Vorstellung hat. Die gewöhnlichen mehr oder
minder verschnittenen Ölbäume Italiens und Griechenlands verhalten sich zu diesen unverstümmelten Riesen von Korfu
wie unsere elenden, abgestutzten und verkrüppelten Korbweiden zu dem mächtigen Prachtbaum, den die alte, unberührte
Waldweide hie und da an bewaldeten Flußufern unsres Vaterlandes darstellt. Dieser Vergleich ist um so mehr gerechtfertigt,
als ja überhaupt die typische Vegetationsform der Weide derjenigen der Olive am nächsten steht, sowohl was den
knorrigen, phantastisch geformten Stamm und die schön geschwungenen Äste, als was die matte Färbung des lockeren
Laubwerks betrifft. Nur ist hinzuzufügen, daß diese in der farbenprächtigen Landschaft des warmen Südens eine ganz
andere, eigentümlich temperierende Stimmung erzeugen, als in unserem Norden, wo ohnehin meist alles grau in grau
gemalt ist.
Die Bäume in den Olivenwäldern von Koruf sind meistens in so weiten Abständen gepflanzt, daß sie sich nach allen
Richtungen frei ausbreiten können und daß alle Zweige Licht und Luft in Fülle erhalten. Die Stämme stehen bald
einzeln, bald zwei oder drei, oft auch vier bis sechs in einer Gruppe zusammen. Während gewöhnlich die Höhe der Olive
30-40 Fuß nicht überschreitet, sind hier ältere Stämme von mehr als 50 und 60 Fuß nicht selten. Meistens sind sie hohl,
oft vollständig ausgehöhlt, so daß nur noch die zerklüftete braumgraue Rinde mit dem dünnen, aber zähen und festen
Splint übrig ist. Dazu ist diese Rinde meistens von zahlreichen länglichen Löchern durchbrochen, oft ganz gefenstert
oder selbst netzförmig gegittert. Es macht einen seltsamen Eindruck, durch diese hohlen Baumstämme hindurch den lichten
Himmel, das blaue Meer, oder selbst ein ganzes Landschaftsbildchen, wie von einem Fensterchen umrahmt, zu schauen.
Während aber so der eigentliche Hauptstamm des Baumes nur noch aus einer gefensterten Rindenwand besteht, strecken oben die
kräftigsten Äste ihre gewaltigen Arme hoch in die blaue Luft hinaus und tragen jeder für sich eine reiche, zierlich
durchbrochene Laubkrone. Überaus malerisch und phantastisch ist die Gestaltung dieser mächtigen Äste, welche in
kühnem Schwunge bald hoch immelanstreben, bald weit horizontal sich ausbreiten, bald in den sonderbasten Bogen und
Kurven sich durchschlingen und umwachsen. Bisweilen glaubt man einen Knäuel von kämpfenden Riesenschlangen zu sehen,
die doch aufgebäumt sich gegenseitig zu erwürgen streben. Dann wiederum gleicht das dichtverschlungene Astwerk
einer märchenhaften Arabeske, wie sie die kühnste Phantasie nicht reicher dichten kann. Die wenigen größeren Äste, oft
selbst so stark wie ein mäßiger Baumstamm, spaltens ich am Ende in eine größere Anzahl von dünnen Zweigen, die sich
schließlich in feine und zierliche Astbüschel auflösen. Daraus ergibt sich meistens auch eine büschelförmige Verteilung
für die größeren Laubgruppen, deren lockere Massen, überall von den Sonnenstrahlen durchbrochen, gleich den
durchlöcherten Stämmen nur unvollkommenen Schatten spenden. Zierlich gruppiert erscheinen die schmalen,
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