Pittoreske Ansichten der Cordilleren und Monumente americanischer Völker

Alexander von Humboldt

Tübingen, 1810

[Vorige Tafel] [Inhaltsverzeichniss] [Nächste Tafel]

Tafel 11


Hohe Auflösung

Ein, zu Oaxaca gefundenes, mexicanisches Relief.

Dieses Relief, eines der merkwürdigsten Ueberbleibsel mexicanischer Bildhauerkunst, ist vor wenigen Jahren in der Nähe der Stadt Oaxaca gefunden worden. Die Zeichnung davon wurde mir von einem ausgezeichneten Naturkundigen, Hrn. Carvantes, Professor der Botanik in Mexico, mitgetheilt, dem wir die Kenntniss der neuen Geschlechter Cheirostemon, Guardiola und vieler andern Pflanzen zu verdanken haben, welche die Herren Sesse und Mociño in ihrer Flora von Neu-Spanien herausgeben werden. Herr Cervantes erhielt von den Personen, die ihm diese Zeichnung zugeschickt haben, die Versicherung, dass solche mit der grössten Sorgfalt copirt, und dass das Relief, welches in einen schwärzlichen und sehr harten Stein gehauen ist, über einen Meter hoch sey.

Wer sich ein besonderes Studium aus den toltekischen und aztekischen Monumenten gemacht hat, muss einer Seits über die Aehnlichkeit des Reliefs von Oaxaca mit den Figuren in den hieroglyphischen Handschriften, an den Idolen, und auf der Begleidung mehrerer Teocalli´s, und anderer Seits über die Contraste erstaunen, die sie in verschiedenen Rücksichten gegen letztere bilden. Statt jener untersetzten Menschen, welche kaum fünf Köpfe hoch sind, und an den ältesten etrurischen Styl erinnern, bemerkt man auf dem Relief der 11ten Platte eine, aus drei Figuren von schlanker Form bestehende, Gruppe, deren ziemlich richtige Zeichnung nicht mehr die erste Kindheit der Kunst verräth. Freilich muss man befürchten, dass der spanische Mahler, der diese Bildhauerei in Oaxaca kopirte, hie und da die Umrisse, besonders an den Händen und Fusszehn, vielleicht unwillkührlich verbessert habe; aber darf man annehmen, dass er das Verhältniss der ganzen Figuren verändert habe? Verliert diese Voraussetzung nicht alle Wahrscheinlichkeit, wenn man die ängstliche Sorgfalt, mit der die Form der Köpfe, die Augen und vorzüglich die Zierrathen, unter denen man Federn, Bänder und Blumen erkennt, diese ausserordentlich grossen Nasen, trift man auch in den mexicanischen Mahlereien an, welche zu Rom, Veletri und Berlin aufbewahrt werden. Nur wenn man Alles, was in dem nemlichen Zeitraum, und durch Völker gemeinschaftlichen Ursprungs, hervorgebracht worden ist, zusammenstellt, gelangt man zu einer richtigen Idee von dem Styl, welcher den Karakter der verschiedenen Monumente bezeichnet; wenn man anders die Uebereinstimmung, die man unter einer Menge von fantastischen und seltsamen Formen entdeckt, einen Styl nennen darf.

Man könnte ferner fragen, ob sich das Relief von Oaxaca nicht aus einer Zeit herschreibe, wo die indianischen Bildhauer, nach der ersten Landung der Spanier, schon Kenntniss von einigen europäischen Kunstwerken hatten? Um diese Frage zu untersuchen, muss man sich erinnern, dass drei oder vier Jahre vorher, ehe sich Cortes des Lands von Anahuac bemeisterte, und die geistlichen Missionarien den indianischen Künstlern verboten andre Gegenstände, als heilige Figuren darzustellen, schon Hernandez von Cordova, Antonio Alaminos und Grixalva die americanischen Küsten von der Insel Cozumel und dem, auf der Halbinsel Yucatan gelegenen, Vorgebirg Catoche an, bis zur Mündung des Flusses Panuco, besucht hatten. Diese Eroberer liessen sich überall mit den Einwohnern ein, welche sie wohlgekleidet, in volkreichen Städten vereinigt und in der Civilisation unendlich weiter, als alle andre Völker des neuen Continents, fortgeschritten fanden. Wahrscheinlich kamen den Eingebornen durch diese militärischen Züge Kreutze, Rosenkränze und einige, von den Christen verehrte, Bilder in die Hände; auch könnten diese von Hand zu Hand, von den Küsten bis in die innern Länder im Gebirg von Oaxaca, gelangt sey; aber man kann annehmen, dass der Anblick einiger richtig gezeichneten Figuren die, durch den Gebraucht von mehrern Jahrhunderten geheiligten, Formen verdrängt habe? - Ohne Zweifel würde ein mexicanischer Bildhauer das Bild eines Apostels getreu nachgebildet haben; aber hätte er es in einem Lange, wo die Eingebornen, gleich den Indostanern und Chinesen, mit der grösten Hartnäckigkeit an den Sitten, Gewohnheiten und Künsten ihrer Vorältern hängen, wagen dürfen, einen aztekischen Helden, oder eine Gottheit unter fremden und neuen Formen darzustellen? Ausserdem zeigen die historischen Gemälde, die von mexicanischen Mahlern nach der Ankunft der Spanier verfertigt worden sind, und deren mehrere sich unter den Trümmern der Boturinischen Sammlung zu Mexico befinden, augenscheinlich, wie langsam die europäischen Künste auf den Geschmack und die Richtigkeit in den Zeichnungen der amerikanischen Völker eingewirkt haben.

Ich habe für nothwendig gehalten, die Zweifel, welche man gegen den Ursprung des Reliefs von Oaxaca erheben kann, anzuführen. Ich liess es in Rom, nach der Zeichnung, welche mir davon mitgetheilt wurde, stechen; bin aber weit entfernt, über ein so ausserordentliches Monument, das ich nicht einmal selbst untersuchen konnte, zu entscheiden. Die Architektur des Pallastes zu Mitla, die Schönheit der Grecques und der Labyrinthe, womit seine Mauern geziert sind, beweisen, dass die Civilisation bei den zapotekischen Völkern einen höhern Grad erreicht hatte, als bei den Einwohnern des Thals von Mexico. In dieser Rücksicht dürfen wir uns daher weniger darüber wundern, dass das Relief, welches unsre Aufmerksamkeit fesselt, zu Oaxaca, dem alten Huaxyacac, das der Hauptort des Landes der Zapoteken war, gefunden worden ist. Dürfte ich meine eigene Meinung aussprechen, so würde ich sagen, dass es mir viel natürlicher scheint, dieses Monument Americanern, die noch nicht mit den Weissen in Verbindung waren, zuzuschreiben, als anzunehmen, dass sich irgend ein spanischer Bildhauer, der der Armee des Cortes gefolgt ist, den Spass gemacht habe, dieses Werk, zu Ehren des überwundenen Volks, in americanischem Style zu verfertigen. Die Eingebornen der Nordwestküste von America sind niemals zu den sehr civilisirten Völkern gezählt worden, und doch haben sie es zur Ausführung von Zeichnungen gebracht, an denen englische Reisende die Richtigkeit der Verhältnisse bewundert haben. (Dixon´s Voyage, p. 242).

Was es nun auch damit für eine Bewandtniss habe, so scheint es gewiss zu seyn, dass das Relief einen, aus der Schlacht kommenden, mit Beute von seinen Feinden gezierten, Krieger vorstellt. Zween Sclaven sind zu den Füssen des Siegers angebracht. Am auffallendsten an dieser Composition sind die ungeheuren nasen, welche an den sechs, im Profil gezeichneten, Köpfen wiederholt sind. Diese Nasen sind der wesentliche Karacter aller Denckmale von mexicanischer Bildhauerei. Auf den, sowohl zu Wien, Rom und Veletri, als in dem Pallasst des Vice-Königs zu Mexico aufgewahrten, hieroglyphischen Gemälden sind alle Gottheiten, Helden, und selbst Priester mit grossen Adlers-Nasen abgebildet, welche oft gegen die Spitze hin durchstochen, und mit der Amphisbène oder der geheimnissvollen zweiköpfigen Schlange geziert sind. Vielleicht bezeichnet diese ausserordentliche Physiognomie auch irgend eine, von den gegenwärtigen Bewohnern dieser Gegenden sehr verschiedene, Menschenraçe, die eine dicke, platte Nase hatte, und von mittelmässgier Leibesgrösse war. Auch wäre es möglich, dass die aztekischen Völker mit dem Fürsten der Philosophen (Plate de Republica, Lib. V.) geglaubt, eine grosse Nase habe etwas Majestätisches und Königliches (basilinon) und dass sie solche in ihrem Relief und Mahlereien als das Symbol der Macht und moralischen Grösse betrachtet hätten.

In der mexicanischen Zeichnung ist die zugespitzte Form der Köpfe nicht minder auffallend, als die Grösse der Nasen. Untersucht man den Schädel der Eingebornen von America osteologisch, so ergiebt sich, wie ich schon anderswo bemerkte, dass keine Menschenraçe auf dem Erdboden das Stirnbein stärker nach hinten niedergedrückt, oder eine kleinere Stirne habe. (Blumenbach, Decas quinta craniorum, 1808. S. 14. Tab. 46). Diese ausserordentlich Abplattung findet sich bei den Völkern von kupferfarber Raçe, welche nie die Gewohnheit gekannt haben, künstliche Unformen hervorbringen, wie die Schädel der mexicanischen, peruanischen und Atures-Indianer bewiesen, die Herr Bonpland und ich mitgebracht, und wovon wir mehrere in dem Museum der Naturgeschichte zu Paris niedergelegt haben. Die Negern geben den dicksten und hervorragendsten Lippen den Vorzug; die Calmücken gestehen solchen den Stülp-Nasen zu, und ein berühmter Gelehrter, Herr Cuvier (Leçon d´Anatomie comparée. B. II. 6.), bemerkt, dass die griechischen Künstler, bei den Statuen der Helden die Gesichtslängen-Linie auf eine unnatürliche Weise um 95 bis 100 Grade erhöhet haben. Ich bin geneigt zu glauben, dass der, bei einigen wilden Horden eingeführte Gebraucht, den Kopf der Kinder zwischen zwei Brettern zusammenzudrücken, seinen Ursprung von der Idee genommen hat, dass die Schönheit in dieser ausserordentlichen Abplattung des Stirnbeins, durch welche die Natur die americanische Raçe karakterisirt hat, bestehe. Ohne Zweifel haben selbst die aztekischen Völker, welche niemals die Köpfe ihrer Kinder verunstalteten, nach diesem Schönheits-Princip ihre Helden und vorzüglichsten Gottheiten mit einem viel stärker abgeplatteten Kopfe vorgestellt, als mirje unter den Caraiben am Nieder-Orinoco vorgekommen ist.

Der, auf dem Relief von Oaxaca abgebildete, Krieger zeigt eine ganz besondere Mischung von Trachten. Die Zierrathen seines Kopfputzes, der die Form eines Helms hat, und die an der Standarde (Signum.), welche er in der linken Hand hält, und auf der man, wie auf der Fahne des Ocotelolco, einen Vogel erblickt, finden sich auf allen aztekischen Malereien. Das Leibkleid mit langen und engen Aermeln erinnert an das Gewand, das bei den mexicanern Ichcahuepilli hiess; aber das Netz, das die Schultern bedeckt, ist ein Zierrath, welchen man sonst nicht mehr bei den Indianern vorfindet. Unter dem Gürtel ist die Haut eines Jaguar, wovon man den Schwanz nicht abgeschnitten hat. Die spanischen Geschichtsschreiber melden, dass die mexicanischen Krieger, um in dem Streit fürchterlicher auszusehen, ungeheure Helme von Holz in Form von Tigerköpfen trugen, deren Rachen mit Zähnen von diesem Thier besezt war. Zween Schädel, ohne Zweifel von überwundenen Feinden, sind an dem Gürtel des Siegers befestiget, und seine Füsse mit einer Art von Halbstiefeln bedeckt welche an die scheleai oder Caligae der Griechen und Römer erinnern.

Die, zu den Füssen des Ueberwinders mit gekreuzten Beinen sitzenden, Sclaven sind wegen ihrer Stellungen und ihrer Nacktheit sehr merkwürdig. Der zur Linken gleicht den Figuren jener Heiligen, die man auf hindostanischen Gemälden sehr häufig antrift, und die der Seemann Roblet auf der nordwestlichen Küste von America unter den hieroglyphischen Malereien der Bewohner des Coox-Canals gefunden hat. (Voyage de Marchand, B. I. S. 312). Es wäre übrigens leicht, auf diesem Relief die phrygische Mütze und die Schürze (peridoma) der egyptischen Statuen zu finden, wenn man einem Gelehrten (Court de Gebelin) folgen wollte, der, durch seine feurige Einbildungskraft verleitet, in dem neuen Continent karthaginensische Innschriften und phönizische Denkmale zu entdecken glaubte. (Siehe Archaeologia: or miscellaneous tracts relating to Antiquity; published by the Society of Antiquarians of London. Vol. VIII, S. 290.)


Diese Seite ist Teil von Kurt Stübers online library.
Diese Seite wurde erstellt am 7. 5. 2002.
© Kurt Stüber, 2002.