Einer unserer Schiffleute unterhielt sich mit ihnen in
albanesischen Dialekt und erfuhr, daß sie zu einer Horde von Nomaden gehörten, welche mit ihren Ziegen und Schafen
ohne festen Wohnsitz das öde Land durchstreifen, den Sommer im Gebirge, den Winter in der Niederung weidend. In die
HÜtten eintretend, erblickten wir ein Bild von primitiver Kultur, wie man es wohl unter den Wilden Afrikas, aber nicht
in einem Winkel des gesitteten Europas zu finden erwarten durfte. Auf dem nackten, festgestampften, unebenen und steinigen
Boden lagen mehrere Ziegenfelle, die Schlafstätten der Bewohner. In der Mitte zeigte ein Kohlenrest auf einer
geschwärzten Stelle den erloschenen Feuerherd an. An der Wand lehnte eine alte Feuersteinflinte mit langem Lauf; daneben
hingen an einem einfachen Roste einige rohe Messer und geschnitzte Holzlöffel. Ein paar Wasserkrüge und Töpfe
vervollständigten den ganzen Hausrat. In den Zelten der wandernden arabischen Hirten, die ich vor zehn Jahren in Marokko
besuchte, hatte ich mehr häuslichen Komfort und mehr wertvollen Besitz gefunden, als in diesen ungastlichen
Albaneserhütten! In einer der Hütten fanden wir auf dem nackten Boden sitzend ein armes Weib von etwa 30 Jahren,
in Lumpen gehüllt, laut stöhnend und von heftigem Fieber geschüttelt, im Schoße ihr nacktes, vor zwei Tagen geborenes
Knäblein, daneben ein Krug Wassers, ihre einzige Erquickung; kaum konnte sie für unsere Geschenke danken; ein
erschütterndes Bild menschlichen Elends! Wir konnten den düsteren Eindruck dieser Szene lange nicht vergessen. Erst als
wir den Bucintro-Fluß im Rücken hatten und nun im freundlichen Glanze der Abendsonne nach der schimmernden Phäakeninsel
zurückdampften, gewannen wir wieder die heitere Stimmung, die auf diesem beglückteren Eilande heimisch ist.
Das war eine leibhaftige Illustration der orientalischen Frage! Denn dieselbe primitive KUlturstufe, dieselbe
Verwilderung, derselbe Mangel an jedem Bedürfnis höherer Zivilisation ist nicht etwa zufällig hier auf einem
entlegenen Küstenstrich beschränkt, oder durch dessen ungünstige Lokalverhältnisse bedingt, sondern er findet sich
gleicherweise im größten Teile des türkischen Reiches. Mit "liberalen Reformen" oder gar mit dem Schattenspiele eines
Parlamentes ist hier nichts zu tun, denn die Herrschaft des Serails kann ihrer altgewohnten Regierungsweise nicht
entsagen, ohne sich selbst aufzugeben. Das osmanische Volk aber, so lobenswürdige und treffliche Seiten sein Charakter
auch hat, ist eben unfähig, die Kultur des europäischen Abendlandes zu verstehen und sich anzueignen. Niemals wird die
Türkei unter dem Zepter des Halbmonds eine selbstständige Stimme in dem "europäischen Konzerte" erhalten, zu welchem
die Kulturnationen unseres Erdteils durch ihre gemeinsamen Interessen solidarisch verbunden sind.
Ganz abgesehen von den verschiedenen anderen Seiten hat die orientalische Frage, die jetzt wieder die große
Tagesfrage Europas ist, jedenfalls ihre bedeutungsvolle nationalökonomische Seite. Denn sie enthält
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