Pittoreske Ansichten der Cordilleren und Monumente americanischer Völker

Alexander von Humboldt

Tübingen, 1810

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Tafel 19


Hohe Auflösung

Ynga-Chungana, in der Nähe von Cañar.

Nördlich von den Ruinen des Cañar erhebt sich eine Anhöhe, die sich gegen das Haus des Inca sanft herabdehnt, gegen das Thal von Gulan hin aber beinah senkrecht abgeschnitten ist. Nach den Ueberlieferungen der Eingebohrnen machte dieses Hügelchen einen Theil der Gärten aus, welche das alte peruanische Fort umgaben. Wir fanden hier, wie bei der Sonnenschlucht, eine Menge kleiner Pfade, die von Menschenhänden am Abhang eines, kaum mit vegetabilischer Erde bedeckten, Abhangs angebracht sind.

In den Gärten von Chapoltepec, bei Mexico, betrachtet der europäische Reisende die Cypressen (Cupressus disticha, L.), deren Stämme über sechszehn Meters Umfang haben, und welche man mit Wahrscheinlichkeit noch unter den Königen von der aztekischen Dynastie gepflanzt glaubt, mit theilnehmender Aufmerksamkeit. In den Gärten des Inca hingegen haben wir vergebens nach einem Baum umgesehen, dessen Alter über ein halbes Jahrhundert hinausgestiegen wäre. Nichts verräth den Aufenthalt der Incas in diesen Gegenden, als ein kleines steinernes, am Rand eines Abgrunds aufgestelltes, Denkmal, über dessen Bestimmung die Bewohner des Landes sich noch nicht vereinigien konnten.

Dieses kleine Denkmal, Spiel der Incas genannt, besteht in einer einzigen Steinmasse. Bei seiner Errichtung haben die Peruaner den Kunstgriff der Egyptier, bei Aushauung des Sphinx von Djizeh, angewendet, von welchem Plinius ausdrücklich sagt: "esaxo naturali elaborata." Der Quartz-Sandstein, der seine Basis bildet, wurde dermassen verkleinert, dass nach Wegschaffung der Schichten, welchen seinen Gipfelbildeten, blos ein, mit einer Einfassung umgebener, Sitz übrig geblieben ist, den man auf dieser Kupfertafel sieht. Man muss sich wundern, wie ein Volk, das eine ungeheure Menge Werksteine bei der schönen Heerstrasse vom Assuay gebraucht hat, zu einem so bisarren Mittel geschritten ist, um eine, nur einen Meter hohe, Mauer aufzuführen. Aber alle peruanischen Werke tragen das Gepräge eines arbeitsamen Volkes, das gerne Felsen durchbricht, Schwierigkeiten sucht, um seine Geschicklichkeit in einer Ueberwindung zu zeigen, und den unbedeutendsten Gebäuden gerne einen Karakter von Dauerhaftigkeit aufdrückt, welcher glauben lässt, dass es zu einer andern Zeit viel beträchtlichere Denkmale aufgeführt habe.

Von weitem gleicht der Ynga-Chungana einem Kanapee, dessen Rücklehne mit einer Art kettenförmiger Arabesten verziert ist. Tritt man in die ovale Einfassung selbst, so sieht man, dass hier blos für eine einzige Person Sitz ist, aber sehr bequem, und so, dass sie die herrlichste Aussicht auf die Tiefe des Thals von Gulan geniesst. Ein kleiner Fluss schlängelt sich durch dieses Thal hin, und bildet mehrere Kaskaden, deren Schaum durch die Büsche von Gunnera und Melastomen hindurchschimmert. Der rohgearbeitete Sitz würde die Gärten von Ermenonville und Richmond schmücken, und der König, der sich diesen Platz gewählt, hatte Sinn für Naturschönheiten, und gehörte zu keinem Volk, das wir Barbaren zu nennen berechtigt sind.

Ich habe in dieser Anlage nichts als einen, an einer herrlichen Stelle am Rand eines Abgrunds, über dem schroffen Abhang einer Anhöhe, die ein Thal beherrscht, angebrachten, Sitz mit einer Rücklehne sehen können. Allein die alten Indianer, die Antiquare des Lands, finden diese Erklärung zu einfach, und versichern, dass die, an dem Rand der Einfassung eingehauene, Kette zu kleinen Kugeln diente, welche man darin zur Belustigung des Fürsten in Bewegung setzte. Nun ist nicht zu läugnen, dass sich der Rand, auf welchem sich die Arabeske befindet, etwas einsenkt, und dass die Kugel, wenn sie mit Kraft losgeschnellt wurde, da, wo die Mauer auffallend niedriger ist, sich eben so hoch, als sie gefallen war, wieder heben konnte. Wäre diese Hypothese aber richtig, müsste man am Ende der Kette nicht irgend ein Loch finden, un welches die Kugeln nach ihrem Laufe hätten fallen müssen? Die Stelle, wo die Mauer der Einfassung am niedrigsten ist, die dem Sitz entgegengesetzte Seite, hängt freilich mit einer Oefnung zusammen, die man, am Rande des Abgrunds, im Felsen erblickt. Ein enger, in den Sandstein ausgehauener, Pfad führt in diese Grotte, in welcher sich, nach der Angabe der Eingebohrnen, von Atahualpa verborgene Schätze befinden. Auch versichert man, dass ehmals ein Wasserfaden über diesen Pfad geflossen sey. Muss man etwa hierin das Spiel des Inca finden, und war die Einfassung gerade so angebracht, dass der Fürst bequem sehen konnte, was auf dem schroffen Abhang des Felsens vorgieng? - Wir behalten uns übrigens vor, in der Beschreibung unsrer Reise nach Peru wieder auf diese Grotte zurück zu kommen.


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Diese Seite wurde erstellt am 7. 5. 2002.
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