An der steilen und wild zerklüfteten Felswand, die hier unterhalb Pelleka jäh ins Meer stürzt, liegt tief unten ein
griechisches Kloster, ganz zwischen Felsen in Myrtengebüsch versteckt und daher das "Myrtenkloster" genannt:
Myritotissa - gewiß ein seltsamer Name für ein keusches Heiligtum, dessen einsame Bewohner zum Zölibat verurteilt
sind! Nach dem Ordensgelübde sollen diese Mönche jeden Gedanken an den bräutlichen Myrtenkranz wie eine Versuchung des
Satans fliehen und den geheimnisvollen Strauch der Aprodite mit seinem berauschenden Dufte ganz ausrotten, statt ihre
einsame Lagerstätte mit seinem Laube zu polstern. Zum Glück ist in dieser Welt der Widersprüche dafür gesorgt, daß
Theorie und Praxis nicht immer stimmen! Die frischen wohlgenährten Gesichter der jugendlichen Mönche des Myrtenklosters
verrieten wenigstens keine Zug von Askese und schwärmerischer Entsagung; und wir irren gewiß nicht in der Annahme, daß
ihr stiller Myrtenhain von schönen Mädchen aus Pelleka öfter betreten wird, als die strenge Ordensregel es gestattet.
Die unbelauschte Einsamkeit des felsigen Strandes, der einlullende Gesang der wiegenden Wogen, das dunkle Dickicht
des Klosterparks, zu dem mancher heimliche Bergpfad von dem eine Stunde entfernten Dorfe jäß hinabführt - das alles sind
Elemente, für einen Klosterroman wie geschaffen, besonders wenn dann noch der Vollmond sein Silberlicht auf der weiten
Wasserfläche spiegelt!
Der Tag, an welchem ich Pelleka in Gesellschaft zweier jungen Freunde aus der Familie Fels zum letzten Male besuchte
und mit ihnen zum Myrtenkloster hinabkletterte, war regnerisch und trübe, bot aber trotzdem manch ergötzliches
Abenteuer. Ein wilder Schirokko hatte das Meer schon tags zuvor gewaltig aufgeregt und schleuderte heute unter
betäubendem Donner wahre Wellenberge gegen die zerrissene Küste. Feine Schaumwolken stäubten haushoch in die graue
Luft. Ein wenig unterhalb des Klosters öffnet sich eine kleine, runde Bucht, deren sanft geneigter Grund mit dem
weichsten Seesande bedeckt ist, ein ausgesucht schöner Badeplatz! Einer solchen Versuchung konnten wir Verehrer des
Poseidon nicht widerstehen. Eine Felsengrotte bot uns einen geschützten Ort zum Trocknen und Aufbewahren unserer
Kleider, und so erquickten wir uns noch dem Süßwasserbade des strömenden Regens in der schwülen Schirokkoluft durch ein
unvergleichliches Wellenbad in der tobenden Salzflut. Wie auf der Düne von Helgoland rollten lange, mit weißem
Schaum gekrönte Wellenberge donnernd heran und wirbelten uns kleine Menschenkinder wie Federbälle zwanzig, dreißig
Fuß weit über die glatte, weiche Sandfläche dahin. Immer wieder versuchten wir in raschem Sprunge weiter hinaus zu
schwimmen, und immer wieder schleuderte uns der tobende Strudel an den Strand zurück. Offenbar wollte der gütige
Meergott uns eine Szene aus dem fünften Gesange der Odyssee leibhaft vor Augen führen. Denn das war dieselbe Brandung,
welche den göttliches Dulder Odysseus, vom Schleier der Leukothea getragen, an den Strand
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