinoktial-Gegend Neu-Spaniens ankamen, fanden sie daselbst schon die pyramidalförmigen Monumente von Teotihuacan, von Cholula oder Cholollan und von Papantla. Sie schrieben diese grosse Bauten der mächtigen und civilisirten Nation der Tolteken zu, welche fünfhundert Jahre früher Mexico bewohnte, sich der Hieroglyphen-Schrift bediente, und ein viel genaueres Jahr und eine weit richtigere Chronologie hatte, als die meisten Völker der alten Welt. Die Azteken selbst wussten nicht, welcher Stamm das Land von Anahuac vor den Tolteken inne gehabt und legten daher den Tempeln von Teotihuacan und Cholollan ein hohes Alter bei, da sie sie für ein Werk der Tolteken hielten. Es wäre indess möglich, dass sie schon vor der Ankunft der letztern, d. h. vor dem Jahr 648 unsrer Zeitrechnung, erbaut worden wären. Uebrigens dürfen wir uns nicht wundern, dass die Geschichte keines americanischen Volks vor dem siebenten Jahrhundert beginnt, und dass die der Tolteken eben so ungewiss ist, als jener der Pelasger und der Ausonier. Hat doch ein tiefforschender Gelehrter, Herr Schlözer, bis zur Evidenz bewiesen, dass die Geschichte des Nordens von Europa nicht höher, als bis in zehnte Jahrhundert, hinaufreicht, um welche Zeit der mexicanische Plateau bereits eine weit höhere Civilisation darstellte, als Dännemark, Schweden und Russland.

Der, dem grossen Geist tezcatlipoca und dem Kriegsgott, Huitzilopochtli, geweihte, Teocalli zu Mexico wurde von den Azteken, nach dem Muster der Pyramiden von Teotihuacan, erbaut, und zwar nur sechs Jahre vor der Entdeckung America´s durch Christoph Columb. Diese abgestumpfte Pyramide, welche Cortes den Haupttempel nennt, hatte, an ihrer Base eine Breite von 97 Meters, und eine Höhe von ungefähr 54 M. Man darf sich gar nicht wundern, dass ein Gebäude von solchem Umfang wenige Jahre schon nach der Belagerung von Mexico zerstört war. Sieht man in Egypten doch kaum noch einige Ueberbleibsel von den ungeheuren Pyramiden, welche sich aus der Mitte des Sees Moeris erhoben, und nach Herodots Zeugniss mit kolossalen Bildsäulen geziert waren. Eben so sind auch die Pyramiden des Porsenna, deren Beschreibung etwas fabelhaft klingt, und unter welchen viere, wie Varro meldet, über 80 Meters Höhe hatten, in Etrurien verschwunden (Plin. XXXVI. 19.)

Rissen indess die europäischen Eroberer auch gleich die Teocalli´s der Azteken nieder, so gelang es ihnen doch nicht, ältere Monumente, welche man der toltekischen Nation zuschreibt, auf gleiche Weise zu zerstören. Wir wollen nun eine kurze Beschreibung von diesen, wegen ihrer Form und Grösse gleich merkwürdigen, Monumenten geben.

Die Pyramiden-Gruppe von Teotihuacan steht in dem Thal von Mexico, in einer Entfernung von acht Meilen nord-östlich von der Hauptstadt, und zwar auf einer Ebene, welche Micoatl, (die Strasse der Todten,) genannt wird. Man sieht daselbst noch jetzt zwei grosse, der Sonne (Tonatiuh) und dem Monde (Meztli) geweihte, Pyramiden, die von mehreren hunderten kleiner Pyramiden umgeben sind, welche genau von Nurden nach Süden und von Osten nach Westen laufende Strassen bilden. Von den beiden grossen Teocalli´s hat der eine 55, und der andre 44 Meters senkrechte Höhe. Die Basis des erstern ist 208 Meters land, woraus sich, den, im Jahr 1803 von Herrn Oteyza angestellten, Messungen zufolge, ergiebt, dass der Tonatiuh Yztaqual höher ist, als der Mycerinus, oder die dritte von drei grossen Pyramiden zu Ghize, und dass die Länge ihrer Bais der des Cepren ungefähr gleichkommt. Die kleinen Pyramiden, welche die grossen Häuser der Sonne und des Monds umgeben, sind kaum 9 bis 10 Meters hoch, und dienten, nach der Sage der Eingebornen, zu Begräbnissplätzen für die Häupter der Stämme. Auch um den Cheops und den Mycerinus her in Egypten unterscheidet man acht kleine, mit vieler Symmetrie aufgestellte, und mit den grossen parallellaufende, Pyramiden. Die beiden Teocalli´s von Teotihuacan hatte vier Haupt-Absätze, von denen jeder wieder in kleine Stufen, deren Kanten noch bemerkbar sind, abgetheilt war. Ihr Kern besteht aus Thon, mit kleinen Steinen vermischt, und ist mit einer dicken Mauer von Tezontli, oder porösem Mandelstein, bekleidet. Diese Bauart erinert an einer der egyptischen Pyramiden zu Sakhare, welche sechs Absätze hat, und nach Pocoke´s Beschreibung (S. Reise, in der Neuchateller Ausgabe 1752. B. I. S. 147.) eine, von aussen mit rohen Steinen bekleidete, Masse von Kieseln und gelbem Mörtel ist. Oben auf den mexicanischen Teocalli´s standen zwo kolosssale Statuen der Sonne und des Monds, von Stein und mit Goldplatten überzogen, welche von Cortes Soldaten weggenommen wurden. Aus der Bischof Zumaraga, vom Franciscaner-Orden, alles zu zerstören unternahm, was auf den Gottesdients, die Geschichte und die Alterthümer der Eingeborenen von America Bezug hatte, liess er auch die Idole auf der Ebene von Micoatl zertrümmern. Noch sieht man daselbst die Reste einer Treppe von grossen gehauenen Steinen, welche vor Alters auf die Plattform des Teocalli´s geführt hatte.

Oestlich von der Pyramiden-Gruppe von Teotihuacan, wenn man die Cordillere, gegen den Gold von Mexico zu, herabsteigt, erhebt sich in einem dichten Walde, Tajin genannt, die Pyramide von Papantla. Der Zufall liess sie erst vor nicht völlig dreissig Jahren durch spanische Jäger entdecken; denn die Indianer suchen den Weissen alle Gegenstände alter Verehrung zu verbergen. Die Form dieses Teocalli´s welcher sechs, ja vielleicht sieben Stockwerke gehabt hat, ist schneller aufschiessend, als an den übrigen Monunten dieser Gattung. Seine Höhe beträgt ungefähr 18 Meters, und seine Basenlänge nur 25 M.; er ist folglich um die Hälfte niedriger, als die Pyramide des Cajus Cestius zu Rom, welche 33 M. hoch ist. Dieses kleine Gebäude ist ganz von ausserordentlich grossen, behauenen Steinen aufgeführt, welche sehr schön und regelmässig gearbeitet sind. Auf seine Spitze führen drei Treppen. Die Bekleidung der Absätze ist mit hieroglyphischen Bildhauer-Arbeiten, und vielen, sehr symmetrisch vertheilten, kleine Nischen geziert, deren Zahl auf die 378 einfachen und zusammengesetzten Zeichen der Tage des Compohualilhuitl, oder des gemeinen Kalenders der Tolteken, anzuspielen scheint.

Das gröste, das älteste und berühmteste unter allen pyramidalischen Monumenten von Anahuac ist der Teocalli von Cholula. Man nennt ihn heutzutag den, von Menschenhänden gemachten, Berg (monte hecho a mano), und von weitem könnte man ihn auch wirklich für einen, mit Vegetation bedeckten, natürlichen Hügel halten. Auf der siebenten Platte ist diese Pyramide in ihrem gegenwärtigen Verfall vorgestellt.

Die grösse Ebene von Puebla ist durch die vulcanische Bergekette, welche sich von dem Popocatepetl bis gegen den Rio Frio und den Pic von Telapon hin erstreckt, von dem Thal von Mexico getrennt.(S. meinen mexicanischen AtlasI, Pl. III. und IX.) Diese fruchtbare, aber baumlose Ebene ist reich an interessanten Gegenständen für die mexicanische Geschichte. Sie umfasst die Hauptorte der drei Republiken von Tlascala, Huexotingo und Cholula, welche, unerachtet ihrer unaufhörlichen Zwistigkeiten, dennoch dem Despotismus und Usurpationsgeist der aztekischen Könige widerstanden haben.

Heutzutag zählt die kleine Stadt Cholula, die von Cortes in seinen Briefen an den Kaiser Karl V. mit den volkreichsten Städten Spaniens verglichen wird, kaum noch 16,000 Einwohner. Die Pyramide steht östlich von der Stadt, auf der Strasse nach Puebla. Die Westseite, welche unser Kupferstich darstellt, ist sehr gut erhalten. Die Ebene von Cholula, zeigt den nemlichen Karakter von Nacktheit, welcher allen, 2200 Meters über die Meeresfläche erhabenen, Plateau´s eigen ist. Auf dem Vordergrund unterscheidet man einige Agaven-Stämme und Drachenbäume. In der Ferne entdeckt man die Spitze des, mit Schnee bedeckten, Vulcans von Orizaba, eines kolossalen Bergs von 5,295 Meters absoluter Höhe, von welchem ich eine Zeichnung in dem mexicanischen Atlas, Pl. XVII. bekannt gemacht habe.

Der Teocalli von Cholula besteht aus vier, gleich hohen, Absätzen, und scheint genau nach den vier Himmels-Gegenden gestellt gewesen zu seyn. Da aber die Kanten an den Absätzen nicht mehr genau ausgedrückt sind, so ist ihre ursprüngliche Richtung schwer zu erkennen. Dieses pyramidalische Monument hat eine weit ausgedehntere Basis, als iregend ein, in der alten Welt entdecktes, Gebäude dieser Art. Ich habe es mit Sorgfalt gemessen, und mich überzeugt, dass seine perpendikuläre Höhe nur 45 Meters hat, jede Seite der Basis hingegen 439 M. lang ist. Torquemada giebt ihm 77 Meters Höhe; Betancourt 65, und Clavigero 61 M. Bernal Dial del Castillo ein gemeiner Soldat bei Cortes Zuge, zählte zum Zeitvertreib die Treppenstufen, welche auf die Platt-Formen der Teocalli´s führten, und fand bei dem grossen Tempel zu Tenochtitlan 114, bei dem zu Tezcuco 117, und bei der Pyramide von Cholula 120. Die Basis der letztern ist zweimal grösser, als an der des Cheops; ihre Höhe übersteigt aber die der Pyramide des Mycerinus nur um Weniges. Vergleicht man die Dimensionen des Sonnenhauses zu Teotihuacan und der Pyramide von Cholula mit einander, so sieht man, dass das, Volk, welches dieses merkwürdige Monumente erbaute, die Absicht hatte, ihnen einerlei Höhe, aber eine Länge-Basis zu geben, die sich wie 1 zu 2 verhalten sollte. Das Verhältniss zwischen der Basis und der Höhe ist dagegen bei den verschiedenen Monumenten sehr abweichend. Bei den drei grossen Pyramiden von Ghize verhält sich erstere zu der letztern wie 1 zu 1 7/10; bei der mit Hieroglyphen bedeckten Pyramide von Papantla wie 1 zu 1/10; bei der grossen Pyramide von Teotihuacan wie 1 zu 3 7/10 und bei der zu Cholula wie 1 zu 7 8/10. Letzteres Monument ist von ungebrannten Ziegelsteinen (Xamilli), welche mit Thonlagen abwechseln, aufgeführt. Die Indianer von Cholula haben mich versichert, dass das Innere der Pyramide hohl sey, und dass ihre Vorfahren bei dem Aufenthalt des Cortes in der Stadt eine grosse Menge Krieger darin versteckt hätten, um die Spanier unversehens zu überfallen. Die Materialien aber, aus denen dieser Teocalli besteht, und das Stilleschweigen der Geschichtschreiber jenes Zeitalter machen diese Erzählung ziemlich unwahrscheinlich. (Cartas de Hernan Cortes; Mexico. 1770. S. 69.)

Es lässt sich jedoch nicht in Zweifel ziehen, dass in dieser Pyramide, wie in andern Teocalli´s, grösse Höhlungen gewesen sind, die zu Begräbnissen der Eingeborenen gedient haben. Ihre Entdeckung wurde durch einen besondern Umstand veranlasst. Vor sieben oder acht jahren hat man die Strasse von Puebla nach Mexico, welche vorher auf der Nordseite der Pyramide vorbeilief, verändert. Um diesem Weg eine gerade Richtung zu geben, wurde der erste Absatz durchgeschnitten, so dass nur noch ein Achttheil davon isolirt, wie ein Haufen Ziegel, stehen blieb. Bei dieser Arbeit nun entdeckte man ein viereckiges Haus, das von Steinen erbaut, und mit Balken von Cupressus disticha unterstützt war. Es enthielt zween Todtenkörper, Idole von Basalt und viele gefirnisste, künstlich gemahlte, Gefässe. Man nahm sich gar nicht die Mühe, diese Gegenstände aufzubewahren, will sich aber sorgfältig davon überzeugt haben, dass dieses, mit Ziegeln und Thonschichten bedeckte, Haus ohne Ausgang gewesen sey. Nimmt man an, die Pyramide sey nicht von den ersten Einwohner von Cholula, sondern durch Gefangene aus den benachbarten Völkern erbaut worden, so könnte man glauben, dass diese Leichname die Reste einiger unglücklicher Sklaven gewesen, welche man vorsätzlich in dem Innern des Teocalli´s habe umkommen lassen. Wir haben die Ueberbleibsel dieses unterirdischen Hauses untersucht, und eine besondere Anordnung der Ziegel bemerkt, welche die Verminderung des Drucks, den das Dach leiden musste, bezweckte. Weil die Einwohner keine Gewölbe zu machen verstanden, so legten sie sehr breite Ziegel horizontal auf einander, so dass die obern ober die untern hervortraten. Hieraus entstand eine stufenweise Zusammensetzung, welche einigermassen den gothischen Bogen ersetzte, von dem man auch in verschiedenen egyptischen Gebäuden Spuren gefunden hat. Es wäre merkwürdig, eine Gallerie durch den Teocalli von Cholula zu brechen, um seine innere Zusammensetzung zu untersuchen, und es ist auch wirlich zum Erstaunen, dass die Lust nach verborgenen Schätzen nicht bereits diese Unternehmen veranlasst hat. Als ich auf meiner peruanischen Reise die weitläuftigen Ruinen der Stadt des Chimú, in der Nähe von Mansiche, besuchte, gieng ich in das Innere der Huaca de Toledo, des Grabmahls eines peruanischen Prinzen, in welchem Garci Gutierez von Toledo im Jahr 1576, mittelst eines Schachtes, für mehr den fünf Millionen Franken an massivem Gold entdeckte, wie solches durch die Rechnungsbücher bewiesen ist, die in den Archiven von Truxillo ausbewahrt werden.

Der grosse Teocalli von Cholula, welcher auch der Berg von ungebrannten Ziegeln (Tlalchihualtepec) heisst, hatte auf seinem Gipfel einen dem Quetzalcoatl, dem Gott der Luft, gewidmeten Altar. Dieser Quetzalcoatl (dessen Namen eine, mit grünen Federn bekleidete, Schlange bedeutet, von coatl Schlange, und quetzalli, grüne Feder) ist ohne Zweifel das geheimnissvollste Wesen in der ganzen mexicanischen Mythologie. Er wird als ein weisser, bärtiger Mann geschildert, wie der Bochica der Muyscas, von dem wir weiter oben, bei der Beschreibung vom Wasserfall des Tequendama, gesprochen haben; war Ober-Priester zu Tula (Tollan), Gesetzgeber und Haupt einer religiösen Sekte, welche sich, gleich den Sonnyasis und den Buddhisten von Indostan, die grausamsten Bussübungen auflegte. Er führte den Gebrauch ein, sich Lippen und Ohren zu durchstechen, und die übrigen Körpertheile mit den spitzigen Blätter der Agave oder mit den Stacheln des Cactus zu verwunden, wobei Schilfröhren in die Wunde gesteckt wurden, damit man das Blut desto besser herabrieseln sah. In der vaticanischen Bibliothek habe ich auf einer Zeichnung (Codex anonymus, nro. 3738. Fol. I.) eine Figur gesehn, welche den Quetzalcoatl vorstellt, wie er durch seine Buss-Uebung den Zorn der Götter besänftiget, als 13,060 Jahre nach der Erschaffung der Welt, (ich folge der, sehr schwankenden, Chronologie des Paters Rios,) eine grosse Hungersnoth in der Provinz Culan herrschte. Der Heilige hatte sich auf dem Vulcan Calcitepetl (der redende Berg) bei Tlaxapuchicalco zurückgezogen, wo er mit blossen Füssen auf den stachlichten Blättern der Agave einhergieng. Man glaubt einen von jenen Rishi, Eremiten am Ganges, zu sehen, deren fromme Strenge die Puranas erheben. (Schlegel über Sprache und Weisheit der Indier. S. 132.)

Die Regierung des Quetzalcoatl war das goldene Zeitalter der Völkerschaften von Anahuac. Damals lebten alle Thiere und selbst die Menschen im Frieden, die Erde brachte die reichsten Erndten von selbst hervor, und eine Menge Vögel, welche wegen ihres Gesangs und der Schönheit ihres Gefieders bewundert wurden, erfüllten die Luft. Aber diese, der Saturnischen ähnliche, Regierung und das Glück der Welt waren nicht von langer Dauer. Der grosse Geist Tezcatlipoca, der Brohma der Völker von Anahuac, gab dem Quetzalcoatl einen Trank, der ihn unsterblich machte, ihm aber auch zugleich den Geschmack am Reisen, und besonders ein unwiderstehliches Verlangen einflösste, ein entlegenes Land, das die Tradition Tlapallan nennt, zu besuchen. (Clavigero, Storia di Messico. T. II. S. 12.) Die Aehnlichkeit dieses Namens mit dem von Huehuetlapallan, dem Vaterland der Tolteken, scheint wirklich nicht blos zufällig zu seyn. Wie soll man aber begreifen, dass dieser weisse Mensch, und Priester von Tula, sich, wie wir bald sehen werden, nach Süd-Osten, den Ebenen von Cholula zu, und von da nach den östlichen Küsten von Mexico gewandt haben, um in das Land zu gelangen, wo seine Voreltern im Jahr 596 unsrer Zeitrechnung ausgegangen waren.

Als Quetzalcoatl das Gebiet von Cholula durchzog, gab er den Bitter den Einwohner nach, welche ihm die Regierung anboten. Er blieb zwanzig Jahre bei ihnen, lehrte sie, Metallen schmelzen, setzte die grossen Fasten von 80 Tagen ein, und ordnete die Intercalationen des Toltekischen Jahrs. Er ermahnte die Menschen zum Frieden, und liess der Gottheit keine andre Gaben darbringen, als die Erstlinge der Erndten. Von Cholula gieng Quetzalcoatl an die Mündung des Flusses Goasacoalco, wo er verschwand, nachdem er den Cholulanern (Chololtecatles) hatte verkündigen lassen, dass er in einiger Zeit wieder zurückkehren werde, um sie aufs neue zu regieren, und ihr Glück zu erneuen.

Der unglückliche Montezuma glaubte in den Waffernbrüdern des Cortes die Nachkommen jenes Heiligen zu sehen. "Wir wissen aus unsern Büchern," sagte er in seiner ersten Unterredung mit dem spanischen General, "dass wir, ich, und alle, die dieses Land bewohnen, hier nicht unsern Ursprung haben, sondern als Fremde sehr weit hergekommen sind. Wir wissen auch, dass der Anführer unsrer Voreltern auf eine Zeitlang in sein erstes Vaterland zurückgegangen, und wiedergekommen ist, um die, welche sich hier niedergelassen hatten, zu besuchen. Er fand sie mit den Weibern dieses landes verheirathet, mit einer zahlreichen Nachkommenschaft, und in Städten wohnend, die sich erbaut hatten. Die Unsrigen wollten ihrem alten Herrn nicht mehr gehorchen, und so kehrte er allein zurück. Wir haben immer geglaubt, dass eine Nachkommen dereinst wieder von diesem Land Besitz nehmen würden. Bedenke ich also, dass ihr daher kommt, wo die Sonne aufgeht, und dass wir euch, wie ihr mich versichert, bekannt sind, so kann ich nicht zweifeln, dass der König, der euch gesangt hat, unser natürlicher Herr sei." (Erster Brief von Cortes, §. XXI und XXIX).

Noch heutzutage unter den Indianern von Cholula eine andre, sehr merkwürdige, Sage, kraft der die grosse Pyramide nicht ursprünglich dem Dienst des Quetzalcoatl gewiedmet war. Als ich nach meiner Rückkehr in Europa die mexicanischen Handschriften auf der vatikanischen Bibliothek in Rom untersuchte, fand ich diese nemlich Tradition bereits in einer Handschrift des Pedro de los Rios, eines Dominikaner-Mönchs, angeführt, welcher im Jahr 1566 alle hieroglypischen Mahlereien, die er sich verschaffen konnte, abzeichnete. "Vor der grossen Ueberschwemmung (Apachihuiliztli), im Jahr 4008 nach Erschaffung der Welt, war das Land Anahuac von Riesen bewohnt. (Tzocuillicxeques). Alle diejenigen, welche nicht umkamen, wurden mit Ausnahme von sieben, die sich in Höhlen geflüchtet hatten, in Fische verwandelt. Als die Wasser abgelaufen waren, gieng einer von diesen Riesen, Xelhuaz, genannt der Baumeister, nach Cholollan, wo er, zum Andenken an den Berg Tlaloc, der ihm und seinen sechs Brüdern zum Zufluchts-Ort gedient hatte, einen künstlichen Hügel von pyramidalischer Form aufführte. Die Ziegel dazu liess er in der Provinz Tlamanalco, am Fusse der Sierra von Cocotl, verfertigen, und stellte, um sie nach Cholula zu bringen, eine Reihe Menschen auf, die sie sich von Hand zu Hand boten. Die Götter sahen dieses Gebäude, dessen Spitze die Wolken erreichen sollte, mit Unwillen, und schleuderten, aufgebracht über Xelhua´s Kühnheit, Feuer auf die Pyramide. Viele Arbeiter kamen um, das Werk wurde nicht fortgesetzt, und man weihte es in der Folge dem Gott der Luft, Quetzalcoatl."

Diese Geschichte erinnert an die alten Ueberlieferungen des Orients, welche die Hebräer in ihren heiligen Büchern auf die Nachwelt gebracht haben. Noch jetzt bewahren die Cholulaner einen Stein, der der Angabe nach, in einer Feuerkugel aus den Wolken auf die Pyramide gefallenist. Dieser Aerolith hat die Gestalt einer Kröte. Um das hohe Alter dieser Fabel von Xelhua zu beweisen, bemerkt der Pater Rios, dass sie in einem Lied enthalten gewesen, welches die Cholulaner bei ihren Festen absangen, während sie um den Teocalli tanzten, und dass dieses Lied mit den Worten: Tulanian hululäez, die in keiner der gegenwärtigen mexicanischen Sprachen vorkommen, begonnen habe. Ueberall auf dem Erdboden, auf dem Rücken der Cordilleren, wie auf der Insel Samothracien auf den Aegeischen Meere, haben sich Bruchstücke der Ur-Sprachen in den religiösen Gebräuchen erhalten.

Die Plattform der Pyramide von Cholula, auf welcher ich sehr viele astronomische Beobachtungen angestellt habe, hält 4,000 Quadrat-Meters Umfang. Man geniesst daselbst eine prächtige Aussicht auf den Popocatepetl, den Iztaccihuatl, den Pic von Orizaba, und die Sierra von Tlascalla, welche durch die Gewitter berühmt ist, die sich um ihre Spitze sammeln. Man sieht zu gleicher Zeit drei Berge, die höher, als der Montblanc, und von denen zween brennende Volkane sind. Eine kleine, mit Cypressen umgebene, der heilgen Jungfrau de los Remedios geweihte, Kapelle hat den Tempel des Gotts der Luft ersetzt, und ein Geistlicher von indianischem Stamme liest täglich die Messe auf dem Gipfel dieses alten Monuments.

Zu Cortes Zeiten wurde Cholula für eine heilige Stadt gehalten. Niergends fand man eine grössere Anzahl von Teocalli´s, nirgends mehr Priester und religiöse Orden, (Tlamacazque) nirgends einen prächtigern Gottesdienst und grössere Strenge in den Fasten und Bussübungen. Noch jetzt hat die Einführung des Christenthums durch alle Symbole des neuen Cultus das Andenken an den alten nicht ganz unter den Indianern zu vertilgen vermocht. Das Volk kommt haufenweise, und von weitem her auf den Gipfel der Pyramide, um daselbst das Fest der heiligen Jungfrau zu begehen. Ein heimlicher Schauder, eine religiöse Ehrfucht ergreift den Eingebornen beim Anblick dieser ungeheuren, mit Gesträuchen und immer frischen Rasen bedeckten Masse.

Wir haben weiter oben die grosse Aehnlichkeit zwischen der Bau-Art der mexicanischen Teocalli´s und der von Tempel des Bel´s oder Belus zu Babylon bemerkt. Sie fiel schon dem Herrn Zoëga auf, ob er sich gleich keine andre, als nur sehr unvollständige Beschreibungen der Pyramiden-Gruppe Teotihuacan verschaffen konnte. (De Obeliscis., S. 380). Nach Herodot, welcher Babylon besuchte, und den Tempel des Belus sah, hatte dieses pyramidalische Monument acht Absätze. Seine Höhe betrug ein Stadium, und die Breite des Basis kam der Höhe gleich. Die Mauer, welche den äussern Raum bildete, (peribolos) hatte zwei Stadien ins Gevierte. (Ein gemeines, olympisches Stadium betrug 183 Meters; das egyptische aber nur 98 M.) (Vincent, Voyage de Néarque, S. 56.) Die Pyramide war von Ziegeln und Asphalt erbaut, und hatte einen Tempel (Naos) auf ihrer Spitze, und einen andern an ihrer Base. Der erstere erhielt, nach Herodot, keine Statuen, sondern nur eine goldene Tafel und ein Bette, auf welchem eine, von dem Gott Belus ausgewählte, Frau ruhte. (Herodot. B. I. K. CLXXXI-CLXXXIII.) Dagegen versichert Diodor von Sicilien, dass in dem obern Tempel ein Altar und drei Statuen gestanden haben, denen er, nach griechischen Religionsbegriffen, die Namen des Jupiters, der Juno und der Rhea beilegt. (Diodorus Siculus, edit. Wesselingiana, B. I. lib. II. S. 123.) Allein diese Bildsäulen und das ganze Monument überhaupt waren zu Diodors und Strabo´s Zeiten nicht mehr vorhanden. Auch in den mexicanischen Teocalli´s unterschied man, wie in dem Tempel des Bel, das untere Naos von demjenigen, welches sich auf der Platform der Pyramide befand. Diese Unterscheidung ist in Cortes Briefen, so wie in der Geschichte der Eroberung durch Bernal Diaz, deutlich angegeben, welcher mehrere Monate lang in dem Pallaste des Königs Axajacatl, folglich dem Teocalli des Huitzilopochtli gegenüber, gewohnt hat.

Keiner von den alten Schriftstellern, weder Herodot noch Strabo (Buch XVI, 211), noch Diodor, noch Pausanias (B. VIII. edit Xyland. S. 509), noch Arrian (Buch VII, 17.), noch Quintus Curtius (B. V. 1 und 37.), berichten, dass der Tempel des Belus, wie die egyptischen und mexicanischen Pyramiden, nach den vier Weltgegenden gerichtet gewesen sei. Nur Plinius bemerkt, dass Belus für den Erfinder der Astronomie gehalten werde: inventor hic fuit sideralis scientiae (B. VI. 30.), und Diodor sagt, dass der babylonische Tempel den Chaldäern zur Sternwarte gedient habe. "Man stimmt darin überein, drückt er sich aus, dass dieses Gebäude von einer ausserordentlichen Höhe gewesen, und dass die Chaldäer auf demselben ihre Beobachtungen der Gestirne angestellt haben, weil ihr Auf- und Nieder-Gang wegen seiner Höhe sehr genau gesehen werden konnte." Auch die mexikanischen Priester (Teopixqui) beobachteten oben auf ihren Teocalli´s den Stand der Gestirne, und zeigten dem Volk, mittelst eines Horns, die Stunden der Nach an. (Gama, descripcion cronologica de la piedra calendaria. Mexico 1792. S. 15). Diese Teocalli´s wurden in dem Zeitraum zwischen Mohameds Epoche und der Regierung Ferdinands und Isabellens aufgeführt, und man sieht nicht ohne Erstaunen, dass americanische Gebäude, welche eine fast identische Form mit den ältesten Monumenten am Euphrat haben, einer uns so nahen Zeit angehören.

Betrachtet man die pyramidenförmigen Denkmale in Egypten, in Asien und der neuen Welt, aus Einem Gesichtspunkt, so sieht man, dass sie, trotz der Uebereinstimmung ihrer Form, eine sehr verschiedene Bestimmung hatten. Die Pyramiden-Gruppen zu Ghize und zu Sakhara in Egypten; die dreieckige Pyramide der Königen der Scythen, Zarina, welche Ein Stadium hoch, drei breit, und mit einer kolossalen Figur geziert gewesen war (Diodor. Sicul. B. II. K. XXXIV.); die vierzehn etrurische Pyramiden, die in dem Labyrinth des Königs Porsenna, zu Clusium, eingeschlossen gewesen seyn sollen - alle diese Monumente waren zu Begräbnissplätzen erlauchter Personen erbaut worden. Nichts ist ja dem Menschen natürlicher, als die Stelle zu bezeichnen, wo die Reste von denen ruhen, deren Andenken ihm theuer ist. Anfangs sind es einfache Erdhaufen; in der Folge werden es Tumulus von staunenerregender Höhe. Die der Chinesen und Thibetaner sind nur einige Meters hoch (Duhalde, Description de la Chine, B. II. S. 126, Asiatick Researches, B. II. S. 314.). Mehr nach Westen steigen die Dimensionen bereits. Der Tumulus von Crösus Vater, des Königs Alyattes in Lydien, hatte sechs Stadien, und der von Ninus über zehn Stadien im Durchmesser (Herodot. L. I. K. XCIII. Ctesias beim Diod. Sic. B. II. K. VII.). Im nördlichen Europa finden wir die Gräber des scandinavischen Königs Gormus und der Königin Daneboda mit Erdhügeln bedeckt, welche 300 Meters breit und über 30 Meters hoch waren. Dergleichen Tumulus finden sich auf beiden Halbkugeln, in Virginien und in Canada, wie in Peru, wo zahlreiche Gallerien von Stein erbaut, und unter sich durch Gesenke in Verbindung stehend, das Innere der Huacas, oder künstlichen Hügel, einnehmen. Das asiatische Luxus behielt die ursprüngliche Form dieser rohen Monumente bei, verstand sie aber zu verschönern. Die Gräber von Pergamus sind Kegel von Erde auf einer zirkelförmigen Mauer, die mit Marmor bedeckt zu seyn scheint (Choiseul Gouffier, Voyage pittoresque de la Grece, B. II. S. 27-31.).

Die mexicanischen Teocalli´s waren zugleich Tempel und Gräber, und wir haben oben angeführt, dass die Ebene, auf welcher sich die Häuser der Sonne und des Monds von Teotihuacan erheben, die Strasser der Todten genannt wurde. Der wesentlichste und wichtigste Theil eines Teocalli´s war jedoch die Kapelle, der Naos, auf der Spitze des Gebäudes. Beim Beginnen der Civilisation wählen sich die Völker erhabene Orte, um ihren Göttern zu opfern, und die ersten Altäre und Tempel wurden auf Bergen errichtet. Stehen diese Berge frei da, so giebt man ihnen gerne regelmässige Formen, behaut sie in Absätze, und bringt Stufen an, um ihren Gipfel leichter zu besteigen. Beide Continente liefern eine Menge Beispiele von dergleichen, in Terrassen abgetheilten, und mit Mauern von Ziegeln oder Stein bekleideten Hügeln. Auch die Teocalli´s scheinen mir nicht anders zu seyn, als mitten auf einer Ebene aufgeführte künstliche Hügel, die den Altären zur Basis dienen sollten. Wirklich giebt es auch nichts imposanters, als ein Opfer, das von dem ganzen Volk zugleich gesehen werden kann! - Ich muss hier bermerken, dass die instostan´schen Pagoden mit den mexicanischen Tempeln gar nichts gemein haben. Die von Tanjore, von der wir dem Herrn Daniell (Oriental Scenery. Kupft. XVII.) prächtige Zeichnungen verdanken, ist ein Thurm von mehrern Absätzen; allein der Altar befindet sich nicht auf der Spitze des Gebäudes.

Die Pyramide des Bel war zugleich der Tempel und das Grab dieses Gottes. Strabo redet nicht einmal davon, als von einem Tempel, sondern nennt sie geradezu das Grabmahl des Belus. Der Tumulus (choma) in Arcadien, welcher die Asche der Callisto einschloss, trug auf seiner Spitze einen Tempel der Diana, und Pausanias (B. VIII. K. XXXV.) beschreibt ihn als einen, von Menschenhänden gemachten, mit aller Vegetation bedeckten, Kegel. Da haben wir also ein sehr merkwürdiges Monument, bei dem der Tempel blos eine zufällige Verzierung ist, und es kann gleichsam zum Uebergagn von den Pyramiden von Sakhara zu den mexicanischen Teocalli´s dienen.

(Siehe meinen politischen Versuch über das Königreich Neu-Spanien, an verschiedenen Stellen.)


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