Augenentzündung befürchtete. Doch blieben wir trotz dieser Unannehmlichkeiten in der herrlichsten Stimmung, da die
umgebenden Alpennatur nah und fern zu entzückend schön war und immer schöner und großartiger wurde, je höher
wir hinaufkamen. Die Vegetation blieb freilich bis auf das reichlich überall umherkriechende Knieholz und viele
Moose und Flechten bald gänzlich aus. Doch hatten wir in der untersten Zone desselben noch einen schmalen
Streifen voll der schönsten Alpenblumen gefunden: Primula auricula und die überaus prachtvolle
Primula spectabilis mit ihren kolossalen Purpurglocken, Draba aizoon, das prächtige echte
Alpenveilchen (Viola alpina) mit großer, violetter Blüte, welches von allen Alpenblumen jetzt am
höchsten hinaufging, Thlaspi alpinum, eine Saxifraga, Gentiana usw.
Bis zum Gipfel hinauf wurde jetzt der Boden ganz polarmäßig nackt und kahl, nur schnee- und eistragend, felsig
und moosig dazwischen. Grade um 12 Uhr mittags hatten wir den Gipfel der Raxalpe erklommen, 6388 Fuß ü. M., also nur
wenig niedriger als der kolossale, nackte Schneebergrücken, der uns jetzt im Nordwest grade gegenüber lag und den
freien Blick in das weite, ebene Wiener Becken größtenteils verdeckte. Um so herrlicher war die Aussicht nach allen
andern Seiten und so eigentümlich, wie ich sie nie gesehen. Es fehlte nämlich alles Grün, das sonst den Blick in
das Innere des Hochgebirges so etwas wohltuend Heimisches verleiht. Hier war aber in der Tat nichts als überall
Schnee und Eis und dazwischen nur die schmalen, nackten Rücken und Firste, die wegen ihrer Steilheit demselben
keinen Anhaltspunkt bieten und frei davon bleiben. Aber diese Aussicht hatte etwas ergreifend Großartiges; diese
Hunderte und Tausende von nahen und fernen Zacken und Spitzen, Kuppen und Hörnern, bunt und wild über- und
durcheinander getürmt, und überall zwischen dem düstern Schwarzbraun der nackten Felsen das schimmernde Silberweiß
des blinkenden Schnees, der sich rings um den ganzen Horizont scharf von dem dunkelblauen Himmel abhob. Und welche
großartige Natureinsamkeit; kein lebendes Wesen sichtbar; die Vegetation zu unsern Füßen verschwunden; kein Laut in der
erhabenen Stille hörbar. Nur einmal wurde die lautlose Stille durch ein eigentümlich kläffendes Geräusch unterbrochen,
und als wir hinblickten, sahen wir einen Fuchs ein einsames Schneehuhn aufjagen und dann in gestrecktem Lauf den
nächsten Abhang hinuntereilen. Mir wurde so wunderbar wohl und weit in der zauberhaften Eiswelt zumute, daß ich
gern noch stundenlang in das herrliche Panorama hineingesehen hätte. Auch der ungestüme, eiskalte, reine Wind,
der von den fernen Gletschwerhöhen herüberstob, war mir nicht unangenehm, sondern ich ließ ihn, wie so oft auf meinen
Alpenwanderungen frei um Hals und Brust streichen; um so empfindlicher waren meine Gefährten, die endlich mit dem
Führer aufbrachen, und denen ich ungern zögernd folgte, nachdem ich noch einen letzten Scheideblick zum Tor- und
Dachstein, meinen alten Hallstatter Freunden, hinübergesendet.
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