Sehr interessant und ganz beträchtlich war der Unterschied, den der Südabhang der Raxalpe, den wir jetzt
hinunterstiegen, in bezug auf Temperatur, Klima und Flora gegenüber dem Nordabhang, den wir hinaufgekommen, zeigte.
Während auf letzterem schon mehrere huntert Fuß unter dem Gipfel keine Blume mehr zu finden gewesen, stiegen
hier unter dem erwärmenden Einfluß einer fast senkrecht auf den Boden auffallenden Sonne einzelne blühende Alpenveilchen
fast bis zum Gipfel hinan. Und nur wenige hundert Fuß tiefer entfaltete sich ein wahrer Garten mit Tausenden der
Herrlichsten Alpenblumen, die wir aufwärts nur teilweise und spärlich entdeckt hatten. Wir entließen hier unsern
Führer, einen treuherzigen alten Burschen, nachdem er uns den Rückweg genau beschrieben, und warfen uns mit Wonne in den
Prachtvollen Blumengarten, der den ganzen Südabhang im üppigsten Frühlingsflor bedeckte und noch von keinem Menschen
und Tier, d. h. von keinem Botaniker und keiner Kuh angetastet, in jungfräulicher Fülle und Reinheit uns
entgegenstrahlte. DA war vor allem in Millionen von Exemplaren eine der schönsten Alpenpflanzen, eine Primel mit fast
1 Zoll langer und breiter, prächtig violettpurpurner Blüte (Primula spectabilis), welche zusammen mit den
kaum minder zahlreichen Gentianen (acaulis und verna, beide dunkelblau) ganze Abhänge violett färbte.
Dazwischen mit den schönsten und reinsten Goldgelb die wohlriechende Aurikel (Primula auricula) und
Draba aizoon, verschiedene weiße Kreuzblümchen (Arabis Halleri, Thlaspi alpinum),
Androsace villosa, allerliebste kleine Zwerg- und Weidenbäume von 1/2-2 Zoll HÖhe mit 1-3 purpurnen Kätzchen,
immergrüne Bärentrauben (Arctostaphylos officinalis) mit roten Beeren und weißen Blütenglöckchen, die
strauchige Erica carnea, deren Blüten heir noch einmal so dunkelrot als unten im Tal waren,
Soldanella alpina usw., kurz, eine so üppige Fülle der schönsten Alpen-Frühlings-Pflanzen, daß wir uns
mehrere Stunden nicht von ihnen trennen konnten und unsere Botanikerbeutel mit Hunderten von Exemplaren füllten.
Auch weiter unten war die Flora sehr interessant, namentlich in der tiefeingeschnittenen schneereichen Schlucht
zwischen Schnee- und Raxalp, wo uns die großen weißen Blütenglocken des Helleborus niger und der
Dentaria enneaphyllos überraschten, ferner der seltene Ranunculus Thora und weiter gegen die
Baumregion herab dichte Haine der niederen, strauchigen Alpen-Erle (Alnus viridis). Aus letzteren traten
wir in einen herrlichen maigrünen Lärchenhain, und durch gemischte Schwarzföhren- und Fichtgenwälder, gemischt mit
schlanken, luftig-lickeren Edeltannen, ging es dann ziemlich stein in das einsame Breietal, zwischen Raxalp und
Semmering, hinab, in dessen dunkelm, kahlen Grunde ein lieblicher Weg uns in kurzer Zeit nach Kapellen führte,
dem an der Einmündung des letztern gelegenen Gebirgsdorfe. Der Abend war so reizend, daß wird, obwohl tüchtig
ermüded, doch noch über
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