Richard Semon: Im australischen Busch und an den Küsten des Korallenmeeres. (1903)

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250 Die Ureinwohner Australiens.

läßt. Die Abwesenheit der Missionäre unter den Queensländer Schwarzen spricht eine deutliche Sprache: sie bedeutet Verzicht dieser unermüdlichen, sonst vor keiner Schwierigkeit zurückschreckenden Menschenfreunde, den Kulturzustand der australischen Wilden zu beeinflussen. Während man die größten Anstrengungen macht, die Papuas von Neu-Guinea zu höherer Kultur zu erzielen und allmählich zu Christen zu machen, überläßt man fast überall die Queensländer Schwarzen sich selbst, einmal weil sie unerziehbar erscheinen, dann aber auch weil sie baldigem Untergange verfallen sind.

Überall wo die Schwarzen mit den Weißen in Berührung treten, sterben sie rasch und sicher aus. Am Burnett, wo doch erst seit etwa zwanzig Jahren Weiße ansäßig und auch jetzt nur ganz dünn über die weiten Flächen ausgesät sind, soll sich die Zahl der Eingeborenen schon um mehr als die Hälfte vermindert haben. Haupt-ursache ist der Alkoholismus und noch mehr das Opiumrauchen, das einzige, was sie rasch und sicher von den Weißen und besonders den Chinesen erlernen und für das sie eine verhängnisvolle Vorliebe entwickeln. Auch unter meinen Schwarzen hatte ich eine Anzahl Opiumraucher, die, zu allem anderen unfähig, gänzlich verkommen waren und baldigem Untergänge geweiht schienen. Schädlich wirkt aber auch die Annahme europäischer Kleidung oder, besser gesagt, europäischer Lumpen, zu der sie durch ihren Nachahmungstrieb verleitet werden, und die sich für sie, wie auch sonst oft für tiefstehende Naturvölker, unheilvoll erweist. Der Gebrauch der Kleidung will verstanden sein, und für Wilde, die sie so gut wie nie wechseln, sie gleichmäßig in Hitze und Kälte tragen, sie nach Durchnässung am Leibe trocknen lassen, erweist sie sich als ein höchst bedenkliches Geschenk der Kultur.

Kann man von Religion bei Menschen sprechen, die so gut wie keine Worte für abstrakte Begriffe in ihrer Sprache besitzen und keinerlei Kult eines höheren Wesens ausüben? Denn Idolatrie, Opfer und Gebet sind durch ganz Australien unbekannt.

Die Frage nach der Religion der Australier ist deshalb sehr schwierig zu beantworten, weil sie nach verschiedenen Richtungen hin kompliziert ist. Zunächst verhalten sich die zahlreichen Stämme, die einen so ungeheuren Flächenraum bewohnen, verschieden. Nach dem Zeugnis zahlreicher Beobachter, die lange unter den Stämmen von New South Wales und Queensland gelebt haben, ist es sicher ausgemacht, daß bei den meisten derselben keine Spur eines Glaubens an wirklich höhere, übermenschliche Wesen aufzufinden ist. Wohl


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Das Original des Werkes wurde freundlicherweise von der Universitätsbibliothek Köln zur Verfügung gestellt. Einscannen und bearbeiten durch Frank Al-Dabbagh, Oktober, 2003.
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© Kurt Stueber, 2003