Besonders reich an verschiedenartigen Pflanzen des Südens sind die blumigen Gefilde, welche
sich westwärts der Stadt ausbreiten. Hier führt der Weg durch die langgestreckte größtenteils von Fischern und Seeleuten
bewohnte Vorstadt Manducchio zu mehreren mit Villen gekrönten Hügeln, deren jeder seine eigene prächtige Aussicht
auf Stadt und Feste, Meer und Gebirge hat. Eine Viertelstunde weiter überschreitet die Straße ein Flüßchen,
welches mit Beziehung auf die anderen kleineren Bäche als Hauptfluß der Insel gilt; daher denn auch das daran
gelegene größere Dorf kurzweg als Potamé (d.h. "Fluß") bezeichnet wird. Nahe der Mündung dieses Flusses ist die
klassische Stelle, wo die holde Königstochter Nausikaa und ihre Gefährtinnen sich mit Ballspiel und Gesang ergötzten,
nachdem sie die Wäsche des Königshauses gewaschen, und wo sich ihr der edle Dulder Odysseus hilfeflehend nahte, als er
2 Tage und 2 Nächte im sturmgepeitschten Meere elend umhergeschwommen. Andere Ausleger Homers freilich (und unter diesen
auch Schliemann) meinen vielmehr, daß der kleine Kressida-Bach, der von Westen kommend sich in die Bucht von
Paläopolis ergießt, mit dem klassischen Nausikaa-Flusse zu identifizieren sei, und wollen sogar noch durch zwei Felsblöcke
den Waschplatz der Phäakenprinzessin bezeichnet sehen!
Die Umgebung des Dorfes Potamó ist ungemein malerisch. Indem sich die Häusergruppen des Dorfes oberhalb des Flusses
in einem ziemlich engen Tale bergauf ziehen und teils auf den Vorsprüngen der Talwände vortreten, teils in Orangengärten
verstecken, bieten sie dem Landschaftsmaler mit ihren vorspringenden Veranden, Treppen und Gärten eine Fülle reizender
Motive. Eins der schönsten liefert die Kirche mit ihrem schlanken, weithin sichtbaren Turme, höher als die meisten
anderen Türme der Inseldörfer, über Palmenkronen stolz emporstrebend. Noch schönere Bilder aber erwarten uns, wenn wir
hinter Potamó das Tal links weiter hinaufsteigen. Da kommen wir durch den herrlichen Park der Villa Damaschino, aus dessen
Orangenhainen eine der schönsten Piniengruppen hoch hervorragt. Wenige schritte weiter entdecken wir neue originelle
Bilder in dem alten, zum Teil in Ruinen liegenden Dorfe Europulos. Hier breitet eine der mächtigsten uralten
Oliven ihre gewaltigen Äste ringsum über die Hütten aus und beschattet den Tummelplatz der spielenden Knaben und der
tanzenden Mädchen, wie bei uns die alte Dorflinde. Sind wir bei den letzten Häusern des Dorfes hinausgetreten und haben
den dahinter aufsteigenden Hügelkamm erklommen, so werden wir durch eine ganz neue Ansicht überrascht; durch ein tiefes
Tal getrennt, erhebt sich auf dem langen Rücken der entgegengesetzten Bergwand das zypressengekränte Dorf Afra, im
HIntergrunde meilenweit Olivenwälder und hoch darüber emporragend die gewaltige Felsenmauer des Monte Deca. Dieser
mittlere Teil der Insel trägt einen ungemein anmutigen und idyllischen Charakter und erinnert vielfach an die
lieblichen Landschaften des Albanergebirges. Prächtige, von gutgepflegten Gär
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