Berg- und Seefahrten (1923)

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II.

Eine Winterfahrt über den Sankt Gotthard

(1859)

Am 2. Februar früh 6 Uhr bestieg ich in Luzern das Dampfschiff. Es war ein kalter, klarer Morgen. Die schmutzige Nässe der letzten Tage war durch eine klare, scharfe Kälte vertrieben, die während der Nacht mit einem kalten Südwind sich eingestellt und die Ränder des Vierwaldstätter Sees mit einer breiten Eiskruste bedeckt hatte. Die letzten Reste der Nebelmassen, die die Berge verhüllten, zogen sich als dichte, schmale Wolkenstreifen an dem Fuß zusammen. Bei der Abfahrt standen noch die Sterne rings am klaren Himmel, welche beim Heraufziehen der Morgenröte nach und nach verschwanden. Der größte Teil der Passagiere des Schiffs bestand aus Kühen, deren Einschiffung ein sehr komisches Schauspiel bot, indem sie auf einer abschüssigen Bahn herabrutschen mußten. Auf dem Hinterdeck befanden sich außer mir nur fünf Passagiere, darunter vier Schweizer. Der fünfte war ein Freiherr Ferdinand von Ditfurth, k. k. österreichischer Leutnant (im 33. ungarischen Infanterieregiment Graf Biele), ein geborener Kurhesse, ein recht netter, gebildeter Kerl, mit dem ich bald bekanntwurde. Er war in Bologna in Garnison und jetzt auf der Rückkehr von einer Urlaubsreise in die Heimat.

Sobald es heller wurde, konnte ich die berühmten Naturschönheiten des Vierwaldstätter Sees in der eigentümlichen Pracht genießen, die ihm das schneeige Winterkleid verlieh. Vor anderen ist dieser See ausgezeichnet durch die zahlreichen tiefen Einbuchtungen und Ausläufer, die er nach allen Seiten tief in das Land hineinschickt. An den meisten Stellen fassen die Ufer so steil in das Wasser ab, daß kein Pfad daneben mehr Platz hat. Die grauen und gelben Felswände zeigen die schönsten gebogenen und verworfenen Schichten. Die dunklen Tannenwälder ziehen sich von den hohen Triften in schmäleren und breiteren Streifen bis an das Seeufer hinab. Jetzt lag überall dicker Schnee, wo es nicht gar zu steil war, und die Nadelholzwaldungen erschienen dadurch sehr zierlich schwarz und weiß meliert. Die Wasserfälle hingen als Einzapfen herab. Der Wechsel der aufeinander folgenden Landschaften war außerordentlich schön und mannigfaltig. Bei jeder neuen Biegung des Sees schien sich


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Das Original des Werkes wurde freundlicherweise von Herrn Dr. Kurt Stüber zur Verfügung gestellt. Einscannen und bearbeiten durch Frank Al-Dabbagh, Juni, 2003. Eingabe des Textes durch Kurt Stüber, Oktober, 2003.
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