kultus ist ein recht einträgliches Geschäft, sowohl für die Kirche, als für die
Familie, deren Privatbesitz er bildet. So unglaublich es auch klingen mag, der angebetete Heilige, vor dem ganz Korfu
in den Staub sinkt, ist das Privateigentum der Familie Bulgaris und trägt ihr bessere Zinsen als die solidesten
Staatspapiere und Eisenbahnaktien! Eine Tochter dieser Familie bekam die einträgliche Mumie dereinst bei ihrer Hochzeit
als wertvollste Aussteuer mit! Seitdem muß wenigstens ein Sohn der Familie immer Priester werden, um ihren Gewinnanteil
an dem prosperierenden Kirchengeschäft gehörig zu kontrollieren. Außer der klingenden Münze, die reichlich in die
Opferbecken fällt, und außer Naturaliengaben verschiedenster Art, besteht ein Hauptanteil des Ertrages in den zahlreichen,
ungeheuren Wachskerzen - zum Teil von 10-12 Fuß Länge! - die von gläubigen Seelen der Kirche geschenkt werden. Leider hat
aber hier der fortschreitende Zeitgeist des neunzehnten Jahrhunderts der Kirche einen bösen Possen gespielt, indem
jetzt immer mehr die Unsitte überhand nimmt, die riesigen Kerzen nicht mehr als teurem Wachs, sondern aus billigem
Stearin gefertigt zu liefern!
Ein Haupteffekt der Spiridion-Prozession, wie anderer kirchlicher Schauspiele besteht darin, daß alle Sinne der
Gläubigen gleichzeitig beschäftigt werden. Während das Auge durch die Farbenpracht und Mannigfaltigkeit des Aufzuges
unaufhörlich angezogen wird, dienen Musikstücke aller Art zur Ergötzung des Ohres: heitere Blechmusik wechselt mit
frommen Chorgesängen, Trommelwirbel mit Kanonensalven. Die Nase erhält ihren Anteil am Genuß weniger durch die
wohlriechenden Blumenmassen als durch den narkotischen Duft der aufsteigenden Weihrauchwolken, und für die Befriedigung
des Geschmackssinnes ist durch geweihte Konfitüren und verzuckerte Heiligenbilder aller Art, aus Gewürzkuchen modelliert,
hinreichend gesorgt. So gestaltet sich denn die andächtige Spiro-Prozession zu dem heitersten Volksfeste. Am Nachmittage
strömt nach beendigtem Umzuge alles in die Kaffeehäuser und vergnügt sich auf den Rasenplätzen der Esplanade mit Spiel
und Tanz, mit Tombola und Lotterie. Der Gesamteindruck ist demnach auch hier ähnlich wie bei den bekannten großen
Prozessionen der römischen Kirche, wiewohl bei den griechischen alles doch mit mehr Grazie ausgeführt wird. Freilich
erscheint auch diese Feier immer noch roh und niedrig genug, wenn man bedenkt, daß auf demselben Boden schon vor 2000
Jahren in griechischen Tempeln die Gottheiten des Olymps verehrt wurden, so viel erhabener und ästhetischer, als sich eine
marmorne Apollostatue über die getrocknete Spiromumie und ein edler ionischer Tempel über ein verschnörkeltes Bethaus der
Gegenwart erhebt!
Was für sonderbare, zum Teil uralte Gebräuche sich hier in der griechischen Kirche noch bis auf den heutigen Tag
erhalten haben, das sah ich noch deutlicher am Osterfeste. Am Karfreitag Abend findet eine große, nächtliche Prozession
unter Fackelbeleuchtung statt, und am folgenden
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