streift, glaubte
ich endlich ein ziemlich vollständiges Bild von der mediterranen Natur- und Menschenwelt gewonnen zu haben. Und siehe
da, diesen Frühling führt die Sehnsucht nach ionischen Medusen mich nach Korfu und Zephalonia, und wieder entrollt
sich ein neues, herrliches Gemälde vor dem überraschten Blick! Alles, was uns an der Mittelmeernatur besonders anmutet
und was ihr eigene Gepräge aufdrückt, das finden wir hier in einem harmonischen Charakterbilde vereinigt: mannigfaltige
Küstenplastik mit tief eingeschnittenen Buchten und weit vorspringenden Landzungen; langgestreckte Gebirge mit schön
geschwungenen Profilen, und schroffe, phantastisch geformte Felsenfesten am Strande - alles mit den zartesten und
wärmsten gelblichen und rötlichen Farbentönen bemalt - dazu das tiefblaue Meer mit seinem leuchtenden Himmelsdach, -
ferner die charakteristische Mediterran-Vegetation: silbergraue Olivenwälder mit schwarzen Zypressensäulen, Orangenhaine,
die gleichzeitig mit duftigen weißen Blüten und süßen, goldenen Früchten geschmückt sind, hier und da schlange
Dattelpalmen und schirmfömige Pinien, immergrüne Eichen und Lorbeeren, Erika- und Erdbeerbäume; dazu ein Blumenteppich,
der im März und April aus den prachtvollsten Anemonen und Narzissen, Orchideen und Lilien, Veilchen und Rosen
zusammengewebt ist! Alle Schätze der mediterranen Natur bietet Korfu in eigentümlicher Fülle und Anmut vereinigt, als ob
hier Orient und Okzident zum Austausche ihrer Gaben sich die Hand reichten. Und so erscheinen auch die Menschen, welche
dieses herrliche Eiland bevölkern, als eine Mischung von Ost und West, von morgenländisch-griechischer und
abendländisch-fränkischer Natur, ein Mischvolk von zentral-mediterranem Charakter.
Wenn ich es nun versuche, hier in kurzen Zügen die Eindrücke wiederzugeben, welche ein Aufenthalt von 7 Wochen
auf Korfu mir hinterlassen hat, so mächte ich freilich gern danach streben, dem Leser ein vollständiges und
abgerundetes Gesamtbild vorzuführen. Liegt ja doch darin gerade ein besonderer Reiz aller Inseln, daß sie in einem
festen Rahmen uns ein geschlossenes, in sich abgerundetes Charakterbild vor Augen stellen, eine geographische
Individualität, in der jeder Teil, wie in einem individuellen Organismus, feste Beziehungen zu allen anderen und zum
Ganzen hat. Um aber diesen individuellen Typus, wie ihn jede reich entwickelte Insel besitzt, naturgemäß und
erschöpfend darzustellen, dazu gehört nicht allein ein längerer Aufenthalt, als mir leider beschieden war, sondern auch
eine geschicktere Feder, als mir zu Gebote steht. Teneriffa von Leopold Buch, Kapri und Korsika von
Ferdinand Gregorovius, Kreta von Franz Löher sind solche mustergültige Inselbilder, mit denen wir nicht
wetteifern können. Und so bitte ich meine Leser, mit der unvollkommenen Skizze fürlieb zu nehmen, die ich ihnen hier mit
bestem Willen zu bieten vermag. Ihr Zweck würde erreicht sein, wenn sich dadurch einer oder der andere verleiten ließe,
selbst die glücklichen Gestade der Phäaken aufzusuchen! Ganz besonders gilt das für die Maler; denn für diese -
sowohl
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