Arrecife (Lanzarote), 8. Januar 1867.
Der erste Monat unseres Winteraufenthaltes in Arrecife is bereits verflossen und unser Leben hierselbst hat schon
seit 14 Tagen die feste Einrichtung erhalten, welche es in stereotypischer Einförmigkeit auch in den nächsten 2 Monaten
beibehalten wird. Im ganzen sind wir sehr zufrieden, da der Hauptzweck unseres hiesigen Aufenthalts, das Studium der
atlantischen Meeresfauna, hier in der gehofften Mannigfaltigkeit und Ausdehnung gefördert wird. Das Meer in der
unmittelbaren Nähe der Küste von Lanzarote ist sehr reich an niederen, wirbellosen Tieren der verschiedensten Gruppen
und für mein spezielles Studium, Radiolarien und Medusen, bietet mir dasselbe so reichliches und schönes Material,
daß ich alle Hände vonn zu tun habe. Da die Insel im übrigen gar nichts bietet, was irgend anregen oder zerstreuen
könnte, da die höchst öde und tote vulkanische Landschaft fast aller Vegetation entbehrt, können wir unsere gesamte
Zeit der Meeresfauna widmen, und so verfließt denn mit Fangen und Beobachten, Zeichnen und Beschreiben der schönen
pelagischen Tierformen ein Tag und eine Woche ebenso genußreich wie die anderen.
Freilich hat es uns 14 Tage Zeit und viele Mühe gekostet, ehe wir so weit waren, daß wir unsere Arbeit anfangen
konnten. Die Insel Lanzarote liegt noch weit mehr außer dem Verkehr mit der europäischen Kultur als die übrigen
Kanarischen Inseln, und so sind denn viele Einrichtungen und Anstalten, welche bei uns als selbstverständliche
Bedürfnisse auch in der ärmsten Hütte gelten, hier noch selten oder selbst ganz unbekannt. In vieler Beziehung
könnte man sich hier vollständig auf eine vonv der Zivilisation noch nicht berührte Insel der Südsee versetzt glauben;
da wir nun zu unseren zoologischen Arbeiten, zum Mikroskopieren und Zeichnen, Sammeln und Untersuchen der Seetiere
gar manchmal Apparate und Utensilien unumgänglich nötig haben, die wir nicht mitgebracht haben, weil wir sie hier als
selbstverständlich vorausgesetzt hatten, so hatte unsere definitive Einrichtung mancherlei Schwierigkeiten. Obgleich
wir uns mit der spanischen Sprache schon ziemlich zurechtfinden, so hat uns doch noch mehr das außerordentlich
freundliche und gefällige Benehmen, welches die Lanzaroten gleich allen Kanarieren gegen jeden Fremden zeigen,
über jene Schwierigkeiten glücklich hinweggeholfen.
Ein glücklicher ZUfall führte uns gleich am ersten Tage unseres hiesigen Aufenthalts einem Herrn zu, welcher in
Europa gewesen war, europäische Zivilisation kennt und schätzt und mti der größten Bereitwilligkeit und
Gefälligkeit bestrebt war, uns hier alles Mangelnde zu ersetzen. Dieser freundliche Mann, Don Jose Baron, hat
wesentliche Verdienste daran, daß wir überhaupt hier bleiben und unsuer Laboratorium aufschlagen konnten. In den
ersten Tagen glaubten wir fast daran verzweifeln zu müssen, so sehr fehlte es uns hier selbst an den ersten und
notwendigsten Bedürfnissen. Die größte Mühe kostete zunächst die Beschaffung einer
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