Pittoreske Ansichten der Cordilleren und Monumente americanischer Völker

Alexander von Humboldt

Tübingen, 1810

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Tafel 13


Hohe Auflösung

Eine aztekische Hieroglyphen-Handschrift, die sich auf der Vatikanischen Bibliothek befindet.

Die mexicanischen Mahlereien, von denen indess nur wenige auf unsere Zeit gekommen sind, haben ein doppeltes Interesse für uns; und zwar eines Theils wegen des Lichts, das sie über die Mythologie und die Geschichte der ersten Bewohner von America verbreiten, und andrer Seits wegen der Aehnlichkeit, welche man zwischen ihnen und der Hieroglyphen-Schrift mehrerer Völker es alten Continents zu finden glaubte. Um in diesem Werk daher alles zu vereinigen, was uns über die Verbindungen belehren kann, welche in frühsten Zeiten zwischen den, durch Steppen, Gebirge und Meere getrennten, Völkergruppen Statt gefunden zu haben scheinen, wollen wir hier die Resultate unsrer Untersuchungen über die hieroglyphischen Mahlereien der Americaner mittheilen.

Man findet in Ethiopien Schriftzüge, die eine erstaunliche Aehnlichkeit mit denen des alten Samskrit, und besonders mit den Aufschriften an den Gewölben von Cenarah haben, deren Bau höher, als alle bekannten Perioden der indischen Geschichte hinaufsteigt [ S. Herrn Langle´s Anmerkungen zu Nordens Reise. B. III. S. 299-349. ] Auch scheinen die Künste in Meroë und in Axum, einer der ältesten Städte von Ethiopien, schon zu einer Zeit im Flor gewesen zu seyn, da Egypten sich gar noch nicht einmal der Barbarei entwunden hatte. Ein berühmter, in der Geschichte von Indien aufs tiefste unterrichteter, Schriftsteller, Sir William Jones [ Asiat. Researches. Vol. III. S. 5. ], glaubte in den Ethiopiern von Meroë, den frühesten Egyptern und in den Hindu´s nur eine und dieselbe Nation zu erkennen. Uebrigens ist es auf der andern Seite beinah gewiss, dass die Abessinier, die man ja nicht mit den Autochthonen Ethiopiens verwechseln darf, ein arabischer Stamm waren, und, nach Herrn Langle´s Bemerkung, zierten noch im vierzehnten Jahrhundert der gewöhnlichen Zeitrechnung dieselben hemyaritischen Schriftzüge, welche man im östlichen Africa findet, die Thoe der Stadt Samarkand. Dies verräth Verhältnisse, die ohne allen Zweifel zwischen Habesch, oder dem alten Ethiopien, und dem Central-Plateau von Asien obgewaltet haben.

Ein langer Kampf zwischen zwo Religions-Sekten, der der Brahmanen und der der Buddhisten, endigte mit der Auswanderung der Chamanen von Thibet nach der Mongolei, nach China und Japan. Wenn Stämme von tatarischer Raçe nach der Nord-West-Küste von America, und von da südlich und östlich, gegen die Ufer des Gila und Missury gekommen sind, wie etymologische Forschungen [ S. Vater, über America´s Bevölkerung. S. 155-169. ] anzuzeigen scheinen, so darf man sich noch weniger wundern, dass man unter den halb wilden Völkern des neuen Contients Idole und architectonische Denkmahle, eine Hieroglyphen-Schrift, eine genaue Kenntniss der Jahresdauer, und Traditionen über den ersten Zustand der Welt findet, welche sämtlich an Kenntnisse, Künste und religiöse Meinungen der asiatischen Völker erinnern.

Es ist mit dem Studium der Geschichte des Menschengeschlechts wie mit dem Studium der vielen Sprachen, die wir über den Erdboden verbreitet finden, und man würde sich in ein Labyrinth von Muthmassungen verlieren, wenn man vielen verschiedenen Raçen und Sprachen einen gemeinschaftlichen Ursprung anweisen wollte. Die Wurzeln vom Samskrit, welche man in der Persischen Sprache gefunden, und die viele Wurzeln der letztern, und sogar des Pehlvi, die man in den Sprachen von germanischem Ursprung [ Adelungs Mithridates, B. I. s. 277. Schlegel über Sprache und Weisheit der Inder, S. 7. ] entdeckt, geben uns noch kein Recht, den Samskrit, das Pehlvi, oder die alte medische Sprache, das Persische und das Deutsche, als aus Einer und derselben Quelle fliessend, anzusehn. Ja, es wäre abgeschmakt, wenn man überall, wo pyramidalische Denkmahle und symbolische Mahlereien vorkommen, egyptische Colonien annehmen wollte; aber wem sollten die Züge von Uebereinstimmung, welche das grosse Gemählde der Sitten, der Künste, der Sprachen und Tradition unter Völkern, die heutzutag so höchst entfernt von einander sind, darbeitet, nicht höchlichst auffallen? wer sollte sich enthalten können, die Analogien im Bau der Sprachen, im Styl der Monumente, und in den Fictionen der Cosmogonien überall, wo sie vorkommen, anzuzeigen, wenn er auch nicht über die geheimen Ursachen dieser Aehnlichkeiten entscheiden kann, und überhaupt keine historische Thatsache bis zur Epoche der Communicationen hinaufreicht, die zwischen den Bewohnern der verschiedenen Climate Statt gefunden haben?

Betrachtet man die graphischen Mittel, welche die Völker angewendet haben, um ihre Ideen auszudrücken, so findet man wahre Hieroglyphen, Nund zwar bald cyriologische, bald tropische, gleich denen, deren Gebraucht von Ethiopien nach Egypten gekommen zu seyn scheint; man findet symbolische Ziffern, die aus mehreren Schlüsseln bestehen, mehr für das Auge, als für das Ohr bestimmt sind, und, gleich den chinesischen Karackteren, ganze Worte ausdrücken, Sylbenziffern, wie die der Mantschu-Tataren, in denen die Selbstlauter mit den Mitlauter eins sind, die aber doch in einzelne Buchstaben aufgelöst werden können, und endlich wahre Alphabete, welche die höchste Vervollkommnung der Analysis der Töne zeigen, und von denen einige, wie das Koreische, nach Herrn Langle´s scharfsinniger Bemerkung [ Nordens Reise, Langle´s Ausgabe, B. III. S. 296. ] noch den Uebergang von der hieroglyphischen zur alphabetischen Schrift zu verrathen scheinen.

Der neue Continent zeigt auf seiner ungeheuren Ausdehnung Nationen, welch einen geiwissen Grad von Civilisation erreicht haben; man erkennt auf denselben Regierungsformung und Institutionen, welche blos die Wirkung eines langen Kampfs zwischen dem Fürsten und den Völkern, und zwischen der Priesterschaft und der weltlichen Obrigkeit seyn können; man findet Sprachen hier, deren mehrere, wie das Grönländische, das Cora, das Tamanakische, das Totonakische und das Quichua [ Archiv für Ethnographie, B. I. S. 345. Vater, S. 206. ] eine Reichthum von grammatikalischen Formen verrathen, den man auf dem alten Continent blos im Congo und bei den Basken, den Bester der alten Cantabrier, antrift; aber bei allen diesen Spuren von Cultur und Vervollkommnung der Sprachen ist es bemerkenswerth, dass sich keins der eingebohrnen Völker von America zu der Analysis der Töne erhoben hat, welche zu der bewundernswürdigsten, ja man dürfte sagen, zu der wunderbarsten aller Erfindungen, zu der des Alphabets, fürht.

Wir sehen, dass der Gebrauch der Hieroglyphen-Mahlerei bei den Tolteken, Tlascalteken, Azteken und mehreren anderen Stämmen gewöhnlich war, die seit dem siebenten Jahrhundert unsrer Zeitrechnung nach einander auf dem Plateau von Anahuac erschienen; aber nirgends finden wir alphabetische Karaktere, und man möchte glauben, dass die Vervollkommnung der symbolischen Zeichen und die Leichtigkeit, womit man Gegenstände mahlte, die Einführung der Buchstaben verhindert hätten. Zu Unterstützung dieser Meinung könnte man das Beispiel der Chinesen anführen, welche sich seit mehreren tausend Jahren mit achtzigtausend Ziffern begnügen, die aus zweihundert und vierzehn Schlüsseln, oder Radical-Hieroglyphen zusammengesetzt sind; aber sehen wir bei den Egyptiern nicht den gleichzeitigen Gebrauch eines Alphabets und der Hieroglyphen-Schrift, wie die kostbaren Papyrus-Rollen, welche man in den Einwicklungs-Stoffen mehrerer Mumien gefunden hat, und die in Herrn Denon´s mahlerischem Atlas [ Denon, Voyage en Egypte, Pl. 136. und 137. ] abgebildet sind, mit Zuverlässigkeit beweisen?

Kalm erzählt in seiner americanischen Reise, Herr von Verandrier habe 1746 in den Steppen von Canada, neun Meilen westwärts von Montreal, eine steinerne Tafel gefunden, die auf einem ausgehauenen Pfeiler befestigt war, und auf welcher sich Züge befanden, die man für eine tatarische Inschrift genommen. Mehrere Jesuiten in Quebec versicherten den schwedischen Reisenden, dass die diese Tafel in Händen gehabt, die der damalige Gouverneur von Canada, der Chevalier Beauharnois, an Herrn von Maurepas, nach Frankreich geschickt habe [ Kalm´s Reise, B. III. S. 416. ]. Zuverlässig ist es sehr zu bedauern, dass man keine weitere Nachricht über ein, für die Geschichte der Menschen so merkwürdiges, Denkmal hat; aber waren in Quebec auch wirklich Männer, welche über den Karakter eines Alphabets zu urtheilen verstanden? Und sollte ein aufgeklärter Minister, der die Künste liebte, diese angebliche Inschrift nicht bekannt gemacht haben, wenn sie als solche in Frankreich anerkannt worden wäre?

Die englisch-americanischen Alterthumsforscher haben eine Inschrfit zur öffentlichen Kenntniss gebracht, die man für phönizisch gehalten hat, und welche auf den Felsen von Dighton, in der Narangaset-Bau, nahe an den Ufern des Flusses Taunton, zwölf Meilen südlich von Boston eingehauen ist. Seit Ende des siebenzehnten Jahrhunderts bis auf unsre Zeiten haben Danforth, Malther, Greenwood und Sewells nach einander Zeichnungen davon gegeben, in welchen man mit grösster Mühe nur die Kopien eines und desselben Originals erkannt. Die Eingebohrnen jener Gegenden zur Zeit der ersten europäischen Nierderlassungen hatten eine alte Ueberlieferung, der zu Folge Fremde, die in hölzernden Häusern schifften, den Fluss Taunton, ehmals Assoonet genannt, hinaufgefahren sind. Nachdem diese Fremden die rothen Menschen besiegt, so gruben sie Züge in den Felsen, der heutzutag vom Wasser des Flusses bedeckt ist, Court de Gebelin und der gelehrte Doktor Stiles trugen kein Bedenken, diese Züge für eine karthagische Inschrift anzusehn, und der erste sagt mit dem, ihm natürlichen aber in Untersuchungen der Art so schädlichen, Enthusiasmus: "dass diese Inschrift recht eigentlich dazu aus der neuen Welt komme, um seine Ideen über den Ursprung der Völker zu bestätigen, und dass man in derselben, auf eine evidente Art ein phönizisches Denkmal und ein Gemählte sehe, das eine Allianz zwischen americanischen Völkerschaften und der fremden Nation vorstelle, die, mit den Nordwinden, aus einem reichen und industriösen Lange gekommen sey."

Ich habe die vier Zeichnungen von dem berühmten Stein von Taunton-River sorgfältig untersucht, so wie sie Herr Lort [ Account of an ancient Inscription by Mr. Lort, Archaeologie, Vol. VIII. S. 290. ] in den Denkwürdigkeiten der Gesellschaft der Alterthumsforscher in London bekannt gemachthat. Weit entfernt indess, eine symmetrische Anordnung von einfachen Buchstaben oder Sylbenzeichen zu erkennen, sehe ich nur eine, kaum entworfene, Zeichnung darin, wie die, so man auf den Felsen von Norwegen [ Suhm Samlinger til den Danske Historie, B. II. S. 215. ] und beynah in allen, von scandinavischen Völkern bewohnten Ländern gefunden hat. An der Form der Köpfe unterscheidet man fünf menschliche Figuren, die ein Thier mit Hörnern umgeben, dessen Vordertheil viel höher ist, als sein Hintertheil.

Auf der Fahrt, die wir, Herr Bonpland und ich, gemacht haben, um die Verbindung zwischen dem Orinoko und dem Amazonen-Strom mit Gewissheit herauszubringen, haben wir auch von einer Inschrit Kenntniss erhalten, von der man uns sagte, dass sie auf der Kette von Granit-Gebirgen gefunden worden sey, die sich, unter dem siebenten Grad der Breite, von dem indianischen Dorfe Uruana oder Urbana bis an die westlichen Ufer des Caura erstrecken. Ein Missionär vom Franciscaner-Orden, Ramon Buero, hatte sich zufällig in eine, durch die Trennung mehrerer Fels-Blöcke entstandene, Höhle geflüchtet, und sah mitten in derselben einen grossen Granit-Block, auf welchem er zusammenhängende Schriftzeichen, in mehreren Gruppen, und auf einer Linie stehend, zu erkennen glaubte. Die beschwerlichen Umstände, in denen wir uns bey unserer Rückkehr vom Rio Negro nach Sanct-Thomas in der Guayana befanden, erlaubten uns unglücklicher Weise nicht, die Wahrheit dieser Beobachtung selbst zu untersuchen. Indess hat mir der Missionär die Kopie einige dieser Karaktere mitgetheilt, die ich hier gestochen gebe.

In diesen Zügen könnte man einige Aehnlichkeit mit dem phönizischen Alphabet erkennen; allein ich zweifle sehr, ob der gute Mönch, welchem an dieser angeblichen Inschrift eben icht viel zu liegen schien, sie mit grosser Sorgfalt kopirt habe. Indess ist bemerkenswerth, dass unter sieben Zeichen keines mehrere Male wiederholt ist. Uebrigens habe ich sie blos stechen lassen, um die Aufmerksamkeit der Gelehrten, welche einst die Wälder der Guayana bereisen könnten, auf einen, der Untersuchung so würdigen, Gegenstand zu richten.

Es ist aber auch sonst noch merkwürdig, dass dieselbe wilde und öde Gegend, in welcher der Pater Buero Buchstaben, in den Granit eingegraben, zu sehen vermeinte, eine Menge von Felsen enthält, die in ausserordentlichen Höhen mit Figuren von Thieren, Vorstellungen von Sonne, Mond und Sternen, und andern, vielleicht hieroglyphischen, Zeichen bedeckt sind. Die Eingebohrnen erzählen desshalb, dass ihre Voreltern, zur Zeit grosser Ueberschwemmungen, in ihren Kähnen bis an den Gipfel dieser Gebirge gekommen seyen, und dass die Steine damahls noch so weich gewesen wären, dass die Menschen mit den blossen Fingern Züge darauf gemacht haben. Diese Tradition verräth eine Horde, deren Kultur von der des Volks, das ihr vorangegangen, sehr verschieden ist, und offenbahrt eine völlige Unkenntniss vom Gebrauch des Meisels und aller andern metallenen Geräthschaften.

Aus allen diesen Thatsachen zusammen geht hervor, dass es keinen zuverlässigen Beweis für die Kenntniss des Alphabets unter den Americanern giebt. In Untersuchungen der Art kann man nicht vorsichtig genug seyn, um das, was blos Werk des Zufalls und das Spiel des Müssiggangs war, nicht mit Buchstaben, oder mit Sylben-Zeichen zu verwechseln. So erzählt Herr Truter [ Bertuch, geogr. Ephemeriden, B. XII. S. 67. ], dass er auf der südlichen Spitze von Africa, bei den Betjuana´s Kinder beschäftigt gesehen, mit einem schneidenden Werkzeug Karaktere auf einen Felsen zu graben, die die vollkommenste Aehnlichkeit mit dem P und dem M des römischen Alphabets gehabt hätten, unerachtet diese rohen Völker unendlich weit von der Kenntniss der Schreibekunst entfernt sind.

Dieser Mangel an Buchstabenschrift, wie ihn schon Christoph Colomb bei seiner zwoten Entdeckung des neuen Continents auf demselben bemerkt hat, führt auf den Gedanken, dass die Stämme von tatarische roder mongolischer Abkunft, von denen man glauben darf, dass sie vom östlichchen Asien nach America gekommen sind, die alphabetische Schrift selbst nicht kannten, oder, dass sie, was unwahrscheinlicher ist, durch ihren Rückfall in die Barbarey, und unter einem Klima, das der Geistes-Entwicklung sehr ungünstig ist, diese wunderbare Kunst, die nur in dem Besitze von wenigen Individuen war, wieder verloren haben. Wir wollen hier die Frage nicht untersuchen, ob das Devanagari-Alphabet an den Ufern des Indus und Ganges schon sehr alt ist, oder ob die Hindu´s, wie Strabo [ Strabo, Lib. XV. p. 1035-1044. ] nach Megasthenes versichert, die Schreibekunst vor Alexanders Eroberungen gar nicht gekannt haben. Weiter östlich und weiter nördliche, in den Gegenden der einsylbigen Sprachen, so wie in denen der tatarischen, samojedischen, ostiakischen und kamtschadalischen Sprachen, wurde der Gebrauch der Buchstaben überall, wo man ihn heutzutage findet, erst sehr spät eingeführt, und es scheint sogar sehr wahrscheinlich, dass der Nestorianische Christianismus erst [ Langlés Dictionaire tartare-mantchou, S. 18. Recherches asiatiques. B. II. S. 62. ] den Oighur´s und den Mantschu-Tataren das Stranghelo-Alphabet gegeben hat, das in den nördlichen Gegenden von Asien noch viel neuer ist, als die runischen Schriftzeichen im Norden von Europa sind. Man braucht daher gar nicht anzunehmen, dass die Kommunikationen zwischen dem östlichen Asien und zwischen America in einer sehr hohes Alterthum hinaufsteigen, um zu begreifen, wie letzterem Welttheil eine Kunst fremd bleiben musste, welche lange Jahrhunderte hindurch blos in Egypten [ Zëge, de Origine Obeliscorum, S. 551. ], in den phönizischen und griechischen Colonien, und in dem kleinen Landstrich bekannt war, der zwischen dem mittelländischen Meere, dem Oxus und persischen Meerbusen liegt.

Läuft man die Geschichte derjenigen Völker durch, welche den Gebrauch der Buchstaben nicht kennen, so sieht man beynah überall auf beiden Halbkugeln, wie die Menschen die Gegenstände, welche stark auf ihre Einbildungskraft wirkten, zu zeichnen, und die Dinge damit darzustellen suchten, dass sie einen Theil derselben statt des Ganzen angaben; wie sie ferner Gemählde durch Vereinigung von Figuren oder derjenigen Theile, welche an sie erinnern konnten, zu verfertigen, und so das Andenken an einige merkwürdige Ereignisse zu verewigen strebten. Der Delaware-Indianer gräbt auf seinen Wanderungen durch die Wälder Züge in die Baumrinde, um die Zahl von Männern und Weibern zu bezeichnen, welche er dem Feind getödtet hat, und das konventionelle Zeichen, womit der die Haut bezeichnet, die er von einem Frauenkopf abgezogen, unterscheidet sich nur durch einen Strich von dem, womit er die des Mannes andeutet. Will er daher jede Mahlerei von Ideen vermittelst sinnlicher Gegenstände Hieroglyphen-Mahlerei nennen, so giebt es, wie Herr Zoëga sehr richtig bemerkt, keinen Winkel der Erde, in welchem man nicht Hieroglyphen-Schriften fände; aber dieser Gelehrte, welcher die mexikamischen Mahlereien tief studirt hatte [ Zoëga, S. 525-534. ] macht auch darauf aufmerksam, dass man die Hieroglyphen-Schrift nicht mit der Darstellung einer Begebenheit, nicht mit Gemählden verwechseln darf, in welchen sich die Gegenstände in Handlung gegen einander befinden.

Schon die ersten Mönche, welche America besucht haben, Valades und Acosta [ Rhetorica christiana, auctore Didaco Valades; Romae, 1579. P. II. c. 27. p. 93. Acosta, Lib. VI. c. 7. ], nennen die aztekischen Mahlereien "eine Schrift, ähnlich der der Egyptier." Wenn Kircher, Warburton und andre Gelehrten später die Richtigkeit dieses Ausdrucks angegriffen haben, so war es, weil sie die Mahlereien von gemischter Art, in welchen wahre, bald cyriologische, bald tropische Hieroglyphen der natürlichen Darstellung einer Handlung beigefügt sind, nicht von der einfachen Hieroglyphen-Schrift, wie man sie, nicht auf dem Pyramidion, sondern auf den grossen Seitenflächen der Obelisken findet, unterschieden haben. Die berühmte Inschrift von Thebae, welche Plutarch und Clemens von Alexandrien [ Plut de Iside; ed. Par. 1624. Tom. II. p. 363. Clem. Alexandr. Stromat. Lib. V. c. 7; ed. Potter, Oxon. 1715, tom. II. p. 670. ] anführen, und die einzige, deren Erklärung auf uns gekommen ist, drückte in den Hieroglyphen eines Kindes, eines Greisen, eines Geiers, eines Fisches und eines Hippopotamus folgende Sentenz aus: "ihr, die ihr geboren seid, und sterben müsst, wisset, dass der Ewige die Unverschämtheit verabscheut." Um dieselbe Idee auszudrücken würde ein Mexicaner den grossen Geist, Teotl, dargestellt haben, wie er einen Verbrecher von sich jagt; gewisse Charactere, die er über die beiden Köpfe gesetzt hätte, würden hinreichend gewesen seyn, das Alter des Kindes und des Greisen anzuzeigen; er hätte die Handlung individualisirt; aber der Styl seiner Hieroglyphen-Mahlerei würde ihm kein Mittel angeboten haben, dieses Gefühl von Hass und Rache im Allgemeinen auszudrücken.

Nach den Ideen, welche uns die Alten über die hieroglyphischen Inschriften der Egyptier hinterlassen haben, ist es sehr wahrscheinlich, dass man sie, wie die chinesischen Bücher lesen konnte. Die Sammlungen von den sehr unrichtig sogenannten mexicanischen Handschriften enthalten viele Mahlereien, welche man, wie die Reliefs an der Trajans-Säule erklären kann; aber man sieht nur sehr wenige Charactere auf denselben, die recht eigentlich weggelesen werden könnten. Die aztekischen Völker hatten wahre, einfache Hieroglyphen für Wasser, Erde, Luft, Wind, Tag, Nacht, Mitternacht, Wort und Bewegung; sie hatte solche für die Zahlen, die Tage und Monate des Sonnenjahrs; und diese Zeichen gaben, wenn sie dem Gemählde einer Begebenheit beigesetzt wurden, auf eine sehr scharfsinnige Weise an, ob die Handlung bei Tag oder bei Nacht vorgegangen war, welches Alter die Personen hatten, welche bezeichnet werden sollten, und welche von ihnen am meisten geredet hatte. Man findet bei den Mexicanern sogar Spuren derjenigen Gattung von Hieroglyphen, welche man phonetische nennt, und die Beziehungen nicht auf die Sache, sondern auf die Sprache, welche geredet wurde, andeuten. Bei noch halb wilden Völkern spielen die Namen von Individuen, von Städten und Gebürgen gewöhnlich auf, in die Sinne fallende, Gegenstände, wie auf Formen der Pflanzen und Thiere, auf Feuer, Luft und Erde, an. Dieser Umstand reichte den aztekischen Völkern die Mittel, die Namen der Städte und ihrer Herrscher zu schreiben. Die wörtliche Uebersetzung von Axajacatl, z. B. ist Wasser-Gesicht, und von Ilhiucamina, Pfeil, der den Himmel durchdringt. Um daher die Könige Moteuczoma, Ilhuicamina und Axajacatl darzustellen, verband der Mahler die Hieroglyphen des Wassers und des Himmels mit der Figur eines Kopfs und eines Pfeils. Die Namen der Städte Macuilxochitl, Quauhtinchan und Tehuilojoccan bedeuten: fünf Blumen, Haus des Adlers und Ort der Spiegel, und um diese drei Städte anzuzeigen, mahlte man eine Blume, die auf fünf Punkten stand, ein Haus, aus welchem ein Adlerskopf hervorragte, und einen Spiegel von Obsidian. Solchergestalt gaben mehrere vereinigte einfache Hieroglyphen zusammengesetzte Namen an, und dieses geschah durch Zeichen, welche zugleich zum Auge und zum Ohr redeten. Oft auch waren die Charactere, welche Städte und Provinzen bezeichneten, von den Erzeugnissen des Bodens und der Industrie seiner Bewohner hergenommen.

Aus allen diesen Untersuchungen geht hervor, dass die mexicanischen Mahlereien, welche sich erhalten haben, eine grosse Aehnlichkeit, nicht mit der Hieroglyphen-Schrift der Egyptier, sondern mit den Papyrus-Rollen haben, welche man in den Entwicklungs-Stoffen der Mumien gefunden hat, und die man auch als Mahlereien von vermischter Gattung ansehen darf, weil in denselben symbolische, und isolierte Charactere der Darstellung einer Handlung beigefügt sind. Man erkennt in diesem Papyrus Einweihungen, Opfer, Anspielungen auf den Zustand der Seele nach dem Tod, Tribute, welche den Siegern bezahlt wurden, wohlthätige Wirkungen der Nil-Ueberschwemmungen und landwirthschaftlicher Arbeiten. Auch sieht man unter einer Menge Figuren, die in Handlung, oder in Beziehung auf einander dargestellt sind, eigentliche Hieroglyphen und die isolirten Karactere, welche zur Schreibkunst gehörten. Aber nicht blos auf dem Papyrus und den Einwicklungsstoffen der Mumien, sondern auf den Obelisken sogar findet man Spuren dieser vermischten Gattung, welche die Mahlerei mit der Hieroglyphen-Schrift verbindet. Der unterste Theil und die Spitze der egyptischen Obelisken enthalten durchgängig eine Gruppe von zwo Figuren, die im Verhältniss zu einander sind, und welche man gar nicht mit den isolirten Karacteren der symbolischen Schrift verwechseln darf [ Zoëga, S. 438. ].

Vergleicht man die mexicanischen Mahlereien mit den Hieroglyphen, womit die Tempel, die Obelisken und vielleicht selbst die Pyramiden in Egypten verziert waren, und denkt man über den fortschreitenden Gang nach, den der menschliche Geist in der Erfindung der graphischen Mittel, um seine Ideen auszudrücken, genommen hat, so sieht man, dass die Völker von America weit von dieser Vollkommenheit entfernt waren, die die Egyptier erreicht hatten. Wirklich kannten die Azteken die einfachen Hieroglyphen nur sehr wenig. Sie hatten deren für die Elemente, wie für die Verhältnisse von Zeit und Ort; aber nur durch die Menge solcher Karactere, welche einzeln gebraucht werden können, wird der Gebrauch der Ideen-Mahlerei leicht, und nähert sie sich der Schreibkunst. Wir finden bei den Azteken den Keim von phonetischen Karacteren; denn sie verstanden Namen zu schreiben, indem sie einige Zeichen zusammenstellten, welche an Töne erinnerten. Diese Kunst hätte sie zu der schönen Entdeckung des Syllabierens leiten, hätte sie dahin bringen können, ihre einfachen Hieroglyphen zu alphabetisieren. Allein wie viele Jahrhunderte hätte es noch gebraucht, bis sich diese Gebürgs-Völker welche mit der Hartnäckigkeit, die den Chinesen, den Japanern und Hindu´s eigen ist, an ihren Gebräuchen hiengen, zur Zerlegung der Worte, zur Analysis der Töne und zur Erfindung eines Alphabeths erhoben!

Trotz der grossen Unvollkommenheit ihrer Hieroglyphen-Schrift ersetzte den Mexicanern der Gebrauch dieser Mahlereien indess doch den Mangel an Büchern, Handschriften und alphabetischen Karacteren. Zu Montezuma´s Zeiten waren viele tausend Menschen mit Mahlen beschäftigt; indem sie entweder ganz neue Gemählde verfertigten, oder schon vorhandene kopierten. Ohne Zweifel trug die Leichtigkeit, womit man das Papier aus Maguey-(Agaven) Blättern machte, mit zum häufigen Gebrauch der Mahlerei bei. Der Papier-Schilf (Cyperus papyrus) gedeiht auf dem alten Continent nur an feuchten, gemässigten Orten; die Maguey hingegen wächst in den Ebenen und auf den höchsten Gebürgen, in den heissesten Gegenden der Erde, so wie auf den Plateau´s, wo der Thermometer bis auf den Gefrierpunkt fällt, gleich gut. Von den mexicanischen Handschriften (Codices mexicani), welche sich erhalten haben, sind einige auf Hirschhäute, andere auf baumwollenes Tuch, und auf Maguey-Papier gemahlt. Sehr wahrscheinlich gieng der Gebrauch der gegerbten völlig zubereiteten Häute bei den Americanern, wie bei den Griechen und andern Völkern des alten Continents, dem des Papiers voran; wenigstens scheinen die Tolteken die Hieroglyphen-Mahlerei bereits in der frühen Epoche angewendet zu haben, als sie noch die nördlichen Provinzen bewohnten, deren Clima den Anbau der Agave nicht gestattet.

Bei den Völkern von Mexico waren die Figuren und die symbolischen Karactere nicht auf besondern Blättern angebracht. Was auch immer der Stoff war, aus dem sie bestanden, so hatten sie doch selten die Bestimmung, Rollen zu bilden; sondern man faltete sie beinah immer Zikzak, auf eine ganz besondere Weise, etwa wie das Papier an unsern Fächern. Zwei Täfelchen von leichtem Holze waren an die Enden geklebt, und zwar das eine oben, das andere unten, so dass das Ganze, wenn es zusammengeschlagen war, die vollkommenste Aehnlichkeit mit unsern gebundenen Büchern hatte. Aus dieser Art von Einband ersieht man, dass man, wenn eine mexicanische Handschrift, wie unsre Bücher, geöfnet wird, zugleich nur die Hälfte der Karakteren, nehmlich diejenigen sehen kann, die auf derselben Seite der Haut oder des Maguey-Papiers stehen. Um alle Blatt-Seiten zu durchgehen (wenn man anders die verschiedenen Falten eines Streifens, der oft zwölf bis fünfzehn Meters lang ist, Blattseiten nennen darf), muss man die ganze Handschrift einmal von der linken nach der rechten, und ein zweitesmal von der rechten nach der linken Seite ausbreiten. In dieser Rücksicht haben die mexicanischen Mahlereien die grösste Aehnlichkeit mit den Siamesischen Handschriften auf der kaiserlichen Bibliothek in Paris, welche gleichfalls zikzak gefaltet sind.

Die Bände, welche die ersten Missionnairs in Neu-Spanien sehr unrichtig mexicanische Bücher nannten, enthielten Aufzeichnungen über viele, und sehr verschiedene Gegenstände. Es waren historische Annalen des mexicanischen Reichs, Ritualien, welche Monate und Tage anzeigten, kosmogonische oder astrologische Darstellungen, Process-Stücke, Dokumente, die sich auf den Kataster oder die Eintheilung des Grundeigenthums einer Gemeinde bezogen, Verzeichnisse des Tributs, wie er zu gewissen Zeiten des Jahrs bezahlt werden musste, genealogische Tafeln, nach denen die Erbschaften und die Erbfolge in den Familien angeordnet wurden, Kalender, welche die Interkalationen des bürgerlichen und des religiösen Jahrs angaben, und Vorstellungen der Strafen, womit die Richter die Verbrechchen rügen sollten. Auf meinen Reisen durch verschiedene Theile von America und Europa hatte ich den Vortheil, eine weit grössere Menge mexicanischer Handschriften zu untersuchen als Zoëga, Clavigero, Gama, der Abbé Hervas, der scharfsinnige Verfasser der Lettere Americane, Graf Rinaldo Carli, und andere Gelehrten, die nach Boturini über diese Denkmale der alten Civilisation von America geschrieben haben. In der kostbaren Sammlung im Pallast des Vice-Königs von Mexico habe ich Fragmente von Mahlereien gesehen, die auf alle jene aufgezählten Gegenstände Bezug hatten.

Die grosse Aehnlichkeit, welche man zwischen den, in Veletri, Rom, Bologna, Wien und Mexico aufbewahrten, Handschriften findet, ist sehr auffallend, und man möchte sie, beim ersten Blick, samt und sonders für Kopien von einander halten. Alle zeigen eine ausserordentliche Unvollkommenheit in den Umrissen, eine ängstliche Sorgfalt in der Ausführung des Einzelnen, und eine grosse Lebhaftigkeit der Farben, welche alle so angebracht sind, dass sie die schneidendsten Kontraste bilden. Die Figuren sind gewöhnlich von untersetztem Bau, wie die an den etrurischen Reliefs; aber in Rücksicht auf Richtigkeit der Zeichnung stehen sie unter den unvollkommensten Arbeiten der Mahlerei der Hindu´s, der Thibetaner, der Chinesen und Japaner. Man erblickt in den mexicanischen Gemählten ungeheuer grosse Köpfe, unmässig dicke Körper und Füsse, die durch die Länge der Zehen den Vogel-Krallen ähnlich sind. Die Köpfe sind immer in Profil gezeichnet; aber das Auge ist so gestellt, als ob man die Figur von vorne ansähe. Alles dieses zeigt die Kindheit der Kunst an; jedoch muss nicht vergessen werden, dass Völker, welche ihre Ideen in Mahlereien ausdrücken, und durch ihren gesellschaftlichen Zustand zu häufigem Gebrauch der vermischten Hieroglyphen-Schrift genöthigt sind, so wenig Werth auf korrecte Gemählde setzen, als die europäischen Gelehrten auf eine schöne Handschrift in ihren Ausarbeitungen.

Es ist gar nicht zu läugnen, dass die Gebirgsvölker von Mexico zu einer Menschen-Raçe gehören, welche, gleich mehreren tatarischen und mongolischen Horden, eine Freude daran haben, die Form der Gegenstände nachzuahmen. Ueberall in Neu-Spanien, so wie in Quito und Peru, sieht man Indianer, die sich auf Mahlerei und Bildhauerkunst verstehn. Sie haben es dahin gebracht, alles, was ihnen vor die Augen kommt, knechtisch zu kopiren, und geben, seit der Ankunft der Europäer, ihren Umrissen alle Richtigkeit. Demungeachtet aber bemerkt man in ihren Arbeiten nicht, dass sie von dem Gefühl für das Schöne durchdrungen sind, ohne das sich Mahlerei und Bildhauerkunst nicht über die mechanischen Künste erheben. In dieser Rücksicht, so wie in manchen andern, gleichen die Bewohner der neuen Welt allen Völkern des östlichen Asiens.

Uebrigens ist leicht zu begreifen, wie sehr der häufig Gebrauch der vermischten Hieroglyphen-Mahlerei den Geschmack der Nation verderben musste; in dem er sie an Anblick von hässlichen Figuren und von Formen gewöhnte, an denen gar kein Verhältniss beobachtet war. Um einen König anzuzeigen, der in einem bestimmten Jahre eine benachbarte Nation überwunden hat, stellte der Egyptier, zur Zeit der Vollkommenheit seiner Schreibekunst, eine kleine Anzahl isolirter Hieroglyphen, welche die ganze Ideenreihe ausdrückte, die man erwecken wollte, auf dieselbe Linie, und diese Karaktere bestanden grossentheils in Figuren von leblosen Gegenständen. Um das nemliche Problem zu lösen, musste der Mexicaner dagegen eine Gruppe von zwo Personen, nemlich einen König darstellen, der einen Krieger mit dem Wappen der eroberten Stadt zu Boden stürzte. Um die Anwendung dieser historischen Mahlereien zu erleichtern, fieng man bald an, blos das zu mahlen, was unumgänglich nöthig war, um die Gegenstände wieder zu erkennen. Warum sollte man einer Figur, die in einer Stellung vorkam, worin sie derselben nicht bedurfte, Arme zugeben? Ueberdiess mussten die Hauptformen, durch welche man eine Gottheit, einen Tempel und ein Opfer bezeichnete, bald festgesetzt werden; denn das Verständniss der Mahlereien wäre ausserordentlich schwer geworden, wenn jeder Künstler nach Gefallen die Darstellung der Gegenstände, welche er oft zeichnen musste, hätte verändern dürfen. Hieraus folgt, dass die Civilisation der Mexicaner um vieles hatte zunehmen können, ohne dass sie sich darum versucht gefunden haben würde, die unrichtigen Formen zu verlassen, die man seit Jahrhunderten angenommen hatte. Ein bergbewohnendes, kriegerisches, starkes, aber nach den Schönheitsbegriffen der Europäer äusserst hässliches Volk, des durch den Despotismus halb zum Vieh herunter gesunken, und an die Ceremonien eines blutigen Gottesdiensts gewöhnt ist, findet sich schon von selbst nicht sehr geneigt, sich zur Betreibung der schönen Künste zu erheben; daher musste der Gebrauch, zu mahlen, statt zu schreiben, der tägliche Anblick so vieler hässlichen und unverhältnismässigen Formen, die Verbindlichkeit, diese beizubehalten, und nicht mehr verändern zu dürfen, alle diese Umstände mussten dazu beitragen, dem schlechten Geschmack unter den Mexicanern ewige Dauer zu geben.

Vergebens suchen wir auf dem Central-Plateau von Asien, oder mehr nördlich und östlich, Völker, die von derjenigen Hieroglyphen Mahlerei Gebrauch machten, welche man seit dem siebenten Jahrhundert im Lande Anahuac findet. Die Kamtschadalen, die Tongusen und andre sibirischen Stämme, welche Strahlenberg beschrieben hat, mahlen zwar Figuren, die an historische Begebenheiten erinnern, und man findet, wie wir weiter oben bemerkt haben, unter allen Zonen Völker, die sich dieser Art von Mahlerei mehr oder weniger ergeben haben. Aber es ist noch ein grosser Schritt von einem Brette, auf das man einige Karaktere angebracht hat, bis zu den mexicanischen Handschriften, welche alle nach einem gleichmässigen System verfertigt sind, und die man als die Annalen des Reichs ansehen kann. Indess ist völlig unbekannt, ob dieses System von Hieroglyphen-Mahlerei auf dem neuen Continent erfunden worden, oder ob es der Auswanderung irgend eines tatarischen Stammes zuzuschreiben ist, der die richtige Jahresdauer kannte, und dessen Civilisation so alt war, als die der Oighurs auf dem Plateau von Turfan. Zeigt uns der alte Continent auch kein Volk, das einen so ausgebreiteten Gebrauch von der Mahlerei gemacht hat, wie die Mexicaner, so liegt der Grund darin, dass wir, weder in Asien, noch in Europa irgendwo die Civilisation ohne die Kenntniss eines Alphabets oder gewisser, dasselbe ersetzender Karaktere, wie die Ziffern der Chinesen und Coreaner, so weit vorangeschritten finden.

Vor Einführung der Hieroglyphen-Mahlerei bedienten sich die Völker von Anahuac der Knoten und mehrfarbigen Fäden, die die Peruaner Quippus nennen, und welche man nicht nur bei den Canadern, sondern schon in sehr alten Zeiten bei den Chinesen findet [ Lafitau, Moeurs des sauvages, Tom. I. p. 233. 503. Histoire générale des Voyages, Tom. I. liv. Ch. VIII. Martini, histoire de la Chine, p. 21. Boturini, nueva historia de la America septentrionales, p. 85. ]. Der Ritter Boturini war noch so glücklich, ächte mexicanische Quippus oder Nepohualtzitzin zu erhalten, die im Lande der Tlascalteken aufgefunden wurden. Bei grossen Völkerwanderungen giengen die Americaner von Norden nach Süden, wie die Iberier, die Celten und die Pelasger von Osten nach Westen gezogen sind. Vielleicht waren die alten Bewohner von Peru einst über das Plateau von Mexico gekommen; denn schon Ulloa´n [ Ulloa, Noticias Americanas, p. 43. ], der den Styl der Peruanischen Architectur sehr genau kannte, war wirklich die grosse Aehnlichkeit zwischen der Vertheilung der Thüren und Nischen an einigen alten Gebäuden im westlichen Luisiana, und den Tambos, die die Incas erbauten, aufgefallen; auch scheint nicht minder bemerkenswerth, dass die Puruay`s, nach Traditionen, die in Lican, der alten Hauptstadt des Königreichs Quito, gesammelt wurden, die Quippus lang, ehe sie von Manco-Capac`s Abkömmlungen unterjocht wurden, gekannt haben.

Der Gebrauch der Schrift und der Hieroglyphen brachte in Mexico wie in China, die Knoten, oder die Nepohualtzitzin in Vergessenheit. Diese Veränderung gieng etwa im Jahr 648 unsrer Zeitrechnung vor. Ein nördliches, aber schon sehr gebildetes, Volk, die Tolteken, erschienen auf den Gebirgen von Anahuac, östlich vom Golf von Californien. Sie behaupten, aus einem, nord-westwärts vom Flusse Gila gelegenen, Lande, Nahmens Huehuetlapallan, vertrieben worden zu seyn. Sie bringen Mahlereien mit, die Jahr vor Jahr die Ereignisse ihrer Wanderungen anzeigen, und versichern, dieses ihr Vaterland, diessen Lage uns übrigens völlig unbekannt ist, im Jahr 544, also zu gleicher Zeit verlassen zu haben, da der gänzliche Sturz der Dynastie von Ttsin unter den Völkern von Ost-Asien grosse Bewegunggen verursachte. Dieser Umstand ist sehr merkwürdig; überdies gaben die Tolteken den Städten, die sie gründeten, die Nahmen der Städte des nördlichen Landes, das sie verlassen mussten. Solchermassen erführe man denn den Ursprung [ Clavigero, Storia di Messico, Tom. I. p. 126. Tom. IV. p. 29. u. 46. ] der Tolteken, der Cirimeken, der Acolhuen und der Azteken, dieser vier Nationen, welche alle dieselbe Sprache redeten, und nach und nach auf gleichem Wege nach Mexico gekommen sind, wenn man je im nördlichen America oder Asien ein Volk entdeckte, dem die Nahmen Huehuetlapallan, Aztlan, Teoculhuacan, Amaquemecan, Tehuajo und Copalla bekannt wären.

Bis zum Parallel-Kreis des 53. Grads ist die Temperatur der Nord-West-Küste von America milder, als die der Ost-Küsten. Man möchte wirklich glauben, dass die Civilisation in alten Zeiten unter diesem Clima und selbst unter höhern Breiten Fortschritte gemacht habe; denn noch heutzutag bemerkt man unter dem 57. Grad im Cox-Canal und in der Norfolk-Bai, welche Marchand den Golf von Tchinkitané nennt, dass die Eingebohrnen daselbst einen entschiedenen Geschmack für die Hieroglyphen-Mahlerei auf Holz haben. Uebrigens habe ich anderswo [ S. meinen pol. Versuch über Neu-Spanien an verschiedenen Stellen. Marchand, Tom. I. p. 258. 261. 299. 375. ] die Wahrscheinlichkeit untersucht, ob diese fleissigen Völker, deren Karakter gewöhnlich sanft und offen ist, mexicanische Colonisten sind, die sich, nach der Ankunft der Spanier, nördlich geflüchtet haben, ober ob sie nicht vielmehr von Toltekischen oder Aztekischen Stämmen herkommen, welche, bei Gelegenheit des Einbruchs der Völker von Aztlan, in diesen nördlichen Gegenden geblieben sind. Durch eine glückliche Vereinigung von mehreren Umständen erhebt sich der Mensch oft selbst unter Climaten, die der Entwicklung organischer Wesen höchst ungünstig sind, auf einen Grad von Cultur, und wir haben nahe am Nordpol, in Island, seit dem zwölften Jahrhundert scandinavische Völker Wissenschaften und Künste mit besserem Erfolg treiben sehen, als die Bewohner von Dänemark und Preussen.

Einige Toltekische Stämme scheinen sich mit den Nationen, welche vormals das Land zwischen dem östlichen Ufer des Mississipi und dem Atlantischen Ozean bewohten, vermischt zu haben, die Irokesen und Huronen verfertigten hieroglyphische Gemählde auf Holz, die auffallende Aehnlichkeiten mit denen der Mexicaner haben [ Lafitau, Tom. II. p. 43. 225. 416. La Hontan, Voyage dans l`Amérique septentrionale, Tom. II. p. 193. ]. Sie zeigten z. B. die Nahmen der Personen, die sie bezeichnen wollten, auf gleiche Weise an, wie wir es oben in der Beschreibung eines genealogischen Gemähldes angegeben. Die Eingebohrnen von Virginien hatten Mahlereien, die sie Sagkokok nannten, und welche in symbolischen Karakteren, die Begebenheiten vorstellten, die innerhalb sechszig Jahren Statt gefunden hatten. Es ware grosse Räder, die man in sechszig Strahlen, oder eben so viele gleiche Theile getheilt hatte. Lederer [ Journal des Savans, 1681. p. 193. ] erzählt, er habe in dem indianischen Dorfe Pommacomek einen solchen hieroglyphischen Cyclus gesehen, auf welchem die Ankunft der Weissen auf den Küsten von Virginien durch die Figur eines feuerspeienden Schwans bezeichnet war, wodurch somit zu gleicher Zeit die Farbe der Europäer, ihre Ankunft zu Wasser, und das Unglück, was ihre Feuergewehre unter den rothen Menschen verbreitet hatten, angegeben wurde.

In Mexico war der Gebrauch der Mahlerei und des Maguey-Papiers weit über die Grenzen von Montezuma`s Reich bis an die Ufer des Nicaragua-Sees verbreitet, wohin die Tolteken auf ihrer Wanderung ihre Sprache und Künste gebracht hatten. In dem Königreich Guatimala erhielten die Bewohner von Teochiapan Traditionen, welche bis zur Zeit einer grossen und allgemeinen Ueberschwemmung aufstiegen, nach der ihre Voreltern, unter Anführung eines Oberhaupts, Votan genannt, aus einem nördlich gelegenen Lande hergekommen waren. In dem Dorfe Teopixca waren sogar noch im sechszehenten Jahrhundert Abkömmlinge der Familie Votan oder Vodan (beide Namen sind nur Einer, indem die Tolteken und Azteken die vier Selbstlauter, d, b, r und s nicht in ihrer Sprache haben) vorhanden. Wer die Geschichte der skandinavischen Völker in ihren Heroën-Zeiten studirt hat, dem muss es höchlichst auffallen, im Mexico einen Namen zu finden, der an den von Vodan oder Odin erinnert, welcher unter den Scythen regiert, und dessen Stamm, nach Bedas sehr merkwürdiger Behauptung [ Beda hist. eccles. Lib. I. c. XV. Francisco Nuñez de la Vega, Constitutiones synodales. p. 74. ], "einer Menge Völker Könige gegeben hat."

Wess es wahr wäre, wie mehrere Gelehrten angenommen haben, dass diese nehmlichen Tokteken, welche eine, mit einer grossen Dürre verbundene, Pest gegen die Mitte des elften Jahrhunderts unserer Zeitrechnung von dem Plateaeu von Anahuac verjagt hat, als die Stifter des Reiches der Incas im südlichen America wieder erschienen sind, warum hätten die Peruaner ihre Quippus nicht aufgeben sollen, um die Hieroglyphen-Schrift der Tolteken anzunahmen? Beinah zu gleicher Zeit, nehmlich zu Anfang des sechszehenten Jahrhunderts, hatte ein grönländischer Bischof lateinische Bücher, und vielleicht dieselben, welche die Brüder Zeni 1380 daselbst wieder fanden [ Viaggio de´ fratelli Zeni. (Venezia, 1808) p. 67. ], zwar nicht nach dem Continent von America, aber doch nach Terre-Neuve (Vinland) gebracht.

Es ist unbekannt, ob Stämme von toltekischer Rasse bis in die südliche Halbkugel, und zwar nicht über die Cordilleren von Quito und Peru, sondern längs der Ebenen, welche sich ostwärts von den Anden gegen die Ufer des Marañon ausdehnen, vorgedrungen sind; indess dürfte man sich durch eine ausserst merkwürdige Thatsache, von der ich während meines Aufenthaltes in Lima Kenntniss erhalten habe, bestimmen lassen, es zu glauben. Der Pater Narcissus Gilbar, vom Franciscaner-Orden, ein durch seinen Muth und Forschungsgeist gleich berühmter Mann, fand nemlich unter den unabhängigen Panos-Indianern, an den Ufers des Ucayabe, etwas nördlich von der Mündung des Sarayacu, Hefte von Mahlereien, welche durch ihre äussere Form unsern Quartbänden vollkommen gleichen. Jedes Blatt hatte drey Decimeters Länge und zwey Breite. Die Decke dieser Hefte bestand aus mehreren zusammengeleimten Palm-Blättern, und einem sehr dichten Zellengewebe; Stücke von ziemlich feingewobenem baumwollenen Zeuge stellten die Blätter vor, die durch Fäden mit einander verbunden waren. Als Pater Gilbar unter den Panos ankam, fand er einen Greis unter einem Palm-Baum sitzen, und von mehreren jungen Leuten umgeben, denen er den Innhalt dieser Bücher erklärte. Im Anfang wollten die Wilden nicht dulden, dass ein Weisser sich dem Greise näherte, und sie liessen dem Missionaire durch Indiander von Manoa, die einzigen, welche die Sprache der Panos verstanden sagen: "dass diese Gemählte geheime Dinge enthielten, welche kein Fremder erfahren dürfe." Nur mit vieler Mühe gelang es dem Pater, sich eins von diesen Heften zu verschaffen, das er nach Lima schickte, um es den Pater Cisneros, den gelehrten Herausgeber einer Zeitschrift [ El mercurio peruano. ], welche in Europa übersetzt worden ist, sehen zu lassen. Mehrere Personen von meiner Bekanntschaft hatten dieses Buch von Ucayale in Händen, dessen samtliche Seiten mit Mahlereien bedeckt waren. Man unterschied darunter Menschen- und Thier-Figuren, und eine Menge isolirter Karaktere, die man für hieroglyphisch hielt, und die in bewunderungswürdiger Ordnung und Symmetrie auf Linien standen. Indess hatte niemand in Lima etwas von aztekischen Handschriften gesehen, und so konnte man natürlich nicht über die Identität des Styls von Mahlereien, die achthundert Meilen von einander entfernt gefunden worden, urtheilen.

Der Pater Cisneros wollte dieses Buch im Kloster der Missionen von Acopa niederlegen; allein, ob es nun von der Person, der es anvertraut wurde, beim Uebergang über die Cordillera verloren, oder es entwendet und heimlich nach Europa geschickt wordenist, kurz, es kann nicht an den Ort seiner ersten Bestimmung, und alle Nachuntersuchungen, um ein so merkwürdiges Denkmal wieder aufzufinden, dessen Karaktere man nicht einmal hatte kopieren lassen, waren fruchtlos. Indess hat mir der Missionaire, Narciss Gilbar, mit dem ich während meines Aufenthaltes in Lima auf freundschaftlichste verbunden wir, versprochen, alles anzuwenden, um ein anderes Heft dieser Mahlereien der Panos zu erhalten. Er weiss gewiss, dass mehrere davon unter ihnen sind, und sie sagen selbst, diese Bücher seyen ihnen von ihren Vätern überliefert worden. Ihre Erklärung der Gemählte scheint auf eine alte Tradition gegründet, die sich in einigen Familien erhalten hat. Die Manoa-Indianer, denen der Pater Gilbar auftrug, dem Sinn dieser Karaktere nachzuforschen, glaubten zu errathen, dass sie auf Reisen und alte Kriege mit den benachbarten Horden Bezug hätten.

Die Panos unterscheiden sich heutzutag sehr wenig von den übrigen Wilden, die die feuchten und unmässig heissen Wälder bewohnen. Nakt, von Bananen und von dem Ertrag der Fischerei lebend, sind sie weit entfernt, die Mahlerei zu kennen, und das Bedürfniss zu fühlen, ihre Ideen durch graphische Zeichen mitzutheilen. Gleich den meisten Stämmen, die sich an den Ufern der grossen Flüsse des südlichen America´s niedergelassen haben, scheinen sie da, wo man sie gegenwärtig findet, noch nicht sehr alt zu seyn. Was soll man glauben? Sind sie die schwachen Ueberreste eines civilisirten Volks, das in die Wildheit zurückgesunken ist, oder stammen sie von denselben Tolteken, welche den Gebrauch der Hieroglyphen-Mahlerei nach Neu-Spanien gebracht haben, und die wir, von andern Völkern verdrängt am Ufer des Sees von Nicaragua verschwinden sehen? Diese Fragen sind für die Geschichte der Menschen von hohem Interesse, und hängen mit andern zusammen, deren Wichtigkeit bis jetzt noch nicht genug erkannt worden ist.

In den Steppen der Guayana, zwischen dem Cassiquiar und dem Conorichite, erheben sich Granit-Felsen, die mit Figuren von Tigern, von Krókodilen und andern Karakteren bedeckt sind, welche man für symbolisch halten dürfte. Aehnliche Zeichnungen findet man fünfhundert Meilen nördlicher und westlicher, an den Ufern des Orinoko, bei Encamarada und Caicara, an den Ufern des Rio Cauca, bei Timba, zwischen Cali und Jelima, kurz auf dem Plateau der Cordilleren selbst, in dem Paramo de Guanacas. Die Eingebornen dieser Gegenden kennen die Gebrauch metallischer Geräthschaften nicht, und alle stimmen darin überein, dass diese Karaktere schon bei der Ankunft ihrer Voreltern in diesen Ländern vorhanden gewesen sind. Haben wir diese Spuren einer alten Civilistaion blos einer einzigen, fleissigen und der Bildhauerkunst ergebenen, Nation, wie die Tolteken, die Azteken, und alle diese, von Aztlan ausgegangenen, Völker-Gruppen, zuzuschreiben? In welcher Gegend muss man den Entstehungspunkt dieser Cultur suchen? Etwa nordwärts vom Rio-Gila, auf dem Plateau von Mexico, oder in der südlichen Halbkugel, auf den hohen Ebenen von Tuahuanacu, welche die Incas selber schon mit Ruinen von ehrfuchtgebietender Grösse bedeckt gefunden haben, und die man als das Himala und Thibet des südlichen America´s ansehen darf? Nach dem heutigen Maas unsrer Kenntnisse sind alle diese Probleme unlösbar.

Wir haben eben untersucht, welches Verhältniss zwischen den mexicanischen Mahlerieien und den Hi8eroglyphen der alten Welt Statt findet. Wir strebten einiges Licht über den Ursprung und die Wanderungen von Völkern zu verbreiten, welche den Gebrauch der symbolischen Schrift zu und die Verfertigung des Papiers in Neu-Spanien eingeführt haben, und brauchben jetzt nur noch die Handschriften (Codices mexicani) aufzuführen, welche, seit dem sechszehenten Jahrhundert, nach Europa gekommen sind, und in öffentlichen und Privat-Bibliotheken aufbewaahrt werden. Aber man wird sich wunder, wie selten diese kostbaren Denkmale eines Volkes geworden sind, das auf seinem Gang zur Civilisation dieselben Hindernisse bekämpft zu haben scheint, welche sich den Fortschritten der Künste bei allen Nationen im Norden und selbst im Osten von Asien entgegen setzen.

Nach den Untersuchungen, die ich angestellt habe, scheinen heutzutag nur sechs Sammlungen von mexicanischen Handschriften in Europa zu seyn; nemlich die vom Excurial, die in Bologna, in Veletri, in Rom, in Wien und in Berlin. Der gelehrte Jesuite, Fabrega, der in Herrn Zoëga´s Werken häufig angeführt ist, und von dem mir der Ritter Borgia, der Neffe vom Cardinal dieses Nahmens, einige Handschriften in Bezug auf aztekische Alterthümer mitzutheilen, Güte genug hatte, vermuthet indess, dass die Archive von Simancas in Spanien auch einige der Hieroglyphen-Mahlereien enthalten dürften, welche Robertson mit dem Worte Picture-writings so glücklich bezeichnet hat.

Die im Escorial aufbewahrte Sammlung ist von Herrn Waddilove [ Robertson´s History of America, 1802. Vol. III. p. 403. ], Prediger der britischen Gesandtschaft in Madrid, bei Gelegenheit von Lord Grantham´s Sendung dahin, untersucht worden. Sie hat die Form eines Folio-Bandes, woraus man den Verdacht schöpfen könnte, dass sie blos Kopie einer mexicanischen Handschrift sey; denn alle Originale, die ich gesehen habe, gleichen Quart-Bänden. Die vorgestellten Gegenstände scheinen zu beweisen, dass die Sammlung im Escorial, gleich denen in Italien und in Wien, entweder astrologische, oder blosse Ritualbücher sind, die die Religions-Ceremonien anzeigten, wie sie für einzelne Monatstage vorgeschrieben waren. Unter an jeder Seite steht eine Erklärung in spanischer Sprache, welche zur Zeit der Eroberung hinzugefügt worden ist.

Die Sammlung von Bologna befindet sich in der Universitäts-Bibliothek dieser Stadt. Man weiss nicht, woher sie kommt, sondern liest nur auf der ersten Seite, dass diese Mahlerei, welche 326 Centimeters (eilf Palmi romani) land ist, den 26. December 1665 von dem Grafen Valerio Zani an dem Marquis von Caspi abgetreten wurde. Die Karaktere sind auf eine dicke, schlecht verarbeitete, Haut gezeichnet, und scheinen sich auf die Form der Constellationen und astrologische Ideen zu beziehen. Eine Kopie in blossen Umrissen von diesem Codex mexicanus in Bologna befindet sich in dem Museum des Kardinals Borgia, zu Veletri.

Die Wiener Sammlung, welche fünf und sechzig Seiten hat, ist dadurch merkwürdig geworden, dass sie die Aufmerksamkeit beschäftigte, welcher auch mehrere Seiten davon, ohne Farben, und in blossen Umrissen, in seinem classischen Werk über die Geschichte des neuen Continents bekannt gemacht hat. Auf der ersten Seite dieser Handschrift liesst man: "das sie vvon König Immanuel von Portugal an Papst Clemens VII. geschickt wurde, und sich später in den Händen der Cardinäle Hippolytus von Medicis und Capuanus befunden hat." Lambeccius [ Lambeccii Commentar. de bibliotheca Caesae. Vondobon. ed. 1766. p. 966. ], welcher einige Figuren aus dem Codex Vindobonensis sehr unrichtig stechen liess, macht die Bemerkung, dass diese Handschrift unmöglich dem Papst Clemens VII. habe zum Geschenk gemacht werden können, indem König Immanuel zwei Jahre vor dessen Erhebung auf den päpstlichen Thron gestorben sey, wohl aber Leo´n X., dem er 1513 eine Gesandtschaft geschickt habe. Allein ich frage, wie konnte man in Europa schon 1513. mexicanische Mahlereien haben, da Hernandez von Cordova die Küsten von Yucatan erst 1517. enddeckte, und Cortez erst 1519. in Vera-Cruz landete? Ist es im geringsten wahrscheinlich, dass die mexicanische Gemählde auf der Insel Cuba gefunden, da die Bewohner derselben doch, trotz der Nähe des Cap Catoche oder Cap Sanct Antonius, in gar keiner Verbindung mit den Mexicanern gestanden zu haben scheinen? Freilich ist die Wiener Sammlung in einer, derselben angehängten, Note nicht Codex mexicanus, sondern Codex Indiae meridionalis genannt; allein die vollkommene Aehnlichkeit dieser Handschrfit mit denen von Veletri und Rom, setzt ihren gemeinschaftlichen Ursprung ausser Zweifel. König Immanuel starb 1521, Papst Clemens VII. 1534, und es scheint mir sehr wenig glaublich, dass man vor dem ersten Einzug der Spanier in Tenochtitlan (den 8. November 1519.) zu Rom eine mexicanische Handschrift haben konnte. Zu welcher Zeit sie indess nach Italien gekommen seyn mag, so ist wenigstens zuverlässig, dass sie, nach dem sie durch verschiedene Hände gegangen war, 1677. vom Herzog von Sachsen-Eisenach dem Kaiser Leopold zum Geschenk gemacht wurde.

Es ist völlig unbekannt, was aus der Sammlung hieroglyphischer Mahlereien geworden, die sich gegen Ende des siebenzehnten Jahrhunderts zu London befand, und welche Puchas bekannt gemacht hat. Der erste Vice-König von Mexico, Antonio de Mendoza, Marquis von Mondejar, hatte diese Handschrift an Kaiser Karln V. geschickt, das Schiff, auf welchem sie sich befand, ward aber von einem französichen Schiff genommen, und so kam sie in die Hände des Andreas Thevet, Geographen des Königs von Frankreich, welcher in eigener Person den neuen Continent besucht hatte. Nach dem Tode dieses Reisenden kaufte Hakluyt, Prediger bei der englischen Gesandtschaft in Paris, die Handschrift um zwanzig Kronen, wodruch sie denn nach London kann, wo Sir Walther Raleigh sie bekannt machen wollte. Die Kosten für den Stich der Zeichnungen verspäteten dieses jedoch bis ins Jahr 1625, wo Purchas, dem Wunche des gelehrten Alterthumsforscher´s, Spelmann, gemäss, die Handschrift von Mendoza ganz in die Sammlung seiner Reisen einrückte [ Purchas, Pilgrimes. tom. III. p. 1065. ]. Diese Figuren wurden von Thevenot [ Thevenot (1696) tom. II. Pl. VI. p. 1-85. ] in seiner Relation de divers voyages wieder kopirt; aber diese Kopie ist, wie der Abbé Clavigero [ Clavigero, tom. I. p. 23. ] sehr richtig bemerkt hat, voll Fehler, und stellt z. B. Ereignisse, die unter König Ahuizotl vorgefallen sind, unter Montezuma´s Regierung.

Einige Schriftsteller [ Warbunton, Essais sur les hiéroglyphes, tom. I. p. 18. Papillon, histoire de la gravure en bois, tom. I. p. 364. ] haben ausgesprengt, dass das Original dieser berühmten Handschrift auf der kaiserlichen Bibliothek in Paris sey; allein es scheint zuverlässig, dass seit einem Jahrhundert keine mexikanische Handschrift auf derselben gewesen ist. Wie hätte die, von Hakluyt gekaufte, und nach England gegangene, wieder nach Frankreich zurückommen sollen? Man kennt heutzutag überhaupt gar keine andere mexicanischen Mahlereien in Paris, als Kopien, die in einer spanischen Handschrift enthalten sind, welche aus der Bibliothek von Sellier kommt, und von der wir in der Folge Gelegenheit haben werden, zu sprechen. Dieses, in andern Rücksichten sehr merkwürdige, Werk befindet sich in der prächtigen Manuscripten-Sammlung der kaiserlichen Bibliothek. Es gleich dem Codex Anonymus im Vatican, nro. 3,738, der das Werk des Mönchs Pedro de los Rios ist [ Siehe oben die Beschreibung der siebenten Platte. ]. Der Peter Kircher hat gleichfalls einige von Purchas Kupfern kopieren lassen. [ Kircheri Oedipus. tom. III. p. 32. ].

Mendoza´s Sammlung verbreitet Licht über die Geschichte, den politischen Zustand und das Privat-Leben der Mexicaner. Sie theilt sich in drei Abschnitte, die, gleich den Scandhas der indianischen Puranas, ganz verschiedene Gegenstände behandeln. Der erste Abschnitt enthält die Geschichte der aztekischen Dynastie, von der Gründung von Tenochtitlan an, im Jahr 1325. unsrer Zeitrechnung, bis auf den Tod Montezuma´s II. oder eigentlich Monteuczoma Xocojotzin, im Jahr 1520; der zweite ist ein Verzeichniss der Tribute, welche jede Provinz und jede Ortschaft den aztekischen Fürsten bezahlte, und der dritte und letzte giebt einen Abriss des häuslichen Lebens und der Sitten der aztekischen Völker. Der Vice-König Mendoza hatte jeder Seite eine Erklärung in mexicanischer und in spanischer Sprache beisetzen lassen, so dass das Ganze ein, für die Geschichte sehr merkwürdiges, Werk bildet. Trotz der Unrichtigkeit der Umrisse zeigen die Figuren mehrere, äusserst auffallende, Züge aus dem Sittengemählde der Mexicander. Man sieht die Erziehung der Kinder von ihrer Geburt an bis zu ihrem Eintritt in die Gesellschaft, entweder als Landleute, oder als Krieger, als Künstler und als Priester. Das Maas von Nahrung, wie es jedem Alter gebührt, die Züchtigung, welche beiden Geschlechtern zukommt, alles war bei diesem Volke aufs genauste, nicht durch die Gesetze, sondern durch alte Gebräuche bestimmt, von denen man sich nicht entfernen durfte. Durch den Despotismus und die Barbarei der gesellschaftlichen Institutionen gefesselt, ohne Freiheit selbst in den unbedeutendsten Handlungen des häuslichen Lebens, war die ganze Nation in trauriger Einförmigkeit von Gebräuchen und Aberglauben erzogen. Dieselben Ursachen brachten in dem alten Egypten, in Indien, in China, in Mexico, in Peru, und überhaupt überall, wo die Menschen blos mit Einen und demselben Willen belebte Massen vorstellen, und Gesetze, Religion und Gebräuche der Vervollkommnung under individuellen Glückseligkeit entgegenstanden, die gleichen Wirkungen hervor.

In den Mahlereien von Mendoza´s Sammlung sieht man unter andern die Ceremonien, welche bei der Geburt eines Kindes vorgenommen wurden. Die Hebamme spritzte dem Neugebornen unter Anrufung des Gottes Ometeuctli und der Göttin Omecihuatl, welche in dem Aufenthalt der Seligen leben, Wasser auf Stirne und Brust, und liess, nach verschiedenen Gebeten [ Clavigero, tom. II. p. 86. ], worin das Wasser als Symbol einer Reinigung der Seele angesehen wurde, die Kinder herbeikommen, die man dazu eingeladen, um dem Neu-Gebornen einen Namen zu geben. In einigen Provinzen zündete man bei dieser Gelegenheit noch Feuer an, durch das man anscheinend gehen liess, um es mit Wasserund Feuer zugleich zu reinigen. - Diese Ceremonie erinnert an Gebräuche, deren Ursprung sich in Asien in das höchste Alterthum verliert.

Andre Platten von Mendaza´s Sammlung stellen die oft grausamen Züchtigungen vor, womit die Eltern ihre Kinder, je nach der Grösse ihres Vergehens und dem Alter und Geschlecht derselben strafen mussten. Eine Mutter setzt ihre Tochter dem Rauch von spanischem Pfeffer (Capsicum bacatum) aus; ein Vater sticht seinen achtjährigen Sohn mit Pitte-Blättern, die sich in starke Dornen endigen; und die Mahlerei giebt überhaupt an, in welchem Falle das Kind blos an den Händen gestochen werden kann, und in welchem die Eltern diese schmerzliche Operation an seinem ganzen Körper vornehmen dürfen. Ein Priester (Teopixqui) züchtigt einen Novitzen dafür, dass er eine Nacht ausser den Tempelmauern zugebracht hat, indem er ihm Feuerbrände um den Kopf wirft. Ein andrer Priester ist sitzend dargestellt, wie er die Sterne beobachet, um die Mitternachtsstunde anzeigen zu können; um dieses verständlich zu machen, ist die Hieroglyphe der Mitternacht über sein Haupt gestellt, und eine Linie von Puncten von seinem Aug´ aus gegen eine Stern hingezogen [ Thevenot, tom. II. Pl. IV. fig. 49, 51, 55, 61. ]. Auch sieht man mit Interesse Frauen, die an der Spindel spinnen, oder hochschäftige Tapeten wirken, einen Goldarbeiter, der durch ein Blaserörchen, die Kohle anbläst; einen Greis von siebenzig Jahren, dem das Gesetz, wie jeder Frau, welche Grossmutter war, sich zu berauschen erlaubte; eine Ehe-Kupplerin, Cihuatlanque genannt, welche die Jungfrau auf ihrem Rücken in des Bräutigams Haus trägt, und endlich auch die ehliche Einsegnung, deren Ceremonie darin bestand, dass der Priester, oder Teopixqui, das Mantelblatt (tilmatli) des Manns mit dem Rock-Blatt des Mädchens (Huepilli) zusammenknüpfte. Ueberdies enthält Mendoza´s Sammlung noch mehrere Figuren von mexicanischen Tempeln (Teocallis), in welchen man das pyramiden-förmige Monument, wie es in Absätze getheilt war, und die kleine Kapelle, das teos, auf der Spitze, sehr deutlich erkennt. Die verwickeltste und scharfsinnigste Mahlerei in diesem Codex mexicanus hingegen stellt einen Tlatoani, oder Gouverneur einer Provinz, vor, der erdrosselt wird, weil er sich gegen seinen Souverän empört hat; denn dasselbe Gemählde erinnert an das Verbrechen des Gouverneurs, an die Züchtigung seiner ganzen Familie, und an die Rache, welche seine Vasallen an den Staats-Bothen, die die Befehle des Königs von Tenochtitlan brachten, genommen haben [ Thevenot, fig. 52, 53, 58, 62. ]

Trotz der grossen Menge von Gemählden, welche als Denkmale des mexicanischen Götzendienstes angesehen, und als solche zu Anfang der Eroberung auf Befehl der Bischöfe und Missionäre verbrannt wurden, war doch der Ritter Boturini [ Boturini tableau général, p. 1-96. ], dessen unglückliches Schicksal wir weiter oben erzählt haben, gegen die Mitte des letzten Jahrhunderts noch glücklich genug, nahe an die fünf hundert hieroglyphische Gemählde zusammen zu bringen. Diese Sammlung, die schönste und reichste von allen, wurde, gleich der von Siguenza, wovon sich einige schwache Ueberreste noch bis zur Vertreibung der Jesuiten auf der Bibliothek von Sanct Peter und Paul erhalten hatten, zerstreut. Ein Theil der, von Boturini gesammelten, Gemählte war auf einem spanischen Schiffe, das von einem englischen Corsaren genommen wurde, nach Europa geschickt worden, und man hat nie erfahren können, ob sie wirklich nach England gekommen sind, oder ab man sie nicht, als grobe und schlecht gemahlte Zeuge ins Meer geworfen hat. Zwar hat mich ein sehr unterrichteten Reisender versichtert, dass man auf der Oxforder Bibliothek einen Codex mexicanus zeige, der in Lebhaftigkeit der Farben dem Wiener gleichkomme; allein der Doctor Robertson sagt in der neusten Ausgabe seiner Geschichte von America ausdrücklich, dass sich in England kein andres Denkmal von mexicanischer Industrie und Civilisation befinde, als eine goldene Schaale von Montezuma, welche Lord Archer gehöre. Wie hätte die Oxforder Sammlung auch dem berühmten schottischen Geschichtschreiber unbekannt bleiben können?

Der grösste Theil von Boturini´s Handschriften indess, die ihm in Neu-Spanien konfiscirt wurden, ist von Personen, welche den Wehrt derselben gar nicht kannten, zerrissen, gestohlen, und zerstreut worden, und das, was noch heutzutag im Pallaste des Vice-Königs davon übrig ist, besteht blos in drei zusammengebundenen Päcken, jeder von sieben Decimeters ins Gevierte, und fünf Höhe. Diese sind in einem der feuchten Gemächer zu ebener Erde geblieben, aus welchen schon der Vice-König, Graf von Revillagigedo, die Regierungs-Archive wegnehmen liess, weil das Papier sich in denselben mit furchtbarer Schnelligkeit veränderte; und man wird ganz unwillig, wenn man die Verlassenheit sieht, in welcher sich diese kostbaren Ueberreste einer Sammlung befinden, die so viel Sorgen und Mühe gekostet hat, und die der unglückliche Boturini, mit dem, allen unternehmenden Menschen eigenen, Enthusiasmus in der Vorrede zu seinem Essai historique: "das einzige Gut nennt, welches er in Indien besitze, und das er nicht gegen alles Gold und Silber der neuen Welt vertauschen möchte." Ich lasse mich hier nicht darauf ein, die, im Pallast der Vice-Könige zu Mexico befindlichen, Gemählde einzeln zu beschreiben, sondern bemerke nur, dass welche darunter sind, die über sechs Meters Länge und zwei Breite haben, und die Wanderungen der Azteken vom Rio Gila bis in das Thal von Tenochtitlan, die Gründung mehrerer Städte, und die Kriege mit den benachbarten Völkern darstellen.

Auf der Universitäts-Bibliothek von Mexico sind keine Original-Hieroglyphen-Gemählde mehr vorhanden, und ich habe blos einige Kopien in blossen Umrissen, ohen Farben, und sehr nachlässig gemacht, auf derselben gefunden. Die reichste und schönste Sammlung dieser Stadt ist heutzutag die von Don José Antonio Pichardo, Mitglied der Congregation von San Felipe Neri. Das Haus dieses fleissigen und unterrichteten Mannes war für mich, was Siguenza´s seines für den reisenden Gemelli gewesen ist. Der Pater Pichardo hat sein kleines Vermögen aufgeopfert, um aztekische Gemählde zu sammeln, und alle diejenigen, welche er nicht eigen bekommen konnte, zu kopieren, auch hat ihm sein Freund Gama, Verfasser mehrerer astronomischen Schriften, alles vermacht, was er von kostbaren hieroglyphischen Handschriften besass. So sammeln und erhalten einzelne, und nicht die reichsten, Privatleute auch auf dem neuen Continent, wie fast überall, Gegenstände, welche die Aufmerksamkeit der Regierungen beschäftigen sollten.

Ob im Königreich Guatimala oder im Innern von Mexico Personen sind, welche ein gleicher Eifer belegt, wie den Pater Alzate, Velasquez und Gama, ist mir unbekannt. Die Hieroglyphen-Gemählde sind heutzutag, wenigstens in Neu-Spanien, so selten, dass die meisten Bewohner desselben nie welche gesehen haben, und unter den Ueberresten von Boturini´s Sammlung ist keine einzige Handschrift so schön, wie die Codices mexicani in Veletri und Rom. Indess zweifle ich gar nicht daran, dass sich noch viele, für die Geschichte wichtige, Gegenstände in den Händen der Indianer befinden, welche die Provinz Mechuacan, die Intendantschaften von Mexico, Puebla und Oaxaca, die Halb-Insel Yucatan und das Königreich Guatimala bewohnen. Diess sind die Gegenden, wo die, von Aztlan auzsgegangenen, Völker einen gewissen Grad von Civilisation erreicht hatten, und ein Reisender, welcher die aztekische, die taraskische und die Maya-Sprache verstände, und sich das Zutrauen der Eingebohrnen zu erwerben wüsste, würde noch heutzutag, dreihundert Jahre nach der Eroberung, und hundert nach des Ritters Boturini´s Reise, eine schöne Anzahl mexicanischer Geschicht-Gemählde zusammen bringen können.

Der Codex mexicanus im Borgia´schen Museum zu Veletri ist die schönste unter allen mexicanischen Handschriften, welche ich je untersucht habe. Wir werden später, bei Erklärung der fünfzehnten Kupfertafel, weiter davon zu reden Veranlassung bekommen.

Die, in der königlichen Bibliothek zu Berlin befindliche, Sammlung enthält verschiedene aztekische Mahlereien, welche ich während meines Aufenthaltes in Neu-Spanien gekauft habe. Die zwölfte Kupfertafel zeigt zwei Fragmente derselben, und enthält Verzeichnisse von Tributen, Genealogien, Geschichten mexicanischer Wanderungen, und einen, zu Anfang der Eroberung gemachten, Kalender, in welchen die einfachen Hieroglyphen der Tage mit den Figuren von Heiligen, in aztekischem Style gemahlt, zusammengestellt sind.

Die vatikanische Bibliothek zu Rom besitzt in ihrer kostbaren Handschriften-Sammlung zween Codices mexicani unter den Nummern 3,738 und 3,776 des Katalogs. Diese, so wie die Handschriften von Veletri, kannte der Doctor Robertson bei seiner Aufzählung der mexicanischen Gemählde in den verschiedenen europäischen Bibliotheken nicht. Mercatus [ Mercatus, degli Obelischi di Roma C. II. p. 96. ] berichtet in seiner Beschreibung der römischen Obeliske, dass zu Ende des sechzehnten Jahrhunderts zwo Sammlungen von Original-Gemählden im Vatikan gewesen seyen, und man möchte glauben, dass eine derselben völlig verlohren wäre, wenn es anders nicht die auf der Bibliothek des Instituts von Bologna befindliche ist. Die andre hingegen wurde 1785 von dem Jesuiten Fabrega, nach funfzehnjährigem Suchen, wieder aufgefunden.

Der Codex mexicanus nro. 3,776, dessen Acosta und Kircher bereits erwähnten [ Zoëga, de orig. obeliscorum, p. 531. ], hat 7m, 87 oder 31 1/2 Palmen Länge, und 0m, 19, oder sieben Zoll ins Gevierte. Seine acht und vierzig Faltungen bilden sechs und neunzig Seiten, oder eben so viele Abtheilungen, die auf beiden Seiten durch mehrere zusammengeklebte Hirschhäute bezeichnet sind. Jede Seite ist wiederum in zwei Felder abgetheilt; die ganze Handschrift hingegen enthält nur hundert und sieben und siebenzig solcher Felder, weil die acht ersten Seiten die einfachen Hieroglyphen der Tage, in parallelen Reiehn und nahe an einander geordnet enthalten. Die dreizehente Kupfertafel des mahlerischen Atlasses giebt eine genaue Kopie von einer dieser Faltungen, oder von einer Seite des Codex vaticanus, und da sich alle Seiten in der allgemeinen Anordnung völlig gleichen, so reicht diese Kopie hin, um einen Begriff von dem ganzen Buch zu erhalten.

Der Rand von jeder Faltung ist in sechs und zwanzig kleine Felder abgetheilt, welche die einfachen Hieroglyphen der Tage enthalten. Letzterer sind zwanzig, welche periodische Reihen bilden. Da ein kleiner Cyclus dreizehn Tage hat, so folgt daraus, dass die Reihe der Hieroglyphen von einem Cyclus in den andern hinüberreicht. Der ganze Codex vaticanus enthält hundert und sechzehn solcher kleinen Cyclus, oder zweitausend zweyhundert und neunzig Tage. Wir lassen uns hier nicht in nähere Untersuchungen dieser Unterabtheilungen der Zeit ein, indem wir uns vorgenommen haben, weiter unten die Erklärung des mexicanischen Kalenders, eines der verwickelsten, aber auch der scharfsinnigsten, welche die Geschichte der Astronomie aufgestellt hat, zu geben. Jede Seite stellt in den zwo Unterabtheilungen, von denen wir gesprochen, zwo Gruppen mythologischer Figuren dar. Aber man würde sich in leeren Muthmassungen verlieren, wenn man diese Allegorien erklären wollte; indem es den Handschriften von Rom, Veletri, Bologna und Wien ganz an dergleichen erklärenden Noten fehlt, wie hier der Vice-König Mendoaza der, von Purchas herausgegebenen, Handschrift beisetzen liess,. Uebrigens wäre zu wünschen, dass irgend eine Regierung diese Ueberreste alter mexicanischer Civilisation auf ihre Kosten bekannt machen lassen möchte; denn nur durch die Vergleichung mehrerer Monumente würde man den Sinn dieser, theils astronomischen, theils mystischen, Allegorien herausbringen. Wären von allen griechischen und römischen Alterthümern blos einige geschnittene Steine oder einzelne Münzen auf uns gekommen, so würden natürliche die einfachsten Anspielungen dem Scharfsinn der Alterthumsforscher entgangen seyn. Und wie viel Licht hat das Studium der Basreliefs über das der Münzen verbreitet?

Zoëga, Fabrega und andre Gelehrten, die sich in Italien mit mexicanischen Handschriften beschäftigt haben, sehen den Codex vaticanus, so wie den von Veletri, als Tonalamatls, oder Ritual-Almanache, d. h. als Bücher an, welche dem Volk für mehrere Jahre die Gottheiten, welches über den kleinen Cyclus von dreizehn Tagen walteten, und während dieser Zeit das Schicksal der Menschen regierten, ferner die religiösen Ceremonien, die man zu beobachten hatte, und besonders die Opfer angaben, welche den Idolen dargebracht werden mussten.

Die dreizehnte Kupfertafel in meinem Atlas, welche die Copie der sechs und neunzigsten Seite des Codex vaticanus liefert, enthält auf der linken Seite eine Anbetung. Die Gottheit hat einen Helm auf, dessen Zierathen sehr merkwürdig sind. Sie sitzt auf einer kleinen Bank; Jopalli genannt, vor einem Tempel, von welchem blos die Spitze oder die kleine Kapelle auf der Höhe der Pyramide vorgestellt ist. Die Anbetung bestand in Mexico, wie im Orient in der Ceremonie, den Boden mit der rechten Hand zu berühren, und diese hand alsdann an den Mund zu bringen. In der Zeichnung nro. I. ist diese Anbetung durch eine Kniebeugung ausgedrückt. Die Stellung der Figur, welche sich vor dem Tempel niederwirft, kommt auch auf mehreren Mahlereien der Hindus vor.

Die Gruppe, nro. II. stellt die berühmte Frau mit der Schlange, Cihuacohualt, auch Guilaztli oder Tonacacihua, Frau von unsrem Fleische, genannt, vor. Sie ist die Gefährtin von Tonacateuctli, und die Mexicaner sahen sie als Mutter des Menschengeschlechts an. Nach dem Gott des himmlichen Paradieses, Ometeuctli, behauptete sie den ersten Rand unter den Gottheiten von Anahuac, und man sieht sie immer in Begleitung einer grossen Schlange abgebildet. Andre Mahlereien enthalten eine bunte Natter, die von dem grossen Geiste, Tezcatlipoca, oder der personifizierten Sonne, dem Gott Tonatiah, in Stücke gehauen wird. Diese Allegorien erinnern an alte, asiatische Traditionen. Man glaubt in der Frau mit der Schlange der Azteken die Eva der semitischen Völker, und in der, in Stücke gehauenen, Natter die berühmte Schlange Kaliya, oder Kalinaga zu sehen, welche Wischnu überwunden, nachdem er die Gestalt von Krischna angenommen hatte. Auch scheint der mexicanische Tonatiuh mit dem Krischna der Hindu´s, wie er in dem Bhagavata Purana besungen ist, und mit dem Mithras der Perser, identisch zu seyn. Ueberhaupt steigen die ältesten Traditionen der Völker zu einen Zustand der Dinge empor, da die Erde mit Sümpfen bedeckt, und von Nattern und andern Thieren von riesenmässiger Grösse bevölkert war. Erst durch Austrocknung des Bodens befreite das wohlthätige Gestirn dieselben von diesen Wasser-Ungeheurn.

Hinter der Schlange, welche mit der Göttin Cihuacohualt zu reden scheint, befinden sich zwo nakte Figuren, von verschiedener Farbe, und in der Stellung, als ob sie sich mit einander schlügen. Man möchte glauben, dass sich die beiden Gefässe, die man unten auf dem Gemählde sieht, und deren eines umgestürzt ist, auf die Ursache dieses Streits bezögen. Die Frau mit der Schlange wurde in Mexico als die Mutter von Zwillingen angesehen, und vielleicht sind diese beiden nakten Figuren ihre Kinder, welche in diesem Fall an die Brüder Cain und Abel in der hebräischen Tradition erinnern. Uebrigens zweifle ich, ob die Farbenverschiedenheit an diesen beiden Figuren auf eine Verschiedenheit der Raçe hindeutet, wie in den egyptischen Gemählden, welche man in den Gräbern der Könige zu Thebae gefunden hat, und in den, aus Erde geformten, und auf den Mumien-Kästen von Sakhara [ Denon, Voyage en Egypte, p. 298-313. ] angebrachten, Zierathen. Denn studiert man die historischen Hieroglyphen der Mexicaner mit Sorgfalt, so glaubt man zu sehen, dass die Köpfe und Hände der Figuren bei ihnen nur zufällig, bald gelb, bald blau, bald roth gemahlt wurden.

Die Cosmogonie der Mexicaner, ihre Traditionen über die Mutter der Menschen, welche von ihrem ersten Zustand von Glück und Unschuld herabgesunken ist; die Idee einer grossen Ueberschwemmung, der nur eine einzige Familie auf einer Flösse entronnen ist; die Geschichte eines pyramidalförmigen Gebäudes, welches der Menschen Hochmuth aufgeführt, und Gottes Zorn wieder zerstört hat; die Abwaschungs-Ceremonien bei der Geburt der Kinder; diese Idole, die aus Mais-Mehl geknetet, und stückweise an das, in dem Bezirk des Tempels versammelte, Volk vertheilt wurden; diese Sündenbekenntnisse der Reuevollen; diese religiösen Vereinigungen, welche unsern Manns- und Frauen-Klöstern gleichen; dieser, allgemein verbreitete Glaube, dass weisse Menschen mit langen Bärten und von grosser Heiligkeit des Lebens das religiöse und politische System der Völkder verändert hätten; - alle diese Umstände hatten die Geistlichen, welche die spanische Armee zur Zeit der Eroberung begleiteten, glauben gemacht, dass das Christenthum schon vor sehr fernen Zeiten auf dem neuen Continent gepredigt worden wäre, und mexicanische Gelehrte [ Siguenza, Opera inedita. Eguara, Bibl. mexicana, p. 78. ] vermeinten sogar, den Apostel Thomas in dieser mystischen Person, dem Oberpriester von Tula, zu erkennen, den die Cholulaner unter dem Namen Quetzalcoatl kannten. Indess ist kein Zweifel, dass sich der Nestorianismus, vermischt mit den Dogmen der Buddhisten und Chamanen [ Langle´s, Rituel des Tartares-Mantchoux, p. 9. u. 14. Georgi, Alphabet. Tibetanum, p. 298. ] durch die Mantchu-Tatarei nach dem Nord-Osten von Asien verbreitet hat, und man könnte daher mit einiger Wahrscheinlichkeit annehmen, dass den mexicanischen Völkern, den Bewohnern dieser nördlichen Gegenden, aus welchen die Tolteken ausgegangen sind, und die wir als die officina virorum der neuen Welt ansehen dürfen, christliche Ideen mitgetheilt worden seyen.

Dieser Gedanke wäre übrigens immer noch annehmlicher, als die Muthmassung, nach welcher die alten Traditionen der Hebräer und Christen durch scandinavische Colonien, die sich vom eilften Jahrhundert an auf den Küsten von Grönland, in Labrador, und vielleicht sogar auf der Insel Terre neuve, gebildet hatten, nach America gekommen sind. Freilich ist nicht zu zweifeln, dass diese europäischen Colonisten einen Theil des Continents, den die Drogeo nannten, besucht haben. Auch kannten sie Länger, welche süd-westlich gelegen, und von Anthropophagen, die sich in bevölkerten Städten vereinigt hatten, bewohnt waren. Allein, ohne hier zu untersuchen, ob diese Städte die der Provinzen Ichiaca und Consachiqui waren, welche Hernando de Soto, der Eroberer von Florida, besucht hat, brauchen wir blos zu bemerken, dass die religiösen Ceremonien, die Dogmen und Traditionen, welche die Einbildungskraft der ersten spanischen Missionäre beschäftigten, ohne Zweifel schon seit der Ankunft der Tolteken, und somit drei oder vier Jahrhunderte vor den Fahrten der Scandinaven nach den Ost-Küsten des neuen Continents, in Mexico vorhanden waren.

Die Geistlichen, welche mit Cortez und Pizarro´s Armee in Mexico und Peru eindrangen, waren von selbst schon geneigt, die Analogien zu übertreiben, die sie zwischen der Cosmogonie der Azteken und den Dogmen der christlichen Religion zu erkennen glaubten. Voll von hebräischen Traditionen, und nur unvollkommen in den Sprachen des Landes und in der Bedeutung der hieroglyphischen Gemählde unterrichtet, bezogen sie alles auf das System, welches sie sich gebildet hatten, gleich den Römern, die bei den Germanen und Galliern blos ihren eigenen Gottesdienst und ihre Götter wieder sahen. Wendet man eine gesunde Kritik an, so findet man nichts bei den Americanern, was uns nöthigen könnte, zu glauben, dass sich die asiatischen Völker nach der Gründung der christlichen Religion in dem neuern Continent verbreitet haben. Indess bin ich weit entfernt, die Möglichkeit von dergleichen späteren Communicationen zu läugnen, denn ich weiss wohl [ S. meinen Versuch über Neu-Spanien. ], dass die Tchutskis jedes Jahr über die Berings-Meerenge setzen, um mit den Bewohnern der Nord-West-Küste von America Krieg zu führen. Aber ich glaube auch, nach unserer, seit Ende des vorigen Jahrhunderts erlangten, Bekanntschaft mit den heiligen Büchern der Hindu´s, versichern zu können, dass man zur Erklärung dieser Analogien von Traditionen, wovon alle ersten Missionäre sprechen, das westliche Asien, das von Völkern der semitischen Raçe bewohnt wird, gar nicht nöthig hat, indem sich diese Traditionen von hohem, ehrwürdigem Alterthum, sowohl unter den Anhängern von Brahma, als unter den Chamanen vom östlichen Plateau der Tatarei finden.

Wir werden auf diesen merkwürdigen Gegenstand wieder zurückkommen, und zwar entweder bei dem, was wir über die Pastu´s [ Garcilasso, Comentarios reales. Tom. I. p. 274. ], ein americanisches Volk, das sich blos von Vegetabilien nährte, zu sagen haben, oder bei unsrer Auseinandersetzung des Dogma´s der Seelenwanderung, wie es unter den Tlascalteken verbreitet war. Auch werden wir alsdann die mexicanische Tradition von den vier Sonnen, oder den vier Welt-Zerstörungen, und die Spuren von Trimurti, oder der Dreieinigkeit der Hindu´s, welche man in dem Gottesdienst der Peruaner findet, untersuchen. Troz diesen, wirklich auffallenden, Aehnlichkeiten zwischen den Völkern des neuen Continents und den tatarischen Stämmen, welche die Religion von Buddha angenommen haben, glaube ich indess doch in der Mythologie der Americaner, in dem Styl ihrer Gemählde, in ihren Sprachen, und besonders in ihrer äusseren Bildung die Nachkommen einer Menschenraçe zu erkennen, die sich früh von dem übrigen Menschengeschlecht getrennt, und, während einer langen Reihe von Jahrhunderten, einen besonderen Gang in der Entwicklung ihrer intellectuellen Fähigkeiten und in ihrer Tendenz zur Civilisation genommen hat.


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Diese Seite wurde erstellt am 7. 5. 2002.
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