Pittoreske Ansichten der Cordilleren und Monumente americanischer Völker

Alexander von Humboldt

Tübingen, 1810

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Tafel 12


Hohe Auflösung

Genealogie der Fürsten von Azcapozalco.

Man hat auf dieser Tafel zwei Bruchstücke von hieroglyphischen Gemählden zusammengestellt, welche beide jünger sind, als die Ankunft der Spanier auf den küsten von Anahuac. Die Originale, nach welchen diese Zeichnungen gemacht wurden, gehören zu den aztekischen Handschriften, die ich aus Neu-Spanien mitgebracht, und in der königlichen Bibliothek zu Berlin niedergelegt habe. Der, mittelst mehrerer Wechselplatten abgedruckte, Kupferstich ahmt, ausser der Zeichnung, auch die Farbe des mexicanischen Papiers vollkommen nach. Er erinnert an den berühmten Umschalg einer Mumie, welche sich einige Zeit in dem Cabinet eines Privatmanns zu Strasburg befand, und womit nun das egyptische Institut seine grossen und kostbaren Sammlungen bereichert hat.

Das Papier, welches zu den hieroglyphischen Mahlereien der aztekischen Völkern diente, hat viele Aehnlichkeit mit dem alten egyptischen, aus Fasern von Schilf (Cyperus papyrus) verfertigten, Papier, das, nach des Herrn Landolina´s Bemerkung, auch in der Gegend von Syrakus, wie an den Ufern des Nils, wild wächst. Die Pflanze, welche man in Mexico zur Verfertigung des Papiers gebrauchte, ist die nemliche, die in unsern Gärten unter dem Namen Aloë vorkommt. Es ist die Agave americana, von den Völkern aztekischen Stamms Metl, oder Maguey benannt. Die Verfahrensart bei Verfertigung dieses Papiers kam ungefähr derjenigen gleich, welche in den Inseln des Südmeers bei Anwendung der Rinde des Papier-Maulbeerbaums (Broussonetia papyrifera) zu ähnlichem Zwecke, befolgt wird. Nachdem man nemlich die Blätter und Stiele lange genug im Wasser eingeweicht hatte, um die Fasern davon zu trennen, leimte man diese lagenweis über einander. Dieses Papier aus Metl war von verschiedener Qualität; einiges gleich dem Papendeckel, anders hätte man für das feinste chinesische Papier halten können. Ich habe Stücke gesehen, die 3 Meters lang, und zwei breit waren In dem alten Anahuac war der Verbrauch dieses Papiers so gross, dass nach denen, von Thevenot, und neuerlich von Cardinal Lorenzana zu Mexico herausgegebenen, Registern der Tribute, die Städte Quauhnahuac, Panchimalco, Atlacholoajan, Xiuhtepec und Huitzilac dem König Montezuma jährlich 16000 Ballen Metl-Paper bezahlten. Heutzutag hingegen wird die Agave nicht mehr wegen des Papiermachens gebaut, sondern um, zur Zeit der Entwicklung des Stiels und der Blumen, aus ihrem Saft den berauschenden Trank, der unter dem Namen Octli oder Pulque bekannt ist, zu bereiten; denn die Agave oder Metl kann zugleich die Stelle des asiatischen Hanfs, des egyptischen Schilfs und des europäischen Weinstocks vertreten. Der Bau dieser Pflanze, welche auf den höchsten und kältesten Plateau´s fortkommt, ist ein so bedeutender Gegenstand für den Fiscus, dass die Abgaben von der Einfuhr des Pulque in den drei Städten Mexico, Toluca und Puebla der Regierung den jährlichen reinen Ertrag von beinahe vier Millionen Franken abwerfen. (S. meinen politischen Versuch über das Königreich Neu-Spanien. B. IV. Kap. IX.)

Das Gemählde, wovon sich unten, auf der zwölften Kupfertafel eine Copie befindet, ist fünf Decimeters lang, und drei breit. Es hat sich gut erhalten, die Farben sind sehr lebhaft, und das Agave-Papier, welches durch die Zeit gelb geworden ist, sehr fein und gleich gewoben. Wahrscheinlich hat dieses Bruchstück von Hieroglyphen-Schrift, das ich zu Mexico in der Versteigerung der Sammlungen des Herrn Gama gekauft habe, ehemals dem Museum des Ritters Boturini Benaducci angehört. Dieser mailändische Reisende war aus keiner andern Ursache über das Meer gegangen, als um die Geschichte der eingebornen Völker von America an Ort und Stelle selbst zu studieren. Als er aber das Land bereiste, um die Monumente zu untersuchen, und bei den Indianern Alles, was auf ihre Mythologie, ihre Gesetze und den alten Zustand ihrer Civilisaton Bezug hatte, zu sammeln, widerfuhr ihm das Unglück, dass er das Misstrauen der spanischen Regierung erweckte. Nachdem man ihn daher alelr Früchte seiner Bemühungen beraubt hatte, wurde er im Jahr 1736 als Staatsgefangener nach Madrid geschickt. Hier erklärte ihn der König von Spanien nun freilich für unschuldig; aber diese Erklärung verhalf ihm nicht wieder zu seinem Eigenthum. Diese Sammlungen, von denen Boturini am Ende seines, zu Madrid gedruckten, Essai sur l`Histoire ancienne de la Nouvelle-Espagne das Verzeichniss bekannt gemacht hat, blieben in den Archiven von Königreichs Mexico begraben, und man hat diese kostbare Reste aztekischer Cultur mit so wenig Sorgfalt aufbewahrt, dass heutzutag kaum noch der achte Theil von den hieroglyphischen Handschriften übrig ist, welche dem italienischen Reisenden abgenommen wurden.

Diejenigen, welche von Boturini das genealogische Gemählte, das wir liefern, besassen, fügten demselben erklärende Noten, bald in mexicanischer, bald in spanischer Sprache, bey. Man ersieht aus diesen Anmerkungen, dass die Familie, deren Genealogie die Zeichnung darstellt, die der Herren (Tlatoanis) von Azcapozalco ist. Das kleine Land dieser Fürsten, welchem die Tepaneken den prächtigen Namen eines Königreichs gaben, lag in dem Thal von Mexico, an dem westlichen Ufer des Sees von Tezcuco, nördlich von dem Fluss Escapuzalco. Torquemada sagt, dass diese, auf das Alter ihres Adels eifersüchtige Fürsten ihren Ursprung bis in das erste Jahrhundert unserer Zeitrechnung hinaufgesetzt haben. Sie waren nicht von mexicanischen oder aztekischem Stamme, sondern betrachteten sich als Abkömmlinge von den Königen der Acolhuen, welche das Land Anahuac vor der Ankunft der Azteken regiert hatten. Diese letztere machten sich die Fürsten von Azcapozalco zinsbar, und zwar im eilften Calli der mexicanischen Zeitrechnung, welcher mit dem Jahr 1425 unsers Kalenders übereinstimmt.

Das genealogische Gemählde scheint 24 Generationen zu umfassen, die durch eben so viele, unter einander gestellten Köpfe bezeichnet sind. Man darf sich nicht wudnern, dass man nie mehr, als einen einzigen Sohn sieht; denn auch bei den ärmsten Indianern, die zugleich zinsbar sind, wird alles nach dem Majorat vererbt. (Gomara Hiss. de la Conquista de Mexico, 1553. fol. CXXI.) Die Genealogie beginnt mit einem Fürsten Namens Tixlpitzin, den man nicht mit Tecpaltzin, dem Oberhaupt der Azteken bei ihrer ersten Auswanderung aus Aztlan, noch mit Topiltzin, dem letzten König der Tolteken, verwechseln darf; aber man wird sich vielleicht wundern, statt des Namens Tixlpitzin nicht den von Acolkuatzin, dem ersten König von Azcapozalco von der Familie der Citin, zu finden, welcher, nach der Tradition der Eingeborn, in einem sehr entfernten Lande, nördlich von Mexico regierte. Neben dem vierzehnten Kopf steht der Name Vitznahuatl geschrieben. Wäre dieser Fürst nur Eine Person mit einem König von Huexotla, den die mexicanischen Geschichtsschreiber auch Vitznahuatl nennen, und der um das Jahr 1430 lebte, so würde, nur 30 Jahre auf eine Generation gerechnet, die Genealogie der Familie Azcapozalco bis zum Jahr 1010 unserer Zeitrechnung hinaufreichen. Aber wie soll man in diesem Fall, da die Zeichnung gegen Ende des 16ten Jahrhunderts gemacht zu seyn scheint, die zehn folgenden Generationen erklären? Ich will hierüber eben so wenig entscheiden, als warum die Jahrszahl 1565 zwischen dem Namen der beiden Fürsten Anahuacatzin und Quauhtemotzin steht. Man weiss, dass letzteres der Name des unglücklichen aztekischen Königs ist, welchen Gomara fälschlich Quahutimoc nennt, und der, auf Cortes Befehl, im Jahr 1521 an den Füssen aufgehängt wurde, wie diess durch eine, sehr kostbare, in dem Kloster von San-Felipe Neri zu Mexico aufbewahrte hieroglyphische, Geschichte erwiesen ist. (Siehe meinen politischen Versuch über Neu-Spanien. B. 2. S. 57.) Aber wie sollte dieser König, ein Neffe von Montezume, in die Familie der Herrn oder Tlatoanis von Azcapozalco kommen?

So viel ist gewiss, dass, als der letzte dieser Fürsten das genalogische Gemählde seiner Vorfahren verfertigen liess, sein Vater und Grossvater noch am Leben waren. Dieser Umstand wird durch die kleinen Zungen, welche in einige Entfernung von dem Mund angebracht sind, deutlich bezeichnet. Ein todter Mensch, sagen die Eingebornen, ist zu ewigem Stillschweigen gebracht: ihrer Meinung nach ist legen reden; und, wie wir bald sehen werden, viel reden ein Zeichen von Macht und Adel. Diese Figuren von Zungen finden sich auch auf dem mexicanischen Gemählde von der allgemeinen Ueberschwemmung, welches Gemelli nach der Handschrift des Siguenza bekannt gemacht hat. Man sieht auf demselben stummgeborne Menschen, die sich zerstreuen, um die Erde wieder zu bevölkern, un deinen Vogel, welcher 33 verschiedene Zungen unter sie vertheilt. Auf gleiche Weise wird ein Vulcan, wegen des unterirdischen Geräusches, das manchmal in seiner Nähe gehört wird, von den Mexicanern als ein Kegel abgebildet, über welchem mehrere Zungen schweben, und heisst ein Vulcan überhaupt der redende Berg. (Siehe oben in der Beschreibung der siebenden Kupfertafel.)

Es ist sehr merkwürdig, dass der mexicanische Mahler nur den drei Personen, die zu seiner Zeit lebten, das Diadem (Copilli), welches ein Zeichen der unumschränkten Herrschaft ist, gegeben hat. Man findet diesen nemlichen Kopfputz, aber ohne den Knoten, welcher sichgegen den Rücken verlängert, auf den, von dem Abbé Clavigero herausgegebenen, Figuren der Könige von aztekischen Dynastie. Der letzte Sprössling der Herrn von Azcapozalco ist auf einem indianischen Sessel sitzend, und mit blossen Füssen abgebildet; dahingegen die todten Könige nicht allein ohne Zunge, sondern auch die Füsse in den königlichen Mantel (Xiuhtilmatli) eingehüllt, dargestellt sind, was diesen Bildern eine grosse Aehnlichkeit mit den egyptischen Mumien giebt. Es ist beinahe überflüssig, hier die allgemeine Bemerkung zu wiederholen, dass auf allen mexicanischen Gemählden die Gegenständie, welche durch einen Faden mit dem Kopf verbunden sind, den Kennern der Sprache der Eingebornen die Namen der Personen andeuten, welche der Mahler vorstellen wollte. Auch nennen die Eingebornen diesen Namen im Augenblick, da sie einen Blick auf die Hieroglyphen werfen. Chimalpopoca bedeutet einen rauchenden Schild; Acamapitzin, eine Hand, welche Schilfrohre hält. Die Mexicaner mahlten daher, wenn sie die Namen dieser beiden Könige, der Vorgänger von Montezuma, andeuten wollten, einen Schild und eine Faust, die, mittelst eines Fadens, an zwey, mit der königlichen Binde gezierte, Köpfe geknüpft waren. Ich habe sogar auf Gemählden, welche nach der Eroberung verfertigt worden sind, den tapfern Pedro Alvarado mit zweyen hinter seinem Nacken angebrachten Schlüsseln dargestellt gesehen, was wahrscheinlich auf die Schlüssel des heiligen Petrus anspielte, von denen das Volk überall Abbildungen in den christlichen Kirchen sah. Was die Fussstapfen hinter den Köpfen auf unsrem genealogischen Gemählde bedeuten, ist mir unbekannt; auf andern aztekischen Mahlereien oder bezeichnet diese Hieroglyphe Strassen, Wanderungen und manchmal die Richtung einer Bewegung.

Ein Prozess-Stück in Hieroglyphen-Schrift.

Unter der grossen Menge von Mahlereien, welche die ersten Eroberer bei den mexicanischen Völkern fanden, hatten viele die Bestimmung, als Documente in Streitsachen zu dienen. Das Fragment, welches der Genealogie der Herrn von Azcapozalco beigefügt ist, zeigt uns ein Bespiel dieser Gattung, nemlich ein Stück aus einem Process, der über den Besitzt eines indianischen Meierhofs erhoben wurde.

Unter der Dynastie der aztekischen Könige war das Gewerbe der Advocaten in Mexico unbekannt. Die Parthien erschienen in Person, um ihre Sache entweder vor dem Richter des Orts, Teuctli genannt, oder vor den obersten Gerichtshöfen, die mit den Namen tlacatecatl oder Cihuacoatl bezeichnet wurden, zu verfechten. Da der Urtheilsspruch nicht sogleich nach Anhören der Parthien gegeben wurde, so erheischte der Vortheil der Processierenden, in den Händen der Richter eine hieroglyphische Mahlerei zu lassen, welche diese an den Hauptgegenstand ihres Streits erinnerte. Führte der König selbst in der Versammlung der Richter den Vorsitz, was alle zwanzig und, in gewissen Fällen, nur alle achtzig Tage der Fall war, so wurden diese Processschriften unter die Augen des Monarchen gelegt. Bei Criminal-Fällen stellte das Gemählde den Angeklagten nicht nur in den Augenblick vor, da er das Verbrechen begangen, sondern auch in den verschiedenen Umständen seines Lebens, welche dieser Handlung vorhergegangen waren. Wenn der König das Todesurtheil aussprach, so zog er mit der Spitze eines Wurfspiesses einen Strich durch den Kopf des, auf dem Gemählde abgebildeten, Angeklagten.

Der Gebrauch dieser, zu Process-Schriften dienenden, Malereien erhielt sich noch lange Zeit nach der Eroberung bei den spanischen Tribunalen. Da die Eingebornen nicht anders, als mittelst eines Dollmetschers, zu ihren Richtern sprechen konnten, so hielten sie die Anwendung von Hieroglyphen für doppelt nöthig, und man legte sie den verschiedenen Justizhöfen in Neu-Spanien (der Real Audiencia, der Sala del Crimen, und dem Jusgado de Indios) noch bi szu Anfang des 17ten Jahrhunderts vor. Als Kaiser Carl V., seinem Plan zufolge, die Künste und Wissenschaften auch in diesen entfernten Gegenden blühen zu machen, im Jahr 1553 die Universität zu Mexico stiftete, wurden drey Lehrstühle für den Unterricht in der aztekischen und olomischen Sprache, und für die Erklärung der hieroglyphischen Mahlereien errichtet, und man hielt es lange Zeit für unumgänglich nöthig, Advocaten, Procuratoren und Richter zu haben, welche im Stand wären, die Process-Schriften, die genealogischen Mahlereien, den alten Codex der Gesetze und der Verzeichniss der Auflagen (tributos) welche jedes Lehen seinem Ober-Lehnsherrn entrichten mussten, zu lesen. Noch gegenwärtig sind in Mexico zween Professoren für die indianischen Sprachen, und nur der, dem Studium der aztekischen Alterthümer gewidmete, Lehrstuhl ist eingegangen. Der Gebrauch der Mahlereien hat sich völlig verloren, nicht, als ob die spanische Sprache bei den Eingebornen grössere Fortschritte gemacht hätte, sondern weil Letztere wissen, dass es ihnen, bey der gegenwärtigen Einrichtung der Tribunale, weit nützlicher ists, ihre Rechtssachen durch Advocaten vor dem Richter vertheidigen zu lassen.

Das Gemählde auf der zwölften Tafel scheint einen Process zwischen Spaniern und Eingebornen zu enthalten. Der Gegenstand des Streits betrift eine Meierei, von der der Grundriss beigefügt ist. Man erkennt die Landstrasse, welche durch Fussstapfen bezeichnet ist, im Profil gezeichnete Häuser, einen Indianer, dessen Namen durch einen Bogen angegeben wird; und spanische Richter, die auf Stühlen sitzen und die Gesetze vor sich haben. Der, zunächst über den Indianer gestellte, Spanier nennt sich wahrscheinlich Aquaverde; denn die Hieroglyphe von grün gemahltem Wasser befindet sich hinter seinem Kopf. Die Zungen sind auf diesem Gemählde sehr ungleich vertheilt. Alles kündigt den Zustand eines eroberten Landes an; kaum wagt es der Eingeborne, seine Sache zu vertheidigen, während die Fremden mit langen Bärten als Abkömmlinge eines erobernden Volks viel und laut sprechen.


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