stieg,
über 2 Stunden lang beständig bergauf. Höchst interessant ließ sich hier das allmähliche Zurückweichen der Vegetation
in den Winter verfolgen, indem die Flora mit der zunehmenden Steigung monateweis zurückgeblieben war, je höher und
kälter, um so weiter. Daphne Mezereum z. B., einer unserer frühesten Sträucher, der bei uns in der Ebene
schon im März Früchte ansetzt und den wir unten im Tal noch jetzt blühend gefunden hatten, hatte hier oben kaum
erst Knospen getrieben. Solbald wir über die dunkle Waldregion hinaus waren, finden auch schon einzelne
Alpenpflänzchen, die sonsst nur mit Früchten vorgekommen, blühend sich zu zeigen an: Soldanella, Primula
auricula, Dentaria enneaphyllos (letztere beide bei Baden schon längst verblüht!). Die landschaflichen
Durchblicke, die wir schon während des Steigens auf freien Waldplätzen und nachher noch offenbar auf dem nicht
mehr baumtragenden Plateau genossen, waren sehr eigentümlich, da man überall in die wilde, nackte Winternatur
der noch dickbeschneiten Alpenkämme hineinschaute, deren bezarre Felszacken in phantastischen Gruppen aus den
weiten Schneefeldern vorragten.
An der großen Sennhütte, zu der unser Führer die Lebensmittel zu bringen hatte, und die Standquartier von etwa
ein Dutzend Kaiserlicher Alpenjäger war, die dem Auer- und Birkhahn nachstellten, rasteten wir ein wenig und
wurden von dem freundlichen "Waldmeister", einem behägigen, dicken, freundlichen Herrn, mit etwas Brot und Wein
erquickt, was uns sehr zustatten kam, da die Sennerinnen erst etwa einen Monat später heraufziehen und wir also auf
dem ganzen Wege nichts mehr bekommen konnten.
Schon bald oberhalb dieser Hütte begannen die Schneefelder, über die wir jetzt etwa 3 Stunden, jedoch immer mit
Unterbrechungen durch größere Strecken schon freier Matten, hinanzusteigen hatten. Anfangs machte es uns viele
Freude, so in unmittelbarer Abwechslung über weite Schneefelder und dazwischen grüne, mit herrlich blühenden
Alpenpflanzen geschmückte Matten hinzuschreiten, allmählich aber wurde es doch etwas beschwerlich, namentlich als die
steigende Sonne die obersten Schneeschichten durchweichte und wir bei jedem Schritt bis über die Knöchel einsanken.
Am meisten hatte ich zu leiden, da ich wie gesagt auf die ganze Tour nicht eingerichtet war. Zwar hatte ich den
mangelnden Alpenstock durch einen jungen Tannenstamm ersetzt, aber die Alpenschuhe fehlten mir sehr, zumal an meinem
einen Stiefel sich schon tags zuvor die Sohle völlig abgelöst hatte, so daß ich ihn nur durch sandalenartiges
Zusammenbinden mit Bindfaden noch ziemlich roh zusammenhalten konnte. Freilich hinderte dies nicht, daß der bloße
Fuß bei jedem Tritt mit dem eisigen Schnee in Berührung kam, so daß er mir zuletzt ganz starr und empfindungslos
wurde. Auch meine grüne Gletscherbrille vermißte ich schmerzlich, weil der glänzende Lichtreflex der unbewölkten
Sonne auzf dem weißen Schneespiegel die Augen so heftig blendete, daß ich fast eine
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