Der Fels von Inti-Guaicu.
Steigt man von dem Hügel, dessen Spitze durch das Fort von Cañar gekrönt ist, in ein, vom Fluss Gulan ausgegrabenes, Thail herab, so findet man kleine, in den Felsen ausgehauene, Pfade, die nach einer Kluft führen, welche in der Guichua-Sprache Inti-Guaicu, oder die Schlucht der Sonne, heisst. In diesem einsamen Orte, den eine schöne, kraftvolle Vegetation umschattet, erhebt sich eine isolirte Masse von Sandstein, welche nur vier bis fünf Meters Höhe hat. Eine Seite dieses kleinen Felsen ist durch ihre Weisse merkwürdig; das Ganze ist schnurgerade, wie von Menschenhänden, behauen. Auf dem ebenen und weissen Raume erblikt man concentrische Kreise, welche das Bild der Sonne vorstellen, wie man es im Anfang der Civilisation aller Völker der Erde findet. Diese Kreise sind schwarzbräunlich, und lassen in ihnen halbverlöschte Züge erkennen, welche Augen und Mund bezeichnen. Der Fuss des Felsens ist in Stufen ausgehauen, die nach einem, gleichfalls in ihm angebrachten, Sitze führen, und dieser steht gerade so, dass man durch ein Loch das Bild der Sonne anschauen kann.
Als der Inca Tupayupangi, erzählen die Eingebornen, mit seiner Armee zur Eroberung des Königreichs Quito, das dazumal durch den Conchocando von Lican beherrscht wurde, vorrükte, entdekten die Priester auf diesem Stein die Gottheit, deren Cultus bei den unterjochten Völkern eingeführt werden sollte. Die Bewohner von Cuzco wähnten überhaupt überall das Bild der Sonne zu sehen, so wie die Christen unter allen Zonen auf den Felsen Kreuze, oder die Spur vom Fuss des Apostels Thomas gefunden haben. Der peruanische Fürst und seine Soldaten sahen die Entdeckung des Felsens von Inti-Guaicu als eine sehr glükliche Vorbedeutung an, und wahrscheinlich bauten die Incas deshalb auch eine Wohnung auf dem Cañar; denn es ist bekannt, dass sich die Abkömmlinge von Manco-Capac selbst als die Kinder des Tags-Gestirnes betrachteten. Diese letztere Meinung begründet eine merkwürdige Aehnlichkeit zwischen dem ersten Gesetzgeber von Peru, und dem von Indien [ Menou II. oder Satyavrata. Recherches asiatiques, tom. I. S. 176. tom. II. S. 172. Paolin. Systema Brachman. S. 141. ], welcher sich gleichfalls Vaivasaouta, oder Sohn der Sonne, nannte.
Untersucht man den Felsen von Inti-Guaicu indess genauer, so entdeckt man, dass die concentrischen Kreise blos kleine Erzadern von braunem Eisen sind, wie sie in allen Sandstein-Bildungen gewöhnlich sind. Die Züge, welche Augen und Mund bezeichnen, sind offenbar mit einem metallischen Werkzeug eingegraben, und man kann wohl annehmen, dass sie von den peruanischen Priestern hinzugefügt worden sind, um den Volksglauben leichter für ihr Gaukelspiel zu gewinnen. Nach der Ankunft der Spanier lag den Missionären alles daran, den Eingebohrnen jeden Gegenstand alter Verehrung aus den Augen zu rücken, und so erkennt man denn auch noch die Spuren des Meisels, womit man das Bild der Sonne auslöschen wollte.
Den merkwürdigen Untersuchungen des Herrn Vaters zufolgte hat das Wort Inti, Sonne, mit keinem bekannten Idion des alten Continents Aehnlichkeit. Ueberhaupt aber hat man in den drei und achtzig americanischen Sprachen, welche dieser achtungswerthe Gelehrte und Herr Barton aus Philadelphia untersucht haben, bis jetzt nur hundert sieben und dreissig Wurzeln aufgefunden, die auch in den asiatischen und europäischen Sprachen vorkommen, und zwar in denen der Mantschu-Tataren, der Mongolen, der Celten, der Basken und der Esthländer. Dieses merkwürdige Resultat scheint unsern oben, bei Gelegenheit der mexicanischen Mythologie geäusserten, Satz zu beweisen. Es ist wirklich kein Zweifel, dass der grösste Theil der Eingebohrnen von America zu einer Menschen-Raçe gehört, welche, schon gleichsam in der Wiege der Welt von dem übrigen Menschen-Geschlecht getrennt, in der Natur und Verschiedenheit ihrer Sprachen, wie in den Zügen und der Bildung ihres Schädels, unbestreitbare Beweise einer langen und völligen Isolirung an den Tag legt.