türme
an der englischen Küste von Newhaven. Die Nacht war herrlich klar und sternhell, wie die vorhergehenden. Die beiden
folgenden Tage brachten uns stürmisches Wetter, hochgehende See und nichts weniger als angenehme Situation auf
unserem engen, kleinen Schiff. Zwar zeigte sich die Maria Pia als ein trefflicher Renner, welcher trotz des
widrigsten Südwestwindes die Fahrt von London nach Lissabon in weniger als 5 Tagen zurücklegte. Allein sie war,
wie alle guten Schnellfahrer, so schmal gebaut und so schlank, daß die hochgehenden Wogen sie unbarmherzig von einer
Seite auf die andre warfen, und daß wir in unseren egen und schmalen Kabinen uns 2 Tage hindurch in der ungemütlichsten
Situation befanden. Ich war schon vorher darauf gefaßt gewesen, daß ich diesmal meinen alten Stolz, nicht seekrank
zu werden, verlieren würde. Die schwere und massive Londoner Kost, an die wir Deutschen, und besonders ein
Thüringer Magen, sich nur schwer gewöhnen kann, hatten meinen Magen derart aufgeregt, daß ich mich schon in den
letzten Tagen in London in halber Seekrankheit befand, zumal meine zoologischen Freude sich wetteifernd anstrengten,
ihn durch luxuriöse englische "Luncheons" und "Dinners" vollends zu ruinieren. So lernte ich denn am Sonntage, den
4. November, die schauerliche Situation der Seekrankheit gründlich kennen.
Die Maria Pia hatte eine sehr leichte Ladung (außer 30 Passagieren und ihrem Gepäck nur einige 50 Teekisten),
so daß sie nicht genügenden Tiefgang erreichte und gänzlich flach von einer Seite auf die andere geworden wurde. Hohe
Wollen gingen über das ganze Verdeck. In der Kajüte rollte und rasselte alles durcheinander, was nicht angenagelt war.
Ich selbst hatte die größte Mühe anzuwenden, um nicht auf meinen Kabinengefährten, der unter mir lag, herabgeworfen
zu werden; dabei stieß die Schraube des Steamers so stark, daß das ganze Gehirn im Schädel hin und her geworfen zu
werden schien; das beständige Heulen und Brüllen des Sturmes und der Wogen ließen uns fast keinen Augenblick zu
Schlaf und Ruhe kommen. So vergingen zwei sehr miserable Tage und Nächte, in denen die zweite auch wohl nicht ohne
beträchtliche Gefahr war, da der Sturm eine wirklich bedenkliche Höhe erreichte. Erst Dienstag, den 6. November,
wurde das Meer wieder leidlich ruhig, uns erst am folgenden Tage vermochten wir wieder unseren entleerten Mägen ein
wenig Nahrung einzuflößen.
Die Verpflegung war übrigens auf unserem portugiesischen Steamer herzlich schlecht, wie überhaupt die innere
Einrichtung dem leidlichen Äußeren keineswegs entsprach. Alles war sehr schmutzig, die Betten sehr hart, die Kabinen
eng, das Essen durchaus unappetitlich. Alle Abende kehrten dieselben wenig ansprechenden Gerichte in derselben
Zubereitung aufgewärmt wieder. Kurz, es war alles recht dazu eingerichtet, um seekrank zu werden. Auch wurde fast das
ganze Passagierpersonal gründlich von diesem Übel mitgenommen.
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