Pittoreske Ansichten der Cordilleren und Monumente americanischer Völker

Alexander von Humboldt

Tübingen, 1810

[Vorige Tafel] [Inhaltsverzeichniss] [Nächste Tafel]

Tafel 10


Hohe Auflösung

Vulcan von Cotopaxi.

Weiter oben habe ich, bei der Beschreibung des Thals von Icononzo, bemerkt, dass die ungeheure Höhe der Plateau´s, welche die hohen Gipfel der Cordilleren umgeben, bis auf einen gewissen Grad den Eindruck mindere, den diese grossen Massen in der Seele eines, an die majestätischen Scenen der Alpen und Pyrenäen gewöhnten, Reisenden zurücklassen. In der That geben auch nicht sowohl die absolute Höhe der Berge, als vielmehr ihr Ansehen, ihre Formen und ihre Gruppirung der Landschaft einen besondern Karakter.

Diese Physiognomie der Gebirge habe ich in einer Reihe von Zeichnungen darzustellen gesucht, wovon einige schon in dem geographischen und physischen Atlas erschienen sind, der meinen Versuch über das Königreich Neu-Spanien begleitet. Es schien mir für die Geologie sehr wichtig, die Gebirgsformen in den entlegensten Theilen der Erde eben so vergleichen zu können, wie man die Formen der Vegetabilien aus verschiedenen Climaten vergleicht. Zu diesem grossen Geschäfte sind noch sehr wenige Materialien gesammelt, auch ist es ohne Hülfe geodesischer Instrumente, mit welchen man sehr kleine Winkel messen kann, beinahe unmöglich, die Umrisse mit einer grossen Genauigkeit zu bestimmen. Zur nemlichen Zeit, da ich mich auf der südlichen Hemisphäre, und auf dem Rücken der Anden-Cordillera mit dergleichen Messungen beschäftigte, zeichnete Herr Osterwald, mit Hülfe des vorzüglichsten Geometers, Herr Tralles, nach einer analogen Methode, den Kette der Schweizer-Alpen, so wie sie sich, von den Ufern des Neugurger-Sees aus betrachtet, darstellen. Diese kürzlich erschienene Ansicht ist so genau, dass man, da die Entfernung der Spitzen von einander bekanntist, ihre relative Höhe durch blosse Berechnung des Maasses der Umrisse der Zeichnung finden würde. Herr Tralles bediente sich dabei eines Repetitions-Zirkels; ich nahm hingegen die Winkel, mittelst welcher ich die Grösse der verschiedenen Theile eines Bergs bestimmte, mit einem Sextanten von Ramsden auf dessen Rand mit Sicherheit 6 bis 8 Secunden anzeigte. Wiederholte man diese Arbeit von Jahrhundert zu Jahrhundert, so würde man am Ende zur Kenntniss der zufälligen Veränderungen gelangen, die die Oberfläche der Erdkugel erleidet. In einem Land, welches Erdbeben unterworfen und durch Vulkane umgekehrt ist, hält die Auflösung der Frage sehr schwer; ob die Berge sich senken, oder sich durch die ausgeworfene Asche und Schlacken unmerklich erhöhen? Blosse Höhenwinkel auf bestimmten Punkten genommen, würden diese Frage weit besser, als eine vollständige trigonometrische Messung, aufklären, deren Resultat den doppelten Verstössen, die man beim Messen der Basis, und der schiefen Winkel machen kann, ausgesetzt ist.

Vergleicht man die Physiognomie der Gebirge auf beiden Continenten, so findet man eine Uebereinstimmung der Form, die man nicht erwarten zu dürfen glauben sollte, wenn man das Zusammenwirken der Kräfte bedenkt, welche in der Urwelt stürmisch auf die weiche Oberfläche unsers Planeten gedrückt haben. Das vulkanische Feuer wirft Kegel von Asche und Bimsstein auf, oder es macht sich durch einen Krater Luft; Blasen, die ganzen Domen oder Glocken von ausserordentlicher Grösse gleichen, scheinen blos durch die Ausdehnungskraft der elastischen Dünste zu entstehen; Erdbeben haben ganze Lagen von Meerschnecken aufgetriegen oder wieder verschlungen; Seeströme durchdurchten den Grund der Becken, welche gegenwärtig die zirkelförmigen Thäler, oder die, mit Bergen umgebene, Plateau´s bilden. Jede Gegend der Erde hat ihre eigene Physiognomie; aber mitten unter diesen karackteristischen Zügen, die den Anblick der Natur so reich und so abwechselnd mache, überrascht uns die Aehnlichkeit der Form, welche sich auf die Uebereinstimmung der Ursachen und Lokal-Umstände gründet. Wenn man zwischen den canarischen Inseln hinschifft, und die Basaltkegel von Lanzerota, Alegranza und la Gratiosa betrachtet, so glaubt man die Gruppe der euganeischen Berge, oder die Trapp-Gebirge von Böhmen zu sehen. Die Granite, die mit Glimmer vermischten Schiefer, die alten Sandsteine, die Kalkformationen, welche die Mineralogen mit den Namen, Formationen der Jura, der Hochalpen oder Uebergangs-Kalkstein bezeichnen, geben dem Umriss der grossen Massen, dem wilden Kamm der Anden, der Pyreneen und des Urals einen eigenthümlichen Karakter. Ueberall hat die Beschaffenheit der Felsen die äussere Form der Berge bestimmt.

Der Cotopaxi, dessen Gipfel die zehente Kupfertafel vorstellt, ist der höchste unter denjenigen Vulkanen der Anden, welche in neuern Zeiten Ausbrüche gemacht haben. Seine absolute Höhe beträgt 5,754. Meter, (2952 Toisen). Sie ist demnach doppelt so gross als die des Canigu, und achthundert Meters grösser, als die des Vesuvs seyn würde, wenn man ihn auf den Gipfel des Picks von Teneriffa stellte. Auch ist der Cotopaxi der gefürchtetste unter allen Vulkanen des Königreichs Quito, weil seine Ausbrüche immer am häufigsten und verwüstendsten waren. Betrachtet man die Masse von Schlacken, und die Felsenstücke, welche dieser Vulkan ausgeworfen hat, und womit die benachbarten Thäler, in einem Umkreis von mehrern Quadratmeilen, bedeckt sind, so muss man glauben, dass sie zusammengenommen einen colossalen Berg bilden würden. Im Jahr 1738. erhoben sich die Flammen des Cotopaxi 900 Meters über den Rand des Kraters. Im Jahr 1744 wurde sein Brüllen in einer Entfernung von 200 gemeinen Meilen zu Honda, einer am Magdalenen-Fluss gelegenen Stadt gehört. Den 4 April 1768. war die Menge der, aus seiner Mündung ausgestossenen, Asche so gross, dass in den Städten Hambato und Tacunga die Nacht bis 3 Uhr Mittags dauerte, und die Einwohner mit Laternen auf den Strassen gehen mussten. Der Explosion im Monat Januar 1803 gieng ein schreckliches Phänomen voraus, nemlich das plötzliche Schmelzen des Schnees, womit der Berg bedeckt ist. Seit mehr als 20 Jahren war kein Rauch, kein sichtbarer Dunst aus dem Krater aufgestiegen, und in einer einzigen Nacht wurde das unterirrdische Feuer plötzlich so wirksam, dass schon beim Aufgang der Sonne die äussere Wände des Kegels, die ohne Zweifel bis zu einer sehr kalten Temperatur hinauf reichten, sich nackt und schwarz, also in der eigenthümlichen Farbe der verglasten Schlacken, zeigten. Im Hafen von Guayaquil, 52 Meilen in gerader Linie vom Rande des Kraters, hörten wir Tag und Nacht das Brüllen des Bergs, gleich dem wiederholten Abfeuern einer Batterie; und wir unterschieden dieses schröckliche Getöse selbst auf der Süd-See, südwestlich von der Insel de la Puna, noch.

Der Cotopaxi liegt der Stadt Quito süd-süd-östlich, in einer Entfernung von 12 Meilen zwischen dem Gebirg von Ruminavi, dessen Kamm, in kleine isolirte Felsen ausgezackt, sich wie eine ungeheure hohe Mauer hinstreckt, und dem Quelendaña, der in die Gränzen des ewigen Schnees hinaufreicht. In diesem Thal der Anden trennt ein, der Länge nach laufendes, Thal die Cordillieren in zwei parallele Ketten. Der Grund dieses Thals ist noch 3000 Meter über die Fläche des Oceans erhaben; daher denn auch der Chimborazo und der Cotopaxi, von den Plateau´s von Lican und Mulalo aus betrachtet, nicht höher als der Col de Géant und du Cramont, welcher Hr. Saussure gemessen hat, zu seyn scheinen. Da man Ursache hat, anzunehmen, dass die Nähe des Oceans zu Unterhaltung des vulcanischen Feuers beitrage, so sieht der Geologe mit Ueberraschung, dass die thätigsten Vulcane des Königreichs Quito, der Cotopaxi, der Tungurahua und der Sangay der östlichen und somit der von den Küsten entferntesten, der Anden-Kette, angehören. Alle Piks, welche die westliche Cordillera krönen, scheinen, mit Ausnahme des einzigen Rucu-Pichincha, Vulcane, die seit einer langen Reihe von Jahrhunderten erloschen sind; der Berg hingegen, von dem wir eine Zeichnung geben, und der 2°2´ von den nächstgelegenen Küsten, der von Esmeralda und der Baye von Santa-Mateo entfernt ist, wirft periodisch Feuergarben aus, und verwüstet die umliegenden Ebenen.

Der Cotopaxi hat die schönste und regelmässigste Form unter allen colossalen Spitzen der hohen Anden. Er ist ein vollkommener Kegel, welcher, mit einer ungeheuern Lage Schnees bedeckt, bei Sonnenuntergang in blendendem Glanze erstraht, und sich auf dem azurnen Himmels-Gewölbe mahlerisch heraushebt. Dieser Schneemantel verbirgt dem Auge des Beobachters auch die kleinsten Unebenheiten des Bodens. Keine Felsenspitze, keine Steinmasse ragt aus diesem ewigen Eis hervor, um die regelmässgie Kegel-Figur zu unterbrechen. Der Gipfel des Cotopaxi gleicht dem Zuckerhut (pan de azucar), womit sich der Gipfel des Piks von Teyde endiget, sein Kegel ist aber sechsmal so hoch, als der grosse Vulcan auf Teneriffa.

Blos am Rande des Kraters nimmt man Felsenbänke wahr, die sich mit Schnee bedecken, und von weitem wie dunkelschwarze Streifen ausnehmen. Wahrscheinlich sind der jähe Abhang dieses Theils des Kegels und die Spalten, aus denen Ströme heisser Luft hervordringen, die Ursachen dieses Phänomens. Der Krater ist, gleich dem des Piks auf Teneriffa, mit einer kleinen zirkelförmiggen Mauer eingefasst, welche, durch gute Ferngläser betrachtet, sich wie eine Brüstung darstellt. Am deutlichsten sieht man sie an dem südlichen Abhang, wenn man auf dem Löwenberg (Puma-Urcu), oder an den Ufern des kleinen Sees von Yuracoche steht. Um diesen eigenthümlichen Bau des Vulcans kennen zu lernen, habe ich unten auf der Kupfertafel die Ansicht vom mittäglichen Rande des Kraters beigefügt, so wie ich sie an den Gränzen des ewigen Schnees, ( auf einer absoluten Höhe von 4411 Meters) zu Suniguaicu, auf dem Rande des Porphyr-Gebirgs, welches den Cotopaxi mit dem Nevado von Quelendaña verbindet, gezeichnet habe.

Der kegelförmige Theil des Piks von Teneriffa ist sehr zugänglich; er erhebt sich mitten aus einer, mit Bimsstein bedeckten, Ebene, auf welcher einige Büsche von spartium supranubium wachsen. Klettert man dagegen auf den Vulcan von Cotopaxi, so ist es sehr schwer, die untere Gränze des ewigen Schnees zu erreichen. Wir haben diese Schwiergikeit bei einer Excursion, welche wir im Monat Mai des Jahrs 1802 gemacht haben, erfahren. Der Kegel ist mit tiefen Spalten umgeben, die bei Ausbrüchen dem Rio Napo und Rio de los Alaques Schlacken, Bimsstein, Wasser und Eisschollen zuführen. Hat man den Gipfel des Cotopaxi in der Nähe untersucht, so kann man beinahe behaupten, dass es unmöglich ist, bis an den Rand seines Kraters zu gelangen.

Je regelmässiger die Form von dem Kegel dieses Vulcans ist, desto mehr überrascht es, auf der südwestlichen Seite eine kleine, in Schnee halb begrabene, und in Spitzen ausgezackte Felsenmasse zu finden, welche die Eingebornen den Kopf des Inca nennen. Der Ursprung dieser seltsamen Benennung ist sehr ungewiss. Im Lande selbst läuft eine Volkssage, nach welcher dieser isolierte Fels ehemals einen Theil vom Gipfel des Cotopaxi ausgemacht hat, und die Indianer versichern, dass der Vulcan, bei seinem ersten Ausbruch, eine Steinmasse weit von sich geschleudert habe, die, gleich dem Obertheil einer Glocke oder eines Doms, die ungeheure Höhlung bedeckte, welche das unterirdische Feuer einschliesst. Einige behaupten, diese Catastrophe habe sich kurze Zeit vor dem Einfall des Inca Tupac Yupanqui in das Königreich Quito ereignet, und das Felsenstück, welches man auf der 10ten Tafel zur Linken des Vulcans bemerkt, sey darum der Kopf des Inca genannt worden, weil sein Fall eine unglückliche Vorbedeutung von dem Tode des Eroberers gewesen sey. Andere, noch leichtgläubigere, versichern hingegen, diese Masse von Porphyr, mit einer Grundlage von Pechstein, seye durch eine Explosion verrückt worden, die in dem nemlichen Augenblick Augenblick, da der Inca Atahuallpa von den Spaniern zu Caxamarca erdrosselt wurde, erfolgte. Es scheint in der That ziemlich gewiss, dass sich ein Ausbruch des Cotopaxi zur nemlichen Zeit ereignete, da das Armee-Corps des Pedro Alvarado von Puerto Viejo nach dem Plateau von Quito zog; obgleich Piedro de Cieco (Chronica del Peru, 1554. Cap. XLI. Fol. 109.) und Garcilasso de la Vega (Comentarios Reales, lib. II. c. 2, T. II. p. 59.), nur sehr unbestimmt von dem Berg reden, welcher Asche ausgeworfen hat, durch deren plötzliches Niederfallen die Spanier erschreckt wurden. Um aber der Meinung beizupflichten, dass erst um diese Zeit der, Cabeze del Inca genannte, Fels seinen gegenwärtigen Platz eingenommen habe, müsste man voraussetzen, dass der Cotopaxi keine ältere Ausbrüche gehabt habe; welche Voraussetzung jedoch um so unrichtiger ist, da die Mauern an dem, von Huayna Capac erbauten, Pallast des Inca zu Callo, Steine von vulcanischem Ursprung enthalten, die der Cotopaxi ausgeworfen hat. Wir werden an einem andern Ort die wichtige Frage untersuchen, ob es wahrscheinlich seye, dass der Vulcan damals schon, als sich das unterirdische Feuer durch seinen Gipfel Luft gemacht, die gegenwärtige Höhe gehabt habe, oder ob nicht vielmehr mehrere geologische Thatsachen zusammengenommen beweisen, dass sein Kegel, so wie der Somma des Vesuvs, aus einer Menge aufeinanderliegender Lava-Schichten zusammengesetzt seye.

Ich habe den Cotopaxi und den Kopf des Inca auf der Westseite des Vulcans, in dem Meierhof von la Sienege von der Terrasse eines schönen Landhauses aus gezeichnet, das unserm Freunde, dem jungen Marquis von Meënza, welcher kürzlich die Granden-Würde und den Titel eines Grafen von Pugnelrostro ererbt hat, gehört. Um in diesen Ansichten der Anden-Spitzen die Berge, welche noch thätige Vulcane sind, von denen, die nicht mehr auswerfen, zu unterscheiden, habe ich mir erlaubt, über dem Krater des Cotopaxi einen leichten Rauch anzugeben, ob ich gleich damals, als ich diese Skizze machte, keinen daraus aufsteigen sah. Das Haus von la Sienega, das von einer, mit Hrn. de la Condamine sehr genau verbundenen, Person erbaut wurde, liegt in der grossen Ebene, die sich zwischen den zween Aesten der Cordilleren, von den Hügeln von Chisinche und Tiopullo, bis nach Hambato, ausdehnt. Man sieht hier, zu gleicher Zeit und in furchtbarer Nähe, den colossalen Vulcan von Cotopaxi, die aufgeschlossenen Piks von Ilinissa, und den Nevado von Quelendaña. Es ist diess eine der majestätischen und imposantesten Ansichten, die mir auf beiden Hemisphären vorgekommen sind.

(Siehe meine Ideen zu einer Geographie der Pflanzen, S. 177.; mein Nivellement barométrique, S. 29.; meine Ansichten der Natur, B. I. S. 173.; und meinen politischen Versuch über Neu-Spanien, in der geographischen Einleitung, B. I. S. CXLVII.-CLI.)


Diese Seite ist Teil von Kurt Stübers online library.
Diese Seite wurde erstellt am 7. 5. 2002.
© Kurt Stüber, 2002.