"Ernst Haeckel - Embryonenbilder"

Schlußwort




Der Kampf um Haeckels Embryonenbilder ist für uns beendet. Die Gegner Haeckels führen ihn in ihrer Weise, zu ihrer Freude und zum Nutzen ihrer "Wahrheit" fort. Aus allen Winkeln und Ecken kommen sie hervorgekrochen, aus allen Winkeln und Ecken schallt es hervor: Haeckel ist gerichtet! Haeckel ist tot! Lebendig wird zu ungezählten Malen die Fabel vom Esel, der dem alten Löwen rasch noch einen Tritt versetzen muß.

Ziehen wir für unser Teil das Fazit aus dem Kampf, der wie ein spannendes Schauspiel vor unseren Augen vorbeigezogen ist; ziehen wir es scharf, prinzipiell, und ohne jedes unnötige Bewerk.

1. Ernst Haeckel vertritt die v o r a u s s e t z u n g s l o s e   E n t w i c k l u n g s l e h r e   , welche die Welt und das Leben sich entwickeln läßt aus den Kräften der Natur, ohne hinter diesen Kräften ein metaphysisches transzendentes Etwas anzunehmen.

2. Ernst Haeckel dehnt diese "atheistische" Entwicklungslehre begründetermaßen auf den Menschen und seine geistigen Kräfte aus: der Mensch ist, wie er ist an "Leib und Seele", aus der Tierwelt hervorgegangen, und was er geworden ist, verdankt er seiner eigenen Kraft und günstigen Umgebungsbedingungen - keinem schaffenden, erhaltenden, regierenden Gott.

3. Ernst Haeckel ist der Meinung - die bezweifelt werden kann -, daß die Menschheit reif genug sei, um auch die I l l u s i o n    eines helfenden Gottes entbehren zu können; das sie reif genug sei, um sich fortan b e w u ß t    auf ihre e i g e n e    Kraft zu verlassen.

4. Den Beweis für die tierische Herkunft des Menschen leifern die vergleichende Anatomie, das physiologische Blutexperiment, die Paläontologie, die Embryologie und die Physiologie.

5. Die vergleichende Anatomie zeigt im ganzen wie in tausend Einzelheiten, daß der Bau des Menschen mit dem Bau der Säugetiere, speziell der höheren Säugetiere (Affen) so sehr übereinstimmt, daß er nur als Variation eines gemeinsamen Grundplanes aufzufassen ist.

6. Das physiologische Blutexperiment bestätigt die systematischen Ergebnisse der vergleichenden Anantomie und stellt den Menschen gleichfalls in die nächste Nahe der Menschenaffen (Gorilla, Schimpanse, Orang, Hylobates).

7. Die paläontologischen (vorgeschichtlichen) Tatsachen zeigen, daß der homo sapiens der Gegenwart und der jüngeren Steinzeit aus dem homo primigenius (neandertalensis) der älteren Steinzeit hervorgegangen ist, und alle neueren Funde - beweisen, daß die Vorfahren der Menschen immer affenähnlicher werden, je weiter zurück in der Ertgeschichte sie aufgefunden werden.

8. Diese Beweisgruppen genügen allein schon, um den Satz von K e i b e l    (S. 48) als richtig zu erweisen: "daß der Mensch von affenähnlichene Ahnen abstammt, ist, soweit solche Dinge überhaupt bewiesen werden können, bewiesen".

9. Die Psychologie, die sich früher bei mangelhaften Kenntnissen für eine Kluft zwischen Mensch und Tier aussprechen mußte, wird bei fortschreitender Erkenntnis immer mehr zu einer Beweisgruppe für die Wahrheit der tierischen Herkunft des Menschen. Kinderpsychologie, Völkerpsychologie und Tierpsychologie haben auch hier gezeigt: daß die höchststehenden Menschen und Menschenrassen von den tiefstehenden weiter entfernt sind als diese von den Tieren.

10. Es bleibt der embryologische Beweis. Er beruht auf dem Satz, daß die Embryonen der Säugetiere - und weiterhrin auch der Wirbeltiere - einander um so ähnlicher sind, je jünger sie sind, und je näher die betreffenden Tiere miteinander verwandt sind. Tiere, die einander sehr nahe stehen, sind nicht nur in ihren jüngeren, sondern auch in ihren älteren Embryonenstadien sehr ähnlich.

11. Professor Dr. Otto Hamann, ein alter Gegner Haeckels, sagt in einem "neuen Beitrag zu Haeckels Wahrhaftigkeit" (im "Reichsboten", Anfang April): "Die moderne Embryologie hat festgestellt, daß die Unterschiede zwischen den Embryonen des Menschen und der Säugetiere, bei allen hinreichend bekannten Formen, so in die Augen fallend sind, das e i n    Blück genügt, um die Differentialdiagnose zu machen."

12. D i e s e r   S a t z   i s t   f a l s c h    - wenn er nicht, in dem Zusatz: "bei allen h i n r e i c h e n d    bekannten Formen", einen Fallstrick enthält.

13. Hamann verweist ohne nähere Angabe auf die "Normentafeln zur Entwicklung der Wirbeltiere, Heft 8" sowie auf "Oskar Hertwig, Handbuch der Entwicklungslehre der Wirbeltiere, Band 3".

14. In Oskar Hertwigs Handbuch I 2 (1906) S. 173 sagt K e i b e l   , der als erste Autorität in diesen Dingen den Abschnitt über "die Entwicklung der äußeren Körperform der Wirbeltierembryonen" bearbeitet hat: "Wir sehen, daß die Embryonen der gleichen Art von für uns hier unbedeutenden Variationen abgesehen, einander gleich sind, daß die Embryonen nahe verwandter Tiere einander sehr ähnlich sind, und daß, je ferner die Tiere einander stehen, desta größer auch die Unterschiede zwischen den Embryonen werden."

15. Daß auch die Embryonen der gleichen Art einander nicht gleich sind, daß vielmehr auch da bedeutende Variationen vorkommen, hat Ernst M e h n e r t    gezeigt in seiner Abhandlung über "die individuelle Variation des Wirbeltierembryo" (Morpholgiesiche Arbeiten - Schwalbe - Bd. V, II. Heft, S. 386-444).

16. Daß die Embryonen verschiedener, auch einandern fernstehender Tierarten um so ähnlicher sind, je jünger sie sind, bemerkt Keibel nicht ausdrücklich, ist aber dadurch nicht minder wahr.

17. Keibel setzt hinzu: "Die Ähnlichkeiten und Übereinstimmungen bei Wirbeltierembryonen sind meiner Überzeugung nach auf Vererbungsvorgänge, also auf Verwandtschaft zurückzuführen."

18. Unter Fachleuten bedarf das alles kaum noch einer Diskussion. Um den Lesern dieser Schrift das Gesagte zu veranschaulichen, gebe ich im folgenden eine kleine Auswahl des Bildermatierials, wie es Keibel selbst im "Handbuch" vorführt.

Zunächst eine fortlaufende Reihe von menschlichen Embryonen nach H i s    im Alter von zwölf Tagen bis zwei Monaten. An der Hand dieser Reihe, in Verbindung mit Vergleichsobjekten aus der Wirbeltierreihe, läßt sich die Wahrheit der Sätze 14 und 16 einwandfrei beweisen. Einige interessante Vergleichsobjekte stellen die Figuren 26-35 dar. Die Bemerkungen Keibels führe ist wörtlich an.


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Fig. 1-15

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Fig. 16-25
©Bilder: Dr. Gerhardt Keuck

Fig. 1-25. Embryonen des M e n s c h e n    nach His. Vergrößerung: bei 1-15 fünfmal, bei 16-25 zweiundeinhalbmal. Alter von 12-60 Tagen. Die Zotten der Fig. 1-6 sind ein Stück der kindlichen Plazenta (des Mutterkuchens); sie wachsen in die Schleimhaut der Uterus.


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Fig. 26-27
©Bild: Dr. Gerhardt Keuck


Fig. 26. Embryo eines R o c h e n s    (Torpedo) Nach einem Zieglerīschen Wachsmodell.

Fig. 27. Embryo des M e n s c h e n    nach His. Länge 4,2 mm. Alter etwa 3 Wochen.


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Fig. 28-29
©Bild: Dr. Gerhardt Keuck


fig. 28. Embryo vom australischen S t a c h e l i g e l    (Echidna aculeata) nach Semon. Vergrößerung 10:1

Fig. 29. Embryo des M e n s c h e n    nach einem Photogramm von Hochstetter. Länge 7. mm, Alter ca. 4 Wochen.

Im besonderen ist gegenüber Braß und Dennert, die mit der Keckheit der Unwissenden über diese Dinge sprechen, auf Keibels Konstatierung hinzuweisen, wonach beim menschlichen Embryo bis zu 43 Urwirbel gezählt worden sind.

Die Figuren 26 und 27 zeigen eine ganz frappante Ähnlichkeit; weniger auffallend, aber immer noch weitgehend genug, ist die der Figuren 28 und 29; in Fig. 29 ist der prachtvolle Schwanz des Menschen deutlich zu erkennen.


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Fig. 30-31
©Bild: Dr. Gerhardt Keuck


Fig. 30. Embryo vom S c h w e i n    Vergrößerung 5:1.

Fig. 31. Embryo vom R e h   . Vergrößerung 5:1.

Keibel bemerkt hierzu: "Den Embryo vom Reh vergleiche man mit dem Embryo vom Schwein; auch hier wird man neben großer Ähnlichkeit einzelne Unterschiede finden." Überhaupt aber: "Die jüngeren Stadien von Embryonen des Schafes, des Rehes und der Ziege gleichenden entsprechendnen Embryonen ddees Schweines sehr, aber noch ähnlicher sind sie untereinander, so daß ich, trotzdem ich vom Schaf und Reh eine ganze Anzahl von Embryonen und einige Ziegenembryonen gesehen habe, mich bis jetzt nicht getrauen würde, sichere Unterscheidungsmerkmale anzugeben. Auch in mittlieren Stadien ist die Ähnlichkeit noch sehr weitgehend.

Mit dem Embryo vom Reh vergleiche man die jüngeren Embryonen des Menschen, besonders die Figuren 8, 10 und 12. Ich bemerke dazu noch, daß die Fig. 10 in der Schattierung der Kopfpartie nicht ganz dem Original von His entspricht, welches darin der Fig. 31 noch noch näher kommt, als Keibels Reproduktion.


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Fig. 32-33
©Bild: Dr. Gerhardt Keuck


Fig. 32 und 33. Embryonen eines H a l b a f f e n    (Tarsius spectrum) nach Hubrecht. Vergrößerung 10:1.

Über diese Embryonen sagt Keibel: "Der Tarsiusembryo Fig. b (unsere Fig. 32) ist besonders deswegen auffallend, weil er menschlichen Embryonen des entsprechenden Stadiums so außerordentlich gleicht. Man ziehe die Fig. 8 (h) der Normentafel von His zum Vergleiche hinzu; nur ist auch in diesem Stadium schon die Schwanzanlage besonders kräftig ausgebildet. Auch die Figg. c (- und d, hier nicht wiedergegeben-) sind noch recht menschenähnlich, doch macht, vonv unbedeutenden Unterschieden abgesehen, der mächtig und mächtiger hervorsprossende Schwanz die Unterscheidung leicht. Schwieriger bleibt sie gegenüber von Schwanzaffen, wie ein Blick auf einen (- von Keibel abgebildeten -) Cercopithecusembryo beweist."

Wie schwierig, selbst für Fachgelehrte, die Unterscheidung der embryonalen s c h w a n z l o s e n    Affen von den Embryonen des Menschen ist, lehren endlich die folgenden Figuren und Bemerkungen Keibels.

Von den Affen heißt es bei Keibel: "Die verschiedenen Gattungen der Affen sind in ihren frühen und mittlieren Entwicklungsstadien untereinander und den menschlichen Embryonen, wenn man etwa von der verschiedenen Ausgestaltung des Schwanzes absieht, außerordentlich ähnlich." Von den hier abgebildeten, schon sehr weit fortgeschrittenen Hylobatesembryonen sagt Keibel: "Es dürfte unter Umständen schwer sein, Embryonen wie sie hier abgebildet sind, von menschlichen zu unterscheiden."


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Fig. 34-35
©Bild: Dr. Gerhardt Keuck


Fig. 34 u. 35. Embryonen eines M e n s c h e n a f f e n    (Hylobates concolor), nach Selenka. Vergrößerung 2,5 : 1.

18. Wir konstatieren also: Haeckel ist im Recht, wenn er die weitgehende Ähnlichkeit menschlicher und tierischer Embryonen behauptet und diese Ähnlichkeit als Beweis der Verwandtschaft ansieht.

19. Haeckel ist ferner im Recht, wenn er, um Laien die Ähnlichkeiten der Embryonen vor Augen zu führen, seine Bilder s c h e m a t i s i e r t   , wenn er also Embryonalhüllen, Nabelstrang, Plazenta wegläßt, um die Formen rein hervortreten zu lassen.

Schon in den siebziger Jahren, in seinem Embryonenstreit mit His und Jensen, hat er wiederholt erklärt, daß er gar keine "exakten"E Embryonenbilder gegen wollte; daß es ihm einzig und allen darauf ankomme, die Übereinstimmung im W e s e n t l i c h e n    zu zeigen, und dieses "Wesentliche", worauf er auch immer wieder hinweist, - die wesentlich gleiche Anlage des Zentralnervensystems, der Sinnesorgane der Gleidmaßen , der Kiembogen, des Schmwanzes - läßt sich nicht bestreiten.

D e r   j e s u i t i s c h e   K n i f f   d e r   K e p l e r b ü n d l e r   D e n n e r t   u n d   B r a ß   l i e g t   d a r i n ,   d a ß   s i e   s e l b s t   e r s t ,   e n t g e g e n   H a e c k e l s   e i g e n e r   A b s i c h t ,   s e i n e   s c h e m a t i s c h e n   A b b i l d u n g e n   z u   e x a c t   s e i n   s o l l e n d e n   m a c h e n ,   u m   s i e   d a n n   m i t   e i n e m   S c h e i n   v o n   R e c h t   a l s   w i s s e n s c h a f t l i c h e   F ä l s c h u n g e n   b r a n d m a r k e n   z u   k ö n n e n . .   

Ich muß hier auch noch der wohlmeinenden Vorstellung entgegentreten, Haeckel "zu weit gehende" Schematisierungen verdankten ihre Entstehung seiner allzukühnen Phantasie. Gewiß, Haeckels schöpferische Phantasie ist groß; ohne sie wäre er nicht Ernst Haeckel; sie hat ihre Rolle gespielt bei den phylogenetischen Hypothesen und Konstruktionen Haeckels, die sich auf etwas mehr als ein halbes Tausend belaufen dürften; sie mag ihn mehr als einmal - sagen wir 40-50 mal, 8-10 vom Hundert! - in die Irre geführt haben: an den s c h e m a t i s c h e n    Bildern Haeckels hat sie keinen Anteil; diese sind m i t   B e d a c h t    darauf berechnet, nur das Wesentliche scharf zu zeigen; streiten läßt sich nur noch darüber, w a s    als wesentlich oder unwesentlich zu betrachten sei, un dhier wird man vielfach anderer Meinung sein können als Haeckel, ohne über die Richtigkeit seines p r i n z i p i e l l e n    Standpunktes im Zweifel zu sein.

20. Haeckel ist auch noch im Recht, wenn er auf Grund vergleichender Synthese vorhandenes Material dazu benutzt, um noch unbekannte Zwischenstufen der embryonalen Entwicklung zu k o n s t r u i e r e n   . Wenn, wie es tatsächlich der Fall ist, und wie Keibels Bilder und Bemerkungen zeigen, frühere und spätere Stadien einander außerordentlich ähnlich sind, so läßt sich hundert gegen eins wetten, daß auch die mittleren Stadien einander ähnlich sind.

21. Auf die psychologische Mechanik Haeckels bei der Konstruktion des Hylobatesembryo aus einem Makakenembryo fällt ein Licht, wenn man bei Keibel (Handbuch I 2, S. 135) folgendes liest: "Die verschiedenen Gattungen der Affen sind in ihren frühen und mittleren Entwicklungsstadien untereinander und den menschlichen Embryonen, wenn man etwa von der verschiedenen Ausgestaltung des Schwanzes absieht, außerordentlich ähnlich. Ich gebe hier zwei Embryonen von Cercopithecus cynomolgus (Makak), den einen nach einer mir gütigst zur Verfügung gestellten Originalzeichnung von Selenka, den anderen nach Kollmann mit Berücksichtigung einer Photographie u n d   e i n e r   R e i h e   v o n   E n t w i c k l u n g s s t a d i e n   v o n   G i b b o n    (Hylobates) nach Selenka. Vom Gibbon fehlen leider die mittlieren Stadien, u n d   s o   f ü g e   i c h   d i e   m i t t l i e r e n   S t a d i e n   v o n   C e r c o p i t h e c u s   c y n o m o l g u s   z w i s c h e n   d i e   j ü n g e r e n   u n d   d i e   v o r g e s c h r i t t e n e r e n   S t a d i e n .   

22. Haeckel hat g e f e h l t    darin, daß er nicht ausdrücklich und nicht in jedem einzelnen Fall die betreffenden Bilder als schematisiert oder konstruiert bezeichnet hat. Um dieses rein formalen Fehlers willen muß er jetzt den ganzen Entrüstungssturm der Dennert, Braß, Reinke, Hensen, Hamann über sich ergehen lassen, die, zum Teil seit Jahren, mit einem Eifer ohnegleichen jeden kleinsten Fehler Haeckels aufsuchen, um ihm einen Strick daraus zu drehen.

Ernst Haeckel hat Bilder gefälscht, um seine Hypothese von der nahen Verwandtschaft des Menschen und des Affen zu beweisen? O nein, ihr wahrheitsliebenden Herren! laßt euch von Keibel und Rabl sagen, daß Haeckel seine Hypothese mit exaktem Material viel besser hätte beweisen können als mit schematischen Bildern. Hättet ihr wirklich die Wahrheit so lieb, auf die es hier ankommt, ihr hättet seine Beweismittel, wo sie minderwertig waren, verbessern müssen, anstatt sie so heftig anzugreifen; aber euch wahrheitsliebenden Herren ist es im Grunde ja doch nur darum zu tun, die eigentliche Wahrheit, um die es sich hier handelt, zu deskreditieren. Und damit kommen wir auf unseren Ausgangspunkt zurück: Die Wahrheit, um welche der Embryonenstreit eigentlich geführt wird, ist die Entwicklung des Menschen aus den Kräften der Natur, oder vielmehr die daraus folgende Wahrheit, daß damit der christliche Gott als eine aktive Realität auch für die Menschwerdung und die menschliche Geschichte überflüssig wird. Der Embryonenstreit dreht sich um die Alternative: Christentum oder Monismus; die Herren Dennert, Braß und Genossen wollen den verhaßten M o n i s t e n    treffen, vernichten und unschädlich machen, weil sie glauben, sie könnten den Siegeslauf des Monismus und damit den Untergang des Christentums aufhalten, wenn sie einen hervorragenden Vertreter des Monismus "vernichtet" haben. Das ist des Pudels Kern.

Aber so wenig es ihnen trotz ihrer großen Bemühungen gelungen ist, Haeckel zu vernichten und "unschädlich" zu machen - was er gesät, wird weiter wachsen, blühen und gedeihen - so wenig wird es ihnen gelingen, die Welt zum Christentum zurückzubringen. Der Monismus, der die Welt und den Menschen auf nichts als sich selbst stellt, er ringt sich duch in Wissenschaft und Kunst, in Politik und Leben. Und so sehr ein Ernst Haeckel, der Monist, in der Gegenwart noch geschmäht und beschimpft wird um seines monistischen Aposteltums willen, so sehr wird ihn die monistische Zukunft feiern als denjenigen, der unter Einsetzung seiner ganzen Persönlichkeit einer Bewegung Bahn gebrochen hat, an deren Ende die Menschheit auf ihrer höchsten Höhe stehen wird. Denn dann wird Naturerkenntnis und Naturbeherrschung sich vollendet haben in Selbsterkenntnis und Selbstbeherrschung.

Impavidi progrediamur!

Das Ketzergericht.


(Aus der "Jugend", Nr. 11)

Oh, das ergötzliche Schauspiel.

Sputet euch, ihr Glaubensstarken! Eurer frommen Entrüstung Fackeln schleudert in den geschichteten Holzstoß, auf daß euch Ablaß werde durch die heiligen Flammen. Denn der Ketzer dort am Pfahl ist von Giodano Brunos Geblüt. Vernehmt seine schwere Schuld:

Für einen gelehrten Doktor und Magister hieltet ihr ihn; sein greises Haupt bekränztet ihr in Ehrfurcht; und glaubtet in seinen klaren Augen den Blick zu lesen, der ins Herz der Zukunft schaut. Nun wißt, daß er ein "Fälscher" war, ein Schmarotzer an eurem Seelenheil, ein vom Lügengeist besessener Verführer! - - -

Seht sie eisig lächeln, rings im Kreise, die Patentinhaber approbierten Pharisäertums, die listigen Zerberusse unverfälschter Kirchlichkeit, - dieses hochnotpeinlichen Prozesses heimliche Anzettler. Seht sie selbstzufrieden lächeln. Auch einmal ungestraft als E h r e n r e t t e r   d e r   W i s s e n s c h a f t    fungen zu dürfen, - welch seltene Gastrolle! Habe Dank für dies Kunststück, heiliger Loyola! - - -

Doch vielleicht stimmt die Rechnung nicht, ihr werten Herren Inquisitoren. Vielleicht dankt sieīs euch nicht nach Gebühr, die unbestechlich Stolze, um die ihr buhlt. Merkt vielleicht, wie eigentümlich aus eurem Munde ihr guter Name klingt. Und wie komisch eure solenne Berufung auf ihn: - "im Namen der W i s s e n s c h a f t   !"

Glaubt nur, sie ist so blind nicht! Sie kennt die Hand, die ihr heut so unerwartet Freundschaft bietet. Sieht sie am Werke jedesmal, wenn am Strauche der Erkenntnis ein junger grüner Zweig sprießt. Ei, wie spielt sie da die besorgte Gärtnerin! Stutzt und putzt den zarten Schößling, daß ja kein Auswuchs ihn entstelle! - - - Und tückisch dringt dabei ein Schnitt ihm tief ins Mark; - denn nicht gut tut solch ein Eindringling im Paradiesgarten der Folgsamkeit, wo die frommen Herden weiden! - - -

Seht, - so ganz seid ihr erkannt! Was hilft das nagelneu gleißende Doktormäntelchen, das ihr euch umgehängt? Allzu dünn ist es gewebt; der Dolch der Tücke blitzt hervor.

"Appelliert" nur immerzu! Die "Wissenschaft" hört euch nicht. Sie hält lieber zum alten Graukopf, der auf verwegenen Pfaden vielleicht irre ging, den aber doch das Licht der Wahrheit lockte, das i h r    fürchtet!

Ernst Haeckel "wissenschaftliche gerichet"? - Freilich, ein braver Stubenhocker war er nie; trug nie eine blaue Brille gegen des Lichtes Helle; ließ sich lieber davon blenden!

Das ist sein Größe, - seine Tragik: daß er kein "bornierter Forscher" sein wollte, im Freistaat der Wissenschaft kein bloßer Bureaukrat, sondern ein Leiter großer Geschicke; daß er sich hingab dem jubelnden Capriccio seiner schöpferischen Genialität!

Denn Schöpfertum heißt kühne Intuition, Erkenntnis und Bejahung über die nüchterne Erfahrungsweisheit hinaus, - faustische Magie. Ein Ikarusflug bisweilen, - doch immer sonnenwärts, - gottwärts, - wenn auch nicht gerade zum Gotte der Kultusministerien.

Solche "Seher", solche "Magier", die aus dem Welchenchaos das lautre Gold der menschlichen Erkenntnis zaubern möchten, sind den Alchimisten der Dunkelheit und des Aberglaubens von jeher verhaßt. - Warum nicht auch Ernst Haeckel?

Seine Gegner haben dem Worte nach recht behalten. Aber ihre "Rechthabereien" sind keine Gedanken voll keimenden Lebens, sondern dürre Scheite, aus denen man die Scheiterhaufen der Inquisition baut.





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erstellt von Christoph Sommer am 20.01.2000