daran, daß dieser edle Baum hier eine Größe, Schönheit und Entfaltung erreicht,
wie wohl an keiner anderen Stelle der Mittelmeerküste, vielleicht an keinem anderen Ort der Welt. Ich wenigsten habe
weder in Italien und Griechenland, noch selbst in Kleinasien, dem Vaterlande des Ölbaums, irgendwo solche Prachtexemplare
desselben gesehen, wie sie auf Korfu - nicht einzeln, sondern zu Hunderten! - zu finden sind. Ich hatte früher einmal
gelesen, daß die alten Ölbäume von Korfu allein schon eine Reise nach dieser Insel wert seien; und obwohl ich damals
diesen Ausspruch übertrieben fand, so kann ich ihn jetzt doch nur unterschreiben!
Im allgemeinen gilt die Olive als kein besonders schöner Baum. Zwar wird der feiner empfindende Landschaftsmaler
gewiß zugeben, daß sein stilles graues Laubwerk die lebhaften und warmen Farben der Mittelmeerlandschaft angenehm
dämpfe, und daß seine phantastische Stammbildung und Verzweigung sich vortrefflich zu Vordergrundstücken eigne. Aber eine
so beherrschende Rolle, wie Pinie und Palme, spielt die Olive auf landschaftlichen Charakterbildern gewöhnlich nicht.
Hier auf Korfu ist das anders. Hier ringt sich der Ölbaum zu selbstständiger Haltung empor und ein genialer
Landschafter wird hier Stoff zu hunderten reizender Bilder finden, auf denen die Olive nicht als Nebensacke, sondern als
Hauptobject wirkt. Obschon ich auf meinen früheren Mittelmeerreisen dem Ölbaum stets ein besonderes Interesse zugewendet
und mich an seiner ebenso mannigfaltigen als phantastischen Gestaltung ergötzt hatte, so habe ich ihn doch erst auf
Korfu wahrhaft lieben und bewundern gelernt. Mir sind keine Landschaftbilder bekannt, welche ihn in solcher
Vollkommenheit darstellten. Die berühmten Olivenwälder von der Riviera und vom Sabinergebirge, udn selbst der heilige
Ölhain von Athen können sich mit denjenigen Korfu nicht messen. Auch die vortrefflichen Darstellungen, welche uns der
geniale Friedrich Preller in seinen klassichen Odyssee-Landschaften geschenkt hat, reichen nicht an die Wirklichkeit
von Korfu heran; wenn er die Phäaken-Insel selbst besucht hätte, würde er uns sicher noch durch ganz andere Prachtbilder
von Oliven erfreut haben.
Die Ursachen, welche den segenspendenden Baum des Friedens hier zu solcher ganz ungewöhnlichen Entwicklung getrieben
haben, sind mancherlei. Zunächst wird natürlich Klima und Bodenbeschaffenheit dabei beteiligt sein. Die Olive liebt
warmen Kalkboden und feuchte Seeluft. Beides genißt sie hier in vorzüglicher Qualität. Noch mehr aber ist die
Züchtungskunst des Menschen dabei wirksam. Während nämlich an den meisten Orten der Ölbaum stark beschnitten, oft ganz
monströs verunstaltet wird, so läßt man dagegen auf Korfu seinem Wachstum freien Lauf. Weder beschränkt man das
Höhenwachstum des Baumes, noch die Ausbreitung der mächtigen, vielverzweigten Äste, und so gewinnt der Baum hier einen
Umfang und eine Ausdehnung, von der man anderwärts keine
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