Pittoreske Ansichten der Cordilleren und Monumente americanischer Völker

Alexander von Humboldt

Tübingen, 1810

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Tafel 9


Hohe Auflösung

Denkmal von Xochicalco.

Das merkwürdige Monument, von welchem diese Kupfertafel ein, mit Bildhauerei bedecktes, Bruchstück zeigt, wird in dem Lande selbst für ein militärisches Monument gehalten. Südöstlich von der Stadt Cuernavacca (dem ehemaligen Quauhnahuac, auf dem westlichen Abhang der Cordillera von Anahuac, in jener glücklichen Region, welche die Bewohner mit dem Namen tierra templade (gemässigte Region) bezeichnen, weil daselbst ein ewiger Frühling herrscht, erhebt sich ein isolirter Hügel, der nach den barometrischen Messungen des Herrn Alzate 117 Meters Höhe über seiner Base hat. Dieser Hügel liegt auf der Strasse, von Cuernavacca nach dem Dort Miacatlan, westlich. Die Indianer nennen ihn in der mexicanischen oder aztekischen Sprachen Xochicalco oder das Haus der Blumen. Wir werden im Verfolg dieser Nachrichten finden, dass die Etymologie dieses Namens eben so ungewiss ist, als die Zeit der Erbauung dieses Monuments, welches man den Tolteken zuschreibt. Diese Nation ist für die mexicanischen Alterthumsforscher eben das, was die Pelasgischen Colonisten lange für die italienischen gewesen sind. Alles was sich in das Dunkel der Zeiten verliert, wird als Werk eines Volks angesehen, bei dem man die ersten Keime der Civilisation zu finden glaubt.

Der Hügel von Xochicalco ist eine Masse von Felsen, welcher die Hand des Menschen eine sehr regelmässige konische Form gegeben hat, und die in fünf, mit Mauerwerk bedeckte, Absätze oder Terassen abgetheilt ist. Diese Absätze haben ungefähr 20 Meters senkrechter Höhe. Sie werden gegen den Gipfel zu schmäler, wie an den Teocalli´s oder aztekischen Pyramiden, welche oben mit einem Altar geziert waren. Alle Terrassen sind gegen Südwest abhängig, vielleicht um das Ablaufen des Wassers zu erleichtern, weil in dieser Gegend häufig Regen fällt. Der Hügel ist mit einem ziemlich tiefen, und sehr breiten Graben umgeben, so dass die ganze Verschanzung über 4000 Meters Umfang hat. Uebrigens darf man sich über die Grösse dieser Dimensionen nicht wundern; denn Hr. Bonpland und ich, wir haben auf dem Rücken der Cordilleren von Peru, und auf einer Höhe, welche der des Piks von Teneriffa beinahe gleich kommt, noch weit ansehnlichere Monumente gefunden. Auch auf den Ebenen von Canada befinden sich Vertheidigungslinien und Verschanzungen von ausserordentlicher Länge. Alle diese americanischen Werke gleichen denjenigen, welcher man täglich in dem östlichen Asien entdeckt, wo Völker von mongolischer Raçe, besonders solche, die in der Civilisation am weitesten fortgeschritten waren, Mauren erbaut haben, durch welche ganze Provinzen von einander getrennt werden.

Der Gipfel des Hügels von Xochicalco bildet eine länglichte Plattform, welche von Norden nach Süden 72 Meters, und von Osten nach Westen 86 Meters Länge hat. Sie ist mit einer über zwey Meter hohen Mauer von gehauenen Steinen umgeben, die den Streitern zur Vertheidigung diente. In der Mitte dieses geräumigen Waffenplatzes finden sich die Reste eines Pyramidal-Monuments von fünf Absätzen, das, in Ansehung der Form, mit den oben beschriebenen Teocalli´s übereinkommt. Nur der erste Absatz davon hat sich erhalten, und von diesem liefern wir die Zeichnung auf der neunten Kupfertafel. Die Eigenthümer einer benachbarten Zuckersiederey waren roh genug, die Pyramide dadurch, dass sie die Steine zum Bau ihrer Oefen davon abrissen, zu zerstören. Die Indianer von Tetlame versichern, dass noch 1750 alle fünf Absätze vorhanden gewesen; und man kann, dem Maass der ersten Stufe nach, annehmen, dass das ganze Gebäude 20 Meter hoch war. Seine Seiten sind genau nach den vier Weltgegenden gerichtet. Die Grundfläche dieses Gebäudes hat 20m,7 Länge und 17m,4 Breite. Es ist ein sehr auffallender Umstand, dass man keine Spur von einer Treppe, die auf den Gipfel der Pyramide führte, entdeckt; unerachtet man ehmals doch einen steineren, mit Hieroglyphen verzierten, Sessel (Ximotlalli) auf derselben gefunden haben will.

Die Reisenden, welche dieses Werk der Ureinwohner von America in der Nähe untersucht haben, können sich nicht genug über die Politur und das Behauen der Steine, über die Sorgfalt, mit der solche an einander gefügt sind, ohne dass die Fugen mit Mörtel aufgefüllt wären, und über die Ausführung der Reliefs an den Absätzen wundern. Jede Figur nimmt mehrere Steine zugleich ein, und weil die Umrisse durch die Fugen nicht unterbrochen sind, so darf man annehmen, dass die Reliefs erst nach Vollendung des Gebäudes eingehauen wurden. Unter den hieroglyphischen Verzierungen der Pyrmaide von Xochicalco bemerkt man Crocodils-Köpfe, welche Wasser speyen, und Figuren von Menschen, die nach der Weise mehrerer asiatischer Völker, mit gekreuzten Beinen sitzen. Erwägt man nun, dass sich das Gebäude auf einem, über 1300 Meter hoch gelegenen, Plateau befindet, und dass die Crocodile sich nur in den Flüssen, nahe an er Seeküste, aufhalten, so muss man erstaunen, dass der Architekt, statt Thiere und Pflanzen, welche bergbewohnenden Völkern bekannt sind, zu wählen, zur Verzierung dieser Reliefs die riesenförmigen Geschöpfe der heissen Zone besonders ausgesucht hat. Der Graben, womit dieser Hügel umgeben ist, die Bekleidung der Absätze, die grosse Anzahl Gemächer, welche auf der Nordseite in den Felsen gehauen sind, die Mauer, die die Annäherung an die Plattform verhindert, alles dies giebt dem Monument von Xochicalco den Karakter eines militairischen Monuments. Auch bezeichnen die Eingebornen die Pyramide, welche sich in der Mitte der Plattform erhob, noch heutzutag mit einem dem Wort Castell oder Citadelle gleich bedeutenden Ausdruck. Die grosse Uebereinstimmung der Form zwischen dieser vermeintlichen Pyramide und den Häusern der aztekischen Götter (Teocallis) führt mich auf die Vermuthung, dass der Hügel von Xochicalco nichts anders, als ein befestigter Tempel war. Auch die Pyramide des Mexitli, oder der grosse Tempel von Tenochtitlan, enthielt ein Arsenal in seinem Bezirk, und diente während der Belagerung bald den Mexicanern, bald den Spaniern als Fort. Gleichfalls belehren uns die heiligen Bücher der Ebräer, dass, in den ältesten Zeiten, die Tempel Asiens, wie zum Beispiel der des Baal Berith zu Sichem, in Canaan, dem Gottesdienst gewidmete Gebäude und zugleich Verschanzungen waren, worinn sich die Einwohner einer Stadt gegen den Angriff ihrer Feinde in Sicherheit setzten. Nichts ist ja den Menschen auch wirklich natürlicher, als die Orte zu befestigen, in welchen sie die Schutzgötter des Vaterlands aufbewahren; nichts beruhigender für sie, wenn das gemeine Wesen in Gefahr ist, als sich zu den Füssen der Altäre zu flüchten, und unter ihrem unmittelbaren Schutze zu streiten! Bei Völkern, deren Tempel eine der ältesten Formen, die der Pyramide des Belus, beibehalten hatten, entsprach die Beschaffenheit des Gebäudes dem doppelten Gebrauch zum Gottesdienst und zur Vertheidigung vortrefflich; bei den griechischen Tempeln aber konnte allein die Mauer, welche den Peribolos bildete, den Belagerten zum Zufluchtsorte dienen.

Die Einwohner des benachbarten Dorfs Tetlama besitzen eine, vor der Ankunft der Spanier verfertigte, geographische Karte, der man seit der Eroberung einige Namen beigefügt hat. Auf derselben findet man an der Stelle, wo das Monument von Xochicalco steht, die Figur von zwei Kriegern, welche mit Keulen streiten, und von denen der Xochicatli und der Xicatetli genannt ist. Wir folgen hier den etymologischen Untersuchungen der mexicanischen Alterthumsforscher nicht, um zu erfahren, ob einer von diesen Kriegers dem Hügel von Xochicalco seinen Namen gegeben habe, oder ob das Bild der beiden Streiter blos eine zwischen zwei benachbarten Nationen gelieferte Schlacht bedeute; oder endlich, ob dieses Monument die Benennung, Haus der Blumen, darum erhalten habe, weil die Tolteken, gleich den Peruanern, der Gottheit keine andre Opfer brachten, als Blumen, Früchte und Weihrauch. Bei Xochicalco fand man vor 20 Jahren auch einen einzelnen Stein, worauf ein Adler, der einen Sclaven zerfleischt, in erhabener Arbeit vorgestellt war, welches Bild ohne Zweifel auf einen Sieg anspielte, den die Azteken über irgend eine angränzende Nation davon getragen haben.

Die Zeichnung des Reliefs an dem ersten Absatz ist nach einem Kupferstich gemacht worden, welchen Herr Alzate 1791. davon in Mexico herausgab. Ich habe nicht Gelegenheit gehabt, dieses merkwürdige Monument selbst zu besuchen. Denn als ich über das Südmeer in Neu-Spanien angekommen war, und im Monat April 1803. von Acapulco nach Cuernavacca gieng, war mir das Dasein des Hügels von Xochicalco unbekannt, und ich bedaure sehr, dass ich die Beschreibung, welche Herr Azate, correspondirendes Mitglied der Pariser Academie der Wissenschaften, davon gemacht hat, nicht nach eigener Ansicht bestätigen konnte. Weil der Tafel IX. kein Massstab beygefügt ist, so muss ich bemerken, dass die Figuren, welche mit gekreuzten Beinen sitzen, eine Höhe von 1,m03 haben. (Descripcion de las Antiguidades de Xochicalco, por Don Joseph Antonio Alzate y Ramirez; Mexico, 1791. Siehe auch eine, seit meiner Rückkehr von einem, sehr unterrichteten, Jesuiten, Pedro Marquez herausgegebene Abhandlung, welche den Titel führt: (Due antichi Monumenti di architettura messicana illstrati da Pietro Marquez; Roma, 1804.


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Diese Seite wurde erstellt am 7. 5. 2002.
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