Richard Semon: Im australischen Busch und an den Küsten des Korallenmeeres. (1903)

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Australischer Baumschlag. 85

ähnliches, freilich in schwächerem Maße, bieten: unsre Birken und Weiden im Frühlingskleid und den Ölbaum. Diese sind aber nur winzige Zwerge gegen die riesigen, und doch fein gebauten Gestalten der australischen Eucalypten. Übrigens sieht man auch selten genug einen schön entwickelten, wohl gewachsenen Ölbaum. Nur ausnahmsweise findet man die Eucalypten zu schönen Gruppen vereinigt, und die endlos sich ausdehnende Parklandschaft mit ihren isoliert stehenden Bäumen hat in der Tat etwas monotones. Um so mehr erfreut sich aber dann das Auge am Anblick des Flußufers, an dessen hohen Bänken die schönen blue gums als himmelanstrebende Wachtposten stehen; weithin leuchtet die weiße Rinde des Stammes, und die sanftgrüne Krone läßt das tiefe reine Blau des Himmels in tausend kleinen Flecken und Punkten durchschimmern.

Ebenso eigenartig und reizvoll ist der Anblick des weißschimmernden breiten Flußbettes, an den Rändern umsäumt von dichtstehenden Casuarinen und tea-trees, an vielen Stellen erfüllt von umgestürzten Bäumen, die ihre Wurzeln in phantastischer Weise in die Luft recken.

Das Wasser der Flüsse selbst bildet am Burnett in der Trockenzeit nur an den Stellen ein wesentliches und belebendes Moment der Landschaft, wo sich weitausgedehnte Austiefungen, »Waterholes« befinden. Bei Ideraway hat der Burnett einige malerische Stromschnellen oder Fälle. Großartig wild und schön ist der Anblick des Flusses, wenn er zur Flutzeit sein kilometerbreites Bett erfüllt, und ansteigend und überquellend unter Schäumen dahinrast, mit entwurzelten Bäumen beladen, die Luft weithin mit Brausen erfüllend.

Alle diese Schönheiten sind aber wie gesagt nicht solche, wie sie einem gleich beim ersten Blick aufgehen und wie sie jeden sofort zu Entzücken oder Bewunderung hinreißen, gleich der strahlenden Pracht der süditalienischen Küste, der ernsten Majestät der Hochalpen, dem abwechslungsvollen Reichtum des tropischen Urwaldes. Es bedarf der intimeren Kenntnis, um zum Genuß durchzudringen. Wem das Eigenartige Freude macht, und wer sich nicht verdrießen läßt, das Schöne erst zu suchen, wird manche Perle entdecken. Wer überall dieselben Schönheiten sehen will, die ihm als solche schon in seiner Kindheit vorgestellt sind, und ohne die Eigenschaften des Farbenreichtums und der üppigen Vegetation keine Landschaft als schön gelten lassen will, der wird das Land am Burnett ein »country äs utterly uninteresting and monotonous as can well be imagined« finden, wie ein Besucher desselben es tatsächlich getan hat.


Faxsimile (Scan) dieser Textseite.

Das Original des Werkes wurde freundlicherweise von der Universitätsbibliothek Köln zur Verfügung gestellt. Einscannen und bearbeiten durch Frank Al-Dabbagh, Oktober, 2003.
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© Kurt Stueber, 2003