Pittoreske Ansichten der Cordilleren und Monumente americanischer Völker

Alexander von Humboldt

Tübingen, 1810

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Tafel 16


Hohe Auflösung

Ansicht des Chimborazo und des Carguairazo.

Die Anden-Cordillera theilt sich bald in verschiedene Zweige, die durch, der Länge nach sich erstreckende, Thäler von einander getrennt sind, bald bildet sie nur Eine einzige Masse, welche in vulkanische Spitzen ausgezackt ist. Bei unsrer früher gegebenen Beschreibung des Uebergangs über den Quindiu (Kupfert. V.) versuchten wir eine geologischen Abriss der Verzweigung der Cordillieren im Königreich Neu-Granada, zwischen dem 2° 30´ und dem 5° 15´ der Nord-Breite, zu entwerfen. Auch haben wir zugleich bemerkt, wie die grossen Thäler, zwischen den beiden Seiten-Aesten und der Central-Kette, Bassin´s zweier beträchtlicher Flüsse sind, deren Grund noch niedriger über dem Meeresspiegel steht, als das Bette der Rhone, wo ihr Wasser das Thal von Sive in den Oberalpen ausgegraben hat. Reist man von Popayan südwärts, so sieht man auf dem dürren Plateau der Provinz de los Pastos die drei Ketten-Glieder der Anden in eine Gruppe zusammentreffen, welche sich weit jenseits des Aequators erstreckt.

Diese, im Königreich Quito gelegene, Gruppe, stellt von dem Flusse Chota an, der sich durch Basalt-Gebirge hinwindet, bis zum Paramo von Assuay, auf welchem sich die merkwürdigen Reste peruanischer Baukunst erheben, eine ganz eigene Ansicht dar. Die höchsten Gipfel stehen in zwo Reihen, die einen doppelten Kamm der Cordillerea bilden, Berg-Spitzen haben den Operationen der französischen Academiker, bei ihrer Messung des Aequatorial-Grads, zu Signalen gedient. Ihre symmetrische Stellung auf zwo, von Norden nach Süden laufenden, Linien verführte Bouguer´n, sie als zwei, durch ein, der Länge nach laufendes Thal getrennte Ketten-Glieder anzusehen. Allein, was dieser berühmte Astronom den Grund eines Thals nennt, ist der Rücken der Anden selbst, und ein Plataei, dessen absolute Höhe zweitausend siebenhundert bis zweitausend neunhundert Meters beträgt. Es ist von Wichtigkeit, einen solchen doppelten Gebirgs-Kamm nicht mit einer wirklichen, Verzweigung der Cordillieren zu verwechseln.

Die mit Bimsstein bedeckte Ebene, welche den ersten Plan der Zeichnung bildet, die dir hier beschrieben, ist ein Theil des Plateau´s., das den westlichen Kamm von dem östlichen der Anden von Quito scheidet. In diesen Ebenen ist die Bevölkerung des wunderbaren Landes vereinigt, und hier liegen die Städte, welche dreissig- bis fünfzigtausend Einwohner zählen. Hat man einige Monate auf diesen hohen Plateau gelebt, wo sich der Barometer immer auf 0m,54 hält, so wird man von einer unwiderstehlichen Täuschung hingerissen, und vergisst es nach und nach völlig, dass alles, was den Beobachter umgiebt, dass diese Dörfer mit der Industrie eines Gebirgsvolkes, diese, mit Lama´s und europäischen Schafen bedeckten, Weiden, diese mit lebendigem Gehege von Duranta und Barnadesia eingefassten, Obst-Gärten, diese sorgfältig bearbeiteten und reiche Ernsten versprechenden, Aecker, gleichsam in die hohen Regionen der Atmosphäre aufgeknüpft sind; und man erinnert sich kaum, dass der Boden, den man bewohnt, höher über den nahen Küsten des stillen Meeres liegt, als der Gipfel des Canigu über dem Bassin des mittelländischen Meeres.

Betrachtet man den Rücken der Cordilleren als eine ungeheure, von fernen Gebirgsmassen begränzte, Ebene, so gewöhnt man sich, die Ungleichheiten des Kamms der Anden als eben so viele isolirte Spitzen anzusehn. Der Pichincha, der Cayambe, der Cotopaxi, und alle diese vulkanischen Piks, welche mit eigenen Namen Namen bezeichnet sind, unerachtet sie bis über die Hälfte ihrer ganzen Höhe nur Eine Masse ausmachen, scheinen in den Augen der Bewohner von Quito eben so viele einzelne Berge, die sich mitten auf einer waldlosen Ebene erheben, und diese Täuschung wird um so vollständiger, da die Einschnitte des doppelten Kamms der Cordillieren bis zu der Fläche der hohen bewohnten Ebenen hinabreichen. Die Anden stellen sich daher auch nur in grosser Entfernung wie vn der Küste des grossen Ozeams, oder den den Streppen, welche sich an ihrem östlichen Abhang hinstrecken, als eine völlige Kette dar. Steht man hingegen auf dem Rücken der Cordilleren selbst, entweder im Königreich Quito, oder in der Provinz de los Pastos, oder noch nördlicher, im Innern von Neu-Spanien, so sieht man blos einen Haufen einzelner Berggipfel, und Gruppen isolirter Gebirge, welche sich von dem Central-Plateau losmachen; denn je grösser die Masse der Cordillieren ist, um so schwerer findet man es, ihren Bau und ihre Form im Ganzen zu aufzufassen.

Und dennoch wird das Studium dieser Form und dieser Gebirgsphysiognomie, wenn ich den Ausdruck wagen dar, durch die Richtung der hohen Ebenen, welche den Rücken der Anden bilden. Wunderbarlich erleichtert. Reisst man von der Stadt Quito nach dem Paramo Assuay, so sieht man auf einer Länge von sieben und dreissig Meilen nach einander westwärts die Spitzen des Casitagua, Pichincha, Atacazo, Corazon, Iliniza, Carguairazo, Chomborazo und Cunambay, und gegen Osten die Gipfel des Guamani, Antisana, Passuchoa, Rumiñavi, Cotopaxi, Quelendaña, Tungurahua und Capa-Urcu erscheinen, welche sämtlich mit Ausnahme von dreien oder vieren sind, als der Mont-Blanc. Diese Gebirge stehen auf eine Weise da, dass sie, vom Central-Pleateau aus betrachtet, statt sich gegenseitig bedecken, vielmehr in ihrer wahren Gestalt, wie auf das azurne Himmelsgewölbe gemahlt, darstellen. Man glaubt auf einem und demselben vertikalen Plan ihren ganzen Umruss zu sehen; sie erinnern an den imposanten Anblick der Küsten von Neu-Norfolk und der Cook-flusses, und gleichen einem schroffen Uferland, das sich aus dem Meere hebt, und um so näher scheint, da kein Gegenstand zwischen ihm und dem Auge des Beobachters steht.

Wie sehr indess der Bau der Cordilleren und die Form des Central-Plateau´s die geologischen Beobachtungen begünstigen, und wie leicht sie es dem Reisenden machen, die Umrisse des doppelten Kamms der Anden in der Nähe zu untersuchen, so verkleinert die ungeheure Höhe dieses Plateau´s dafür auch die Gipfel, welche auf Inselchen in den weiten Raum der Meere gestellt, wie der Mowna-Roa und der Pic von Teneriffa, durch ihre furchtbare Höhe Staunen erregen würden. Die Ebene von Tapia (die man dem ersten Plan der sechzehnten Kupfertafel sieht, und auf der ich, bei Riobamba-Nueva, die Gruppe des Chimborazo und des Carguairazo gezeichnet habe) hat eine absolute Höhe von zweitausend einhundert und ein und neunzig Meters, (vierzehnhuntert und drei und achtzig Toisen; ) ist also nur ein Sechzehntheil niedriger als der Aetna. Der Gipfel des Chimborazo reicht somit blos dreitausend sechhundert und vierzig Meters über die Höhe dieses Plateau´s weg, und demnach vier und achtzig Meters weniger als die Spitze des Mont-Blanc über die Priorei von Chamonix; denn die Verschiedenheit des Chimborazo und des Mont-Blanc´s verhält sich ungefähr wie die der Höhe des Plateau´s von Tapia und des Grundes vom Chamonix-Thale.Auch der Gipfel des Pic´s von Teneriffa ist, gegen die Lage der Stadt Orotave vergleichen, höher, als der Chimborazo und der Mont-Blanc über Riobamba und Chamonix.

Gebirge, welche uns durch ihre Höhe in Erstaunen sezen würden, wenn sie am Meeres-Ufer stünden, scheinen auf den Rücken der Cordillieren gestellt, blosse Hügel. Quito z. B. lehnt sich an einen kleinen Kegel, Javirac genannt, der den Bewohnern dieser Stadt nicht höher vorkommt, als der Montmartre oder die Höhe von Meudon den Parisern; und dennoch hat er, nach meinen Messungen, dreitausend einhuntert und ein und zwanzig Meters (1600 Toisen) absolute Höhe, und erhebt sich demnach beinahe so hoch als der Gipfel des Marboré, einer der höchsten Spitzen der Pyrenäen-Kette.

Neben allen Wirkunden dieser Täuschung, welche durch die Höhe der Plateau´s von Quito, von Mulalo und von Riobamba verursacht wird, würde man dennoch auf den Küsten oder auf dem östlichen Abhang des Chimborazo vergebens eine Stelle suchen, welche eine so prächtige Ansicht der Cordillera gestattete, als ich sie, mehrere Wochen land, von der Ebene von Tapia aus genossen habe. Steht man auf dem Rücken der Anden, zwischen dem doppelten Kamm, den die kolossalen Spitzen des Chimborazo, des Tungurahua und des Cotopaxi bilden, so ist man ihren Gipfeln immer noch nahe genug, um sie unter sehr ansehnlichen Höhenwinkeln zu sehen. Steigt man aber gegen die Wälder herab, welche den Fuss der Cordilleren einschliessen, so werden diese Winkel sehr klein; denn wegen der ungeheuren Masse der Gebirge entfernt man sich, je mehr man sich der Meersfläche nähert, sehr schnell von den Gipfeln.

Ich habe die Umrisse des Chimborazo und des Carguairazo mit Anwendung derselben graphischen Mittel gezeichnet, wie ich sie bei der Beschreibung meiner Zeichnung des Cotopaxi angegeben habe. Die Linie, welche die untere Gränze des ewigen Schnees bezeichnet, ist immer noch etwas höher, als der Mont-Blanc; denn dieser Berg würde unter dem Aequator bloss zuweilen mit Schnee bedeckt werden. Die, sich gleich bleibende, Temperatur dieser Zone macht die Wirkund, dass die Gränze des ewigen Eieses nicht so unregelmässig ist, wie in den Alpen und in den Pyrenäen. Auf dem nördlichen Abhang des Chimborazo, zwischen diesem Berg und dem Cargauirazo, zieht sich der Weg hin, welcher von Quito nach Guayaquil, gegen die Küsten des stillen Meeres, führt. Die, mit Schnee bedeckten, Auswüchse, welche sich auf dieser Seite erheben, erinnern durch ihre Form an die des Dome du Gouté, vom Chamonix-Thal aus betrachtet. Auf einer schmalen Gräte, welche sich auf der Süd-Seite aus dem Schnee erhebt, versuchten wir, Herr Bonpland, Hr. Montufar und ich, die Spitze des Chimborazo´s zu erreichen. Trozt dem dicken Nebel, und der Schwierigkeit, in der dünnen Luft Athem zu hohlen, brachten wir doch Instrumente auf eine beträchtliche Höhe. Der Punkt, wo wir stille hielten, um die Inklination der Magnetnadel zu beobachten, scheint viel höher, als alle andere, welche je von Menschen auf Gebirgeshöhen erreicht worden sind, und liegt eilfhundert Meters erhabener, als die Spitze des Montblanc, auf die es Herrn Saussure, dem gelehrtesten und beherztesten Reisenden, nach Besiegung viel grösserer Schwierigkeiten, als wir auf unsrer Besteigung des Chimborazo fanden, vorzudringen gelungen ist. Solche mühevollen Unternehmungen, deren Erzählung gewöhnlich die Aufmerksamkeit des Publikums im höchsten Grade anzieht, werfen indess nur wenige Resultate für die Wissenschaft ab; denn der Reisende befindet sich auf einem, mit Schnee bedeckten, Boden, in einer Schichte von Luft, deren chemische Mischung der in den niedrigern Gegenden gleich kommt, und in einer Lage, wo feinere Versuche nicht mit der nöthigen Genauigkeit angestellt werden können.

Vergleicht man die Kupfertafel V., X. und XVI. in diesem Werk mit denen in dem geographischen und physikaischen Atlas, welcher meinen Versucht über das Königreich Neu-Spanien begleitet, so erkennt man drei verschiedene Arten von Hauptformen, die den Gipfeln der Anden eigen sind. Die noch thätige Vulkane, welche nur einen einzigen, ausserordentliche weiten, Krater haben, sind konische Gebirge, mit mehr oder weniger abgestumpfter Spitze, wie der Cotopaxi, der Popocatepec und der Pic von Orizaba. Andre Vulkane, deren Gipfel sich nach einer Menge Eruptionen gesenkt hat, stellen zakichte Kämme, schiefe Spitzen, und zerbrochene, Einsturz drohende, Felsen dar. Von der Art sind z. B. der Altar, oder der Capac-Urcu, ein Gebirg, das einst höher war, als der Chimborazo, und dessen Zerstörung eine, in der Natur-Geschichte des neuen Continennts merkwürdige, Epoche bezeichnet; und der Carguairazo, welcher grossentheils in der Nacht vom 19. Juli 1698 zusammenstürzte. Wasserströme und Thonauswürfe brachen dazumal aus den geöfneten Seiten des Bergs hervor, und machten die ihn umgebenden Gefilde unfruchtbar. Diese schreckliche Katastrophe war überdiess von einem Erdbeben begleitet, das Tausende von Einwohnern in den nahen Städten, Hambato und Llactacunga, verschlang.

Die dritte, und die majestätischste Form der hohen Anden-Gipfel ist die des Chimborazo, dessen Spitze abgerundet ist. Sie erinnert an die kraterlosen Auswüchse, die die elastische Kraft der Dünste in Gegenden auftreibt, wo die grottenreiche Rinde des Globus durch unterirdische Feuer unterminiert. Die Ansicht von Granit-Gebirgen hat nur eine schwache Aehnlichkeit mit der Chimborarz´s. Die Granit-Gipfel sind abgeplattete Halbkugeln, und die Trapp-Porphyrs bilden die hochaufstrebenden Kuppeln. So sieht man an den Küsten der Südsee, wann die Luft nach den langen Winterregen plötzlich sehr durchsichtig geworden ist, den Chimborazo, wie eine Wolke, am Himmel erscheinen. Er hat sich völlig von den, ihm benachbarten, Spitzen losgemacht, und erhebt sich über die ganze Anden-Kette, wie jener majestätische Dom, das Werk von Michael Angelo´s Genie, über die antiken Denkmale, welche das Kapitel einfassen.


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