Inhalt, Kapitel 1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8, 9, 10, 11, 12, 13, 14, 15, 16, 17, 18, 19, 20, Schlußwort, Anmerkungen, Nachwort
Copyright 1997. Kurt Stüber

Zwölftes Kapitel

Das Substanz-Gesetz.

Monistische Studien über das kosmologische Grundgesetz. Erhaltung der Materie und der Energie. Kinetischer und pyknotischer Substanz-Begriff.

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Inhalt: das chemische Grundgesetz von der Erhaltung des Stoffes (Konstanz der Materie). Das physikalische Grundgesetz von der Erhaltung der Kraft (Konstanz der Energie). Verbindung beider Grundgesetze im Substanz-Gesetz. Kinetischer, pyknotischer und dualistischer Substanz-Begriff. Monismus der Materie. Masse oder Körperstoff (Ponderable Materie). Atome und Elemente. Wahlverwandtschaft der Elemente. Atom-Seele (Fühlung und Strebung der Masse). Existenz und Wesen des Aethers. Aether und Masse. Kraft und Energie. Spannkraft und lebendige Kraft. Einheit der Naturkräfte. Allmacht des Substanz-Gesetzes.

Als das oberste und allumfassende Naturgesetz betrachte ich das Substanz-Gesetz, das wahre und einzige kosmologische Grundgesetz; seine Entdeckung und Feststellung ist die größte Geistesthat des 19. Jahrhunderts, insofern alle anderen erkannten Naturgesetze sich ihm unterordnen. Unter dem Begriffe "Substanz-Gesetz" fasse ich zwei höchste allgemeine Gesetze verschiedenen Ursprungs und Alters zusammen, das ältere chemische Gesetz von der "Erhaltung des Stoffes" und das jüngere physikalische Gesetz von der "Erhaltung der Kraft" (Monismus, 1892, S. 14, 39). Daß diese beiden Grundgesetze der exakten Naturwissenschaft im Wesen unzertrennlich sind, wird vielen Lesern wohl selbstverständlich erscheinen und ist von den meisten Naturforschern der Gegenwart anerkannt. Indessen wird diese fundamentale Ueberzeugung doch von anderer Seite noch heute vielfach bestritten und muß jedenfalls erst bewiesen werden. Wir müssen daher zunächst einen kurzen Blick auf diese beiden Gesetze werfen.

Gesetz von der Erhaltung des Stoffes

(oder der "Konstanz der Materie", Lavoisier, 1789). Die Summe des Stoffes, welche den unendlichen Weltraum erfüllt, ist unveränderlich. Wenn ein Körper zu verschinden scheint, wechselt er nur seine Form; wenn die Kohle verbrennt, verwandelt sie sich durch Verbindung mit dem Sauerstoff der Luft in gasförmige Kohlensäure; wenn ein Zuckerstück sich im Wasser löst, geht seine feste Form in die tropfbar flüssige über. Ebenso wechselt die Materie nur ihre Form, wenn ein neuer Naturkörper zu entstehen scheint; wenn es regnet, wird der Wasserdampf der Luft in Tropfenform niedergeschlagen; wenn das Eisen rostet, verbindet sich die oberflächliche Schicht des Metalles mit Wasser und dem Sauerstoff der Luft und bildet so Rost oder Eisen-Oxyd-Hydrat. Nirgends in der Natur sehen wir, daß neue Materie entsteht oder "geschaffen" wird; nirgends finden wir, daß vorhandene Materie verschwindet oder in Nichts zerfällt. Dieser Erfahrungssatz gilt heute als erster und unerschütterlicher Grundsatz der Chemie und kann jederzeit mittelst der Waage unmittelbar bewiesen werden. Es war aber das unsterbliche Verdienst des großen französischen Chemikers Lavoisier, diesen Beweis durch die Waage zuerst geführt zu haben. Heute sind alle Naturforscher, welche sich Jahre lang mit dem denkenden Studium der Natur-Erscheinungen beschäftigt haben, so fest von der absoluten Konstanz der Materie überzeugt, daß sie sich das Gegentheil gar nicht mehr vorstellen können.

Gesetz von der Erhaltung der Kraft

(oder der "Konstanz der Energie", Robert Mayer, 1842) Die Summe der Kraft, welche in dem unendlichen Weltraum thätig ist und alle Erscheinungen bewirkt, ist unveränderlich. Wenn die Lokomotive den Eisenbahn-Zug fortführt, verwandelt sich die Spannkraft des erhitzten Wasserdampfes in die lebendige Kraft der mechanischen Bewegung; wenn wir die Pfeife der Lokomotive hören, werden die Schallschwingungen der bewegten Luft durch unser Trommelfell und die Kette der Gehörknochen zum Labyrinth unseres inneren Ohres fortgeleitet und von da durch den Hörnerv zu den akustischen Ganglienzellen, welche die Hörsphäre im Schläfenlappen unserer Großhirnrinde bilden. Die ganze wunderbare Gestaltenfülle, welche unseren Erdball belebt, ist in letzter Instanz umgewandeltes Sonnenlicht. Allbekannt ist, wie gegenwärtig die bewunderungswürdigen Fortschritte der Technik dazu geführt haben, die verschiedenen Naturkräfte in einander zu verwandeln: Wärme wird in Massenbewegung, diese wieder in Licht oder Schall, diese wiederum in Elektrizität übergeführt oder umgekehrt. Die genaue Messung der Kraftmenge, welche bei dieser Verwandlung thätig ist, hat ergeben, daß auch sie konstant bleibt. Kein Theilchen der bewegenden Kraft im Weltall geht je verloren; kein Theilchen kommt neu hinzu. Der großen Entdeckung dieser fundamentalen Thatsache hatte sich schon 1837 Friedrich Mohr in Bonn sehr genähert; sie geschah 1842 durch den geistreichen schwäbischen Arzt Robert Mayer in Heilbronn; unabhängig von ihm kam fast gleichzeitig der berühmte Physiologe Hermann Helmholtz auf die Erkenntniß desselben Princips; er wies fünf Jahre später seine allgemeine Anwendbarkeit und Fruchtbarkeit auf allen Gebieten der Physik nach. Wir würden heute sagen müssen, daß es auch das gesammte Gebiet der Physiologie - d. h. der "organischen Physik!" - beherrsche, wenn dagegen nicht entschiedener Widerspruch von Seiten der vitalistischen Biologen, sowie der dualistischen und spiritualistischen Philosophen erhoben würde. Diese erblicken in den eigenthümlichen "Geisteskräften" des Menschen eine Gruppe von "freien", dem Energie-Gesetz nicht unterworfenen Kraft-Erscheinungen; besonders gestützt wird diese dualistische Auffassung durch das Dogma von der Willensfreiheit. Wir haben schon bei deren Besprechung (S. 55) gesehen, daß dieselbe unhaltbar ist. In neuester Zeit hat die Physik den Begriff der "Kraft" und der "Energie" getrennt; für unsere vorliegende allgemeine Betrachtung ist diese Unterscheidung gleichgültig.

Einheit des Substanz-Gesetzes.

Von größter Wichtigkeit für unsere monistische Weltanschauung ist die feste Ueberzeugung, daß die beiden großen kosmologischen Grundlehren, das chemische Grundgesetz von der Erhaltung des Stoffes und das physikalische Grundgesetz von der Erhaltung der Kraft, untrennbar zusammengehören; beide Theorien sind ebenso innig verknüpft, wie ihre beiden Objekte, Stoff und Kraft, oder Materie und Energie. Vielen monistisch denkenden Naturforschern und Philosophen wird diese fundamentale Einheit beider Gesetze selbstverständlich erscheinen, da ja beide nur zwei verschiedene Seiten eines und desselben Objektes, des "Kosmos", betreffen; indessen ist diese naturgemäße Ueberzeugung weit entfernt, sich allgemeiner Anerkennung zu erfreuen. Sie wird vielmehr energisch bekämpft von der gesammten dualistischen Philosophie, von der vitalistischen Biologie, der parallelistischen Psychologie; ja sogar von vielen (inkonsequenten!) Monisten, welche im "Bewußtsein" oder in der höheren Geistesthätigkeit des Menschen, oder auch in anderen Erscheinungen des "freien Geisteslebens" einen Gegenbeweis zu finden glauben.

Ich betone daher ganz besonders die fundamentale Bedeutung des einheitlichen Substanz-Gesetzes als Ausdruck des untrennbaren Zusammenhanges jener beiden begrifflich getrennten Gesetze. Daß dieselben ursprünglich nicht zusammengefaßt und nicht in dieser Einheit erkannt wurden, ergiebt sich ja schon aus der Thatsache ihrer verschiedenen Entdeckungs-Zeit. Das ältere und näher liegende chemische Grundgesetz von der "Konstanz der Materie" wurde von Lavoisier schon 1789 erkannt und durch allgemeine Anwendung der Waage zur Basis der exakten Chemie erhoben. Hingegen wurde das jüngere und viel verborgenere Grundgesetz von der "Konstanz der Energie" erst 1842 von Robert Mayer entdeckt und erst von Helmholtz als Grundlage der exakten Physik hingestellt. Die Einheit beider Grundgesetze, welche noch heute vielfach bestritten wird, drücken viele überzeugte Naturforscher in der Benennung aus: "Gesetz von der Erhaltung der Kraft und des Stoffes". Um einen kürzeren und bequemeren Ausdruck für diesen fundamentalen, aus neun Worten zusammengesetzten Begriff zu haben, habe ich schon vor längerer Zeit vorgeschlagen, dasselbe das "Substanz-Gesetz" oder das "kosmologische Grundgesetz" zu nennen; man könnte es auch das Universal-Gesetz oder Konstanz-Gesetz nennen, oder auch das "Axiom von der Konstanz des Universum"; im Grunde genommen folgt dasselbe nothwendig aus dem Princip der Kausalität (Monismus, S. 14, 39).

Substanz-Begriff.

Der erste Denker, der den reinen monistischen "Substanz-Begriff" in die Wissenschaft einführte und seine fundamentale Bedeutung erkannte, war der große Philosoph Baruch Spinoza; sein Hauptwerk erschien kurz nach seinem frühzeitigen Tode, 1677, gerade hundert Jahre bevor Lavoisier vermittelst des chemischen Hauptinstruments, der Waage, die Konstanz der Materie experimentell bewies. In seiner großartigen pantheistischen Weltanschauung fällt der Begriff der Welt (Universum, Kosmos) zusammen mit dem allumfassenden Begriff Gott; sie ist gleichzeitig der reinste und vernünftigste Monismus, und der geklärteste und abstrakteste Monotheismus. Diese Universal-Substanz oder dieses "göttliche Weltwesen" zeigt uns zwei verschiedene Seiten seines wahren Wesens, zwei fundamentale Attribute; die Materie (der unendliche ausgedehnte Substanz-Stoff) und der Geist (die allumfassende denkende Substanz-Energie). Alle Wandlungen, die später der Substanz-Begriff gemacht hat, kommen bei konsequenter Analyse auf diesen höchsten Grundbegriff von Spinoza zurück, den ich mit Goethe für einen der erhabensten, tiefsten und wahrsten Gedanken aller Zeiten halte. Alle einzelnen Objekte der Welt, die unserer Erkenntniß zugänglich sind, alle individuellen Formen des Daseins, sind nur besondere vergängliche Formen der Substanz, Accidenzen oder Moden. Diese Modi sind körperliche Dinge, materielle Körper, wenn wir sie unter dem Attribut der Ausdehnung (der "Raumerfüllung") betrachten, dagegen Kräfte oder Ideen, wenn wir sie unter dem Attribut des Denkens (der "Energie") betrachten. Auf diese Grundvorstellung von Spinoza kommt auch unser gereinigter Monismus nach 200 Jahren zurück; auch für uns sind Materie (der raumerfüllende Stoff) und Energie (die bewegende Kraft) nur zwei untrennbare Attribute der einen Substanz.

Der kinetische Substanz-Begriff.

(Urprincip der Schwingung oder Vibration.) Unter den verschiedenen Modifikationen, welche der fundamentale Substanz-Begriff in der neueren Physik, in Verbindung mit der herrschenden Atomistik angenommen hat, mögen hier nur zwei extrem divergirende Theorien kurz beleuchtet werden, die kinetische und pyknotische. Beide Substanz-Theorien stimmen darin überein, daß es gelungen ist, alle verschiedenen Naturkräfte auf eine gemeinsame Urkraft zurückzuführen; Schwere und Chemismus, Electricität und Magnetismus, Licht und Wärme u. s. w. sind nur verschiedene Aeußerungsweisen, Kraftformen oder Dynamoden einer einzigen Urkraft (Prodynamis). Diese gemeinsame alleinige Urkraft wird meistens als eine schwingende Bewegung der kleinsten Massentheilchen gedacht, als eine Vibration der Atome. Die Atome selbst sind dem gewöhnlichen "kinetischen Substanz-Begriff" zufolge todte diskrete Körpertheilchen, welche im leeren Raum schwingen und in die Ferne wirken. Der eigentliche Begründer und angesehenste Vertreter dieser kinetischen Substanz-Theorie ist der große Mathematiker Newton, der berühmte Entdecker des Gravitations-Gesetzes. In seinem Hauptwerke "Philosophiae naturalis principia mathematica" (1687) wies er nach, daß im ganzen Weltall ein und dasselbe Grundgesetz der Massenanziehung, dieselbe unveränderliche Gravitations-Konstante herrscht; die Anziehung von je zwei Massentheilchen steht im geraden Verhältniß ihrer Massen und im umgekehrten Verhältniß des Quadrats ihrer Entfernungen. Diese allgemeine "Schwerkraft" bewirkt ebenso die Bewegung des fallenden Apfels und die Fluthwelle des Meeres, wie den Umlauf der Planeten um die Sonne und die kosmischen Bewegungen aller Weltkörper. Das unsterbliche Verdienst von Newton war, dieses Gravitations-Gesetz endgültig festzustellen und dafür eine unanfechtbare mathematische Formel zu finden. Aber diese todte mathematische Formel, auf welche die meisten Naturforscher hier, wie in vielen anderen Fällen, das größte Gewicht legen, giebt uns bloß die quantitative Beweisführung für die Theorie, sie gewährt uns nicht die mindeste Einsicht in das qualitative Wesen der Erscheinungen. Die unvermittelte Fernwirkung, welche Newton aus seinem Graviations-Gesetz ableitete und welche zu einem der wichtigsten und gefährlichesten Dogmen der späteren Physik wurde, giegt uns nicht den mindesten Aufschluß über die eigentlichen Ursachen der Massen-Anziehung; vielmehr versperrt sie uns den Weg zu deren Erkenntniß. Ich vermuthe, daß die fortgesetzten Spekulationen über seine mysteriöse Fernwirkung nicht wenig dazu beigetragen haben, den scharfsinnigen englischen Mathematiker später in das dunkle Labyrinth mystischer Träumerei und theistischen Aberglaubens zu verführen, in dem er die letzten 34 Jahre seines Lebens wandelte; er stellte zuletzt sogar metaphysische Hypothesen über die Wahrsagerei des Propheten Daniel auf und über die widersinnigen Phantastereien der Offenbarung Sankt Johannis!

Der pyknotische Substanz-Begriff

(Ursprinzip der Verdichtung oder Pyknose). In principiellem Gegensatze zu der herrschenden Vibrations-Lehre oder der kinetischen Substanz-Theorie steht die moderne Densations-Lehre oder die pyknotische Substanz-Theorie. Dieselbe ist am eingehendsten von J. G. Vogt (in Leipzig) begründet, in seinem ideenreichen Werke über "Das Wesen der Electricität und des Magnetismus auf Grund eines einheitlichen Substanz-Begriffes" (1891). Vogt nimmt als die gemeinsame Urkraft des Weltalls, als die universelle Prodynamis, nicht die Schwingung oder Vibration der bewegten Massentheilchen im leeren Raume an, sondern die individuelle Verdichtung oder Densation einer einheitlichen Substanz, welche den ganzen unendlichen Weltraum kontinuirlich, d. h. lückenlos und ununterbrochen, erfüllt; die einzige derselben innewohnende mechanische Wirkungsform (Agens) besteht darin, daß durch das Verdichtungs- oder Kontraktions-Bestreben unendlich kleine Verdichtungs-Centren entstehen, die zwar ihren Dichtegrad und damit ihr Volumen ändern können, aber an und für sich beständig sind. Diese individuellen kleinsten Theilchen der universalen Substanz, die Verdichtungs-Centren, die man Pyknatome nennen könnte, entsprechen im allgemeinen den Uratomen oder letzten diskreten Massentheilchen des kinetischen Substanz-Begriffes; sie unterscheiden sich aber sehr wesentlich dadurch, daß sie Empfindung und Streben (oder Willensbewegung einfachster Art) besitzen, also im gewissen Sinne beseelt sind - ein Anklang an des alten Empedokles Lehre vom "Lieben und Hassen der Elemente". Auch schweben diese "beseelten Atome" nicht im leeren Raume, sondern in der kontinuirlichen, äußerst dünnen Zwischensubstanz, welche den nicht verdichteten Theil der Ursubstanz darstellt. Durch gewisse "Konstellationen", Störungszentren oder Deformirungs-Systeme", treten große Massen von Verdichtungscentren rasch in gewaltiger Ausdehnung zusammen und erlangen ein Uebergewicht über die umlagernden Massen. Dadurch scheidet oder differenzirt sich die Substanz, die im ursprünglichen Ruhezustand überall die gleiche mittlere Dichte besitzt, in zwei Hauptbestandteile: die Störungs-Centren, welche die mittlere Dichte durch Pyknose positiv überschreiten, bilden die wägbaren Massen der Weltkörper (die sogenannte "ponderable Materie"); die dünnere Zwischensubstanz dagegen, welche zwischen ihnen den Raum erfüllt und die mittlere Dichte negativ überschreitet, bildet den Aether (die "imponderable Materie"). Die Folge dieser Scheidung zwischen Masse und Aether ist ein ununterbrochener Kampf dieser beiden antagonistischen Substanz-Theile; und dieser Kampf ist die Ursache aller physikalischen Processe Die positive Masse, der Träger des Lustgefühls, strebt immer mehr, den begonnenen Verdichtungs-Proceß zu vollenden, und sammelt die höchsten Werthe potentieller Energie; der negative Aether umgekehrt sträubt sich in gleichem Maße gegen jede weitere Steigerung seiner Spannung und des damit verknüpften Unlustgefühls; er sammelt die höchsten Werthe aktueller Energie.

Es würde hier viel zu weit führen, wollte ich näher auf die sinnreiche Verdichtungs-Theorie von J. G. Vogt eingehen; der Leser, der sich dafür interessirt, muß die Vorstellungs-Gruppen, deren Schwierigkeit im Gegenstande selbst liegt, in dem klar geschriebenen, populären Auszug aus dem zweiten Bande des citirten Werkes zu erfassen suchen. Ich selbst bin zu wenig mit Physik und Mathematik vertraut, um die Licht- und Schattenseiten derselben kritisch sondern zu können; ich glaube jedoch, daß dieser pyknotische Substanz-Begriff für jeden Biologen, der von der Einheit der Natur überzeugt ist, in mancher Hinsicht annehmbarer erscheint, als der gegenwärtig in der Physik herrschende kinetische Substanz-Begriff. Ein Mißverständniß kann leicht dadurch entstehen, daß Vogt seinen Weltproceß der Verdichtung in principiellen Gegensatz stellt zu dem allgemeinen Vorgang der Bewegung - er meint damit die Schwingung im Sinne der modernen Physik. Auch seine hypothetische "Verdichtung" (Pyknosis) ist ebenso durch Bewegung des Substanz bedingt, wie die hypothetische "Schwingung" (Vibration); nur ist die Art der Bewegung und das Verhalten der bewegten Substanz-Theilchen nach der ersteren Hypothese ganz anders als nach der letzteren. Uebrigens wird durch die Verdichtungslehre keineswegs die gesammte Schwingungslehre beseitigt, sondern nur ein wichtiger Theil derselben.

Die moderne Physik hält gegenwärtig zum größten Theile noch zäh an der älteren Vibrations-Theorie fest, an der Vorstellung der unvermittelten Fernwirkung und der ewigen Schwingung todter Atome im leeren Raume; sie verwirft daher die Pyknose-Theorie. Wenn diese letztere nun auch keineswegs vollendet sein mag; und wenn Vogt«s originelle Spekulationen auch mehrfach irre gehen, so erblicke ich doch ein großes Verdienst dieses Naturphilosophen darin, daß er jene unhaltbaren Principien der kinetischen Substanz-Theorien eliminirt. Für meine eigene Vorstellung, wie für diejenige vieler anderer denkender Naturforscher, muß ich die folgenden, in Vogt«s pyknotischer Substanz-Theorie enthaltenen Grundsätze als unentbehrlich für eine wirklich monistische, das ganze organische und anorganische Naturgebiet umfassende Substanz-Ansicht hinstellen: I. Die beiden Hauptbestandtheile der Substanz, Masse und Aether, sind nicht todt und nur durch äußere Kräfte beweglich, sondern sie besitzen Empfindung und Willen (natürlich niedersten Grades!); sie empfinden Lust bei Verdichtung, Unlust bei Spannung; sie streben nach der ersteren und kämpfen gegen letztere. II. Es giebt keinen leeren Raum; der Theil des unendlichen Raumes, welchen nicht die Massen-Atome einnehmen, ist von Aether erfüllt. III. Es giebt keine unvermittelte Fernwirkung durch den leeren Raum; alle Wirkung der Körpermassen auf einander ist entweder durch unmittelbare Berührung, durch Kontakt der Massen bedingt, oder sie wird durch den Aether vermittelt.

Der dualistische Substanz-Begriff.

Die beiden Substanz-Theorien, die wir vorstehend einander gegenüber gestellt haben, sind beide im Princip monistisch, da der Gegensatz zwischen den beiden Hauptbestandtheilen der Substanz, Masse und Aether, kein ursprünglicher ist; auch muß eine beständige direkte Berührung und Wechselwirkung beider Substanzen auf einander angenommen werden. Ganz anders verhält es sich mit den dualistischen Substanz-Theorien, welche noch heute in der idealistischen und spiritualistischen Philosophie herrschend sind; diese werden auch von der einflußreichen Theologie gestützt, soweit sich dieselbe überhaupt auf solche metaphysische Spekulationen einläßt. Hiernach sind zwei ganz verschiedene Hauptbestandtheile der Substanz zu unterschieden, materielle und immaterielle. Die materielle Substanz bildet die "Körperwelt", deren Erforschung Objekt der Physik und Chemie ist; hier allein gilt das Gesetz von der Erhaltung der Materie und Energie (soweit man nicht überhaupt an deren "Erschaffung aus Nichts" und andere Wunder glaubt!). Die immaterielle Substanz hingegen bildet die "Geisterwelt", in welcher jenes Gesetz nicht gilt; hier gelten die Gesetze der Physik und Chemie entweder gar nicht, oder sie sind der "Lebenskraft" unterworfen, oder dem "freien Willen", oder der "göttlichen Allmacht", oder anderen solchen Gespenstern, von denen die kritische Wissenschaft nichts weiß. Eigentlich bedürfen diese principiellen Irrthümer heute keiner Widerlegung mehr; denn die Erfahrung hat uns bis auf den heutigen Tag keine einzige immaterielle Substanz kennen gelehrt, keine einzige Kraft, welche nicht an den Stoff gebunden ist, keine einzige Form der Energie, welche nicht durch Bewegungen der Materie vermittelt wird, sie es nun der Masse oder des Aethers oder beider Bestandtheile. Auch die komplicirtesten und vollkommensten Energie-Formen, welche wir kennen, das Seelenleben höherer Thiere, Denken und Vernunft der Menschen, beruhen auf materiellen Vorgängen, auf Veränderungen im Neuroplasma der Ganglienzellen; sie sind ohne dieselben nicht denkbar. Daß die physiologische Hypothese einer besonderen immateriellen "Seelen-Substanz" unhaltbar ist, habe ich schon früher nachgewiesen (im elften Kapitel).

Masse oder Körperstoff

(Ponderable Materie). Die Erkenntniß dieses wägbaren Theiles der Materie ist in erster Linie Gegenstand der Chemie. Allbekannt sind die erstaunlichen theoretischen Fortschritte, welche diese Wissenschaft im Laufe des neunzehnten Jahrhunderts gemacht hat, und der ungeheure Einfluß, welchen sie auf alle Seiten des praktischen Kultur-Lebens gewonnen hat. Wir begnügen uns daher mit wenigen Bemerkungen über die wichtigsten principiellen Fragen von der Natur der Masse. Der analytischen Chemie ist es bekanntlich gelungen, alle die unzähligen vorschiedenen Naturkörper durch Zerlegung auf eine geringe Anzahl von Urstoffen oder Elementen zurückuführen, d. h. auf einfache Körper, welche nicht weiter zerlegt werden können. Die Zahl dieser Elemente beträgt ungefähr siebenzig. Nur der kleinere Theil derselben (eigentlich nur vierzehn) ist allgemein auf der Erde verbreitet und von höher Bedeutung; die größere Hälfte besteht aus seltenen und weniger wichtigen Elementen (meistens Metallen). Die gruppenweise Verwandtschaft dieser Elemente und die merkwürdigen Beziehungen ihrer Atomgewichte, welche Lothar Meyer und Mendelejeff in ihrem "Periodischen System der Elemente" nachgewiesen haben, machen es sehr wahrscheinlich, daß dieselben keine absoluten Species der Masse, keine ewig unveränderlichen Größen sind. Man hat nach jenem System die 70 Elemente auf acht Hauptgruppen vertheilt und innerhalb derselben nach der Größe ihrer Atomgewichte geordnet, so daß die chemisch ähnlichen Elemente Familien-Reihen bilden. Die gruppenweisen Beziehungen im natürlichen System der Elemente erinnern einerseits an ähnliche Verhältnisse der mannigfach zusammengesetzten Kohlenstoff-Verbindungen, andererseits an die Beziehungn paralleler Gruppen, wie sie im natürlichen System der Thier- und Pflanzen-Arten sich zeigen. Wie nun in diesen letzteren Fällen die "Verwandtschaft" der ähnlichen Gestalten auf Abstammung von gemeinsamen einfachen Stammformen beruht, so ist es sehr wahrscheinlich, daß auch dasselbe für die Familien und Ordnungen der Elemente gilt. Wir dürfen daher annehmen, daß die jetzigen "empirischen Elemente" keine wirklich einfachen und unveränderlichen "Species der Masse" sind, sondern ursprünglich zusammengesetzt aus gleichartigen einfachen Uratomen in verschiedener Zahl und Lagerung. Neuerdings haben die Spekulationen von Gustav Wendt , Wilhelm Preyer, W. Crookes u. A. gezeigt, in welcher Weise man sich die Sonderung der Elemente aus einem einzigen ursprünglichen Urstoff, dem Prothyl, etwa vorstellen kann.

Atome und Elemente.

Die moderne Atomlehre, wie sie heute der Chemie als unentbehrliches Hülfsmittel erscheint, ist wohl zu unterscheiden von dem alten philosophischen Atomismus, wie er schon vor mehr als zweitausend Jahren von hervorragenden monistischen Philosophen des Alterthums gelehrt wurde, von Leukippos, Demokritos und Lucretius; später fand derselbe eine weitere und manngfach verschiedene Ausbildung durch Descartes, Hobbes, Leibniz und andere hervorragende Philosophen. Eine bestimmte annehmbare Fassung und empirische Begründung fand aber der moderne Atomismus erst 1808 durch den englischen Chemiker Dalton, welcher das "Gesetz der einfachen und multiplen Proportionen" bei der Bildung chemischer Verbindungen aufstellte. Er bestimmte zuerst die Atomgewichte der einzelnen Elemente und schuf damit die unerschütterliche, exakte Basis, auf welcher die neueren chemischen Theorien ruhen; diese sind sämmtlich atomistisch, insofern sie die Elemente aus gleichartigen, kleinsten, diskreten Theilchen zusammengesetzt annehmen, die nicht weiter zerlegt werden können. Dabei bleibt die Frage nach dem eigentlichen Wesen der Atome, ihrer Gestalt, Größe, Beseelung u. s. w. ganz außer Spiele; denn diese Qualitäten derselben sind hypothetisch; empirisch dagegen ist der Chemismus der Atome oder ihre "chemische Affinität", d. h. die konstante Proportion, in der sie sich mit den Atomen anderer Elemente verbinden (Monismus S. 17, 41).

Wahlverwandtschaft der Elemente.

Das verschiedene Verhalten der einzelnen Elemente gegen einander, das die Chemie als "Affinität oder Verwandtschaft" bezeichnet, ist einer der niedrigsten Eigenschaften der Masse und äußert sich in den verschiedenen Mengen-Verhältnissen oder Proportionen, in denen ihre Verbindung stattfindet, und in der Intensität, mit der dieselbe erfolgt. Alle Grade der Zuneigung, von der vollkommenen Gleichgültigkeit bis zur heftigsten Leidenschaft, finden sich in dem chemischen Verhalten der verschiedenen Elemente gegen einander ebenso wieder, wie sie in der Psychologie des Menschen und namentlich in der Zuneigung der beiden Geschlechter die größte Rolle spielen. Goethe hat bekanntlich in seinem klassichen Roman "Die Wahlverwandtschaften" die Verhältnisse der Liebes-Paare in eine Reihe gestellt mit der gleichnamigen Erscheinung bei Bildung chemischer Verbindungen. Die unwiderstehliche Leidenschaft, welche Eduard zu der sympathischen Ottilie, Paris zu Helena hinzieht und alle Hindernisse der Vernunft und Moral überwindet, ist dieselbe mächtige "unbewußte" Attraktions-Kraft, welche bei der Befruchtung der Thier- und Pflanzen-Eier den lebendigen Samenfaden zum Eindringen in die Eizelle (aber auch zur Aepfelsäure!) antreibt; dieselbe heftige Bewegung, durch welche zwei Atome Wasserstoff und ein Atom Sauerstoff sich zur Bildung von einem Molekel Wasser vereinigen. Diese principielle Einheit der Wahlverwandtschaften in der ganzen Natur, vom einfachsten chemischen Proceß bis zu dem verwickelsten Liebesroman hinauf, hat schon der große griechische Naturphilosoph Empedokles im fünften Jahrhundert v. Chr. erkannt, in seiner Lehre vom "Lieben und Hassen der Elemente". Sie findet ihre empirische Bestätigung durch die interessanten Fortschritte der Cellular-Psychologie, deren hohe Bedeutung wir erst in den letzten dreißig Jahren gewürdigt haben. Wir gründen darauf unsere Ueberzeugung, daß auch schon den Atomen die einfachste Form der Empfindung und des Willens innewohnt - oder besser gesagt: der Fühlung (Aesthesis) und der Strebung (Tropesis) -, also eine universale "Seele" von primitivster Art (- noch ohne Bewußtsein! -). Dasselbe gilt aber auch von den Molekeln oder Massentheilchen, welche aus zwei oder mehreren Atomen sich zusammensetzen. Aus der weiteren Verbindung verschiedener solcher Molekeln (oder Moleküle) entstehen dann die einfachen und weiterhin die zusammengesetzten chemischen Verbindungen, in deren Aktion sich dasselbe Spiel in verwickelterer Form wiederholt.

Aether

(imponderable Materie). Die Erkenntniß dieses unwägbaren Theiles der Materie ist in erster Linie Gegenstand der Physik. Nachdem man schon lange die Existenz eines äußerst feinen, den Raum außerhalb der Masse erfüllenden Mediums angenommen und diesen "Aether" zur Erklärung verschiedener Erscheinungen (vor Allem des Lichtes) verwendet hatte, ist uns die nähere Bekanntschaft mit diesem wunderbaren Stoffe erst in der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts gelungen, und zwar im Zusammenhang mit den erstaunlichen empirischen Entdeckungen auf dem Gebiete der Elektrizität, mit ihrer experimentellen Erkenntniß, ihrem theoretischen Verständniß und ihrer praktischen Verwerthung. Vor Allem sind hier bahnbrechend geworden die berühmten Untersuchungen von Heinrich Hertz in Bonn (1888); der frühzeitige Tod dieses genialen jungen Physikers, der das Größte zu erreichen versprach, ist nicht genug zu beklagen; er gehört ebenso wie der allzu frühe Tod von Spinoza, von Raffael, von Schubert und vielen anderen genialen Jünglingen zu jenen brutalen Thatsachen der menschlichen Geschichte, welche für sich allein schon den unhaltbaren Mythus von einer "weisen Vorsehung" und von einem "allliebenden Vater im Himmel" gründlich widerlegen.

Die Existenz des Aethers

oder "Weltäthers" (Kosmoäthers) als realer Materie ist heute (seit 15 Jahren) eine positive Thatsache. Man kann allerdings auch heute noch vielfach lesen, daß der Aether eine "bloße Hypothese" sei; diese irrthümliche Behauptung wird nicht nur von unkundigen Philosophen und populären Schriftstellern wiederholt, sondern auch von einzelnen "vorsichtigen exakten Physikern". Mit demselben Rechte müßte man aber auch die Existenz der ponderabilen Materie, der Masse leugnen. Freilich giebt es heute noch Metaphysiker, die auch dieses Kunststück zu Stande bringen, und deren höchste Weisheit darin besteht, die Realität der Außenwelt zu leugnen oder doch zu bezweifeln; nach ihnen existirt eigentlich nur ein einziges Reales Wesen, nämlich ihre eigene theure Person, oder vielmehr deren unsterbliche Seele. Neuerdings haben sogar einige horvorragende Physiologen diesen ultra-idealistischen Standpunkt acceptirt, der schon in der Metaphysik von Descartes, Berkeley, Fichte u. A. ausgebildet war; ihr "Psychomonismus" behauptet: "Es existirt nur eins, und das ist meine Psyche." Uns scheint diese kühne spiritualistische Behauptung auf einer irrthümlichen Schlußfolgerung aus der richtigen kritischen Erkenntniß Kant«s zu beruhen, daß wir die umgebende Außenwelt nur in derjenigen Erscheinung erkennen können, welche uns durch unsere menschlichen Erkenntniß-Organe zugänglich ist, durch das Gehirn und die Sinnesorgane. Wenn wir aber auch durch deren Funktion nur eine unvollkommene und beschränkte Kenntniß von der Körperwelt erlangen können, so dürfen wir daraus nicht das Recht entnehmen, ihre Existenz zu leugnen. In meiner Vorstellung wenigstens existirt der Aether ebenso sicher wie die Masse; ebenso sicher wie ich selbst, wenn ich jetzt darüber nachdenke und schreibe. Wie wir uns von der Realität der ponderablen Materie durch Maß und Gewicht, durch chemische und mechanische Experimente überzeugen, so von derjenigen des imponderablen Aethers durch die optischen und elektrischen Erfahrungen und Versuche.

Wesen des Aethers.

Wenn nun auch heute von fast allen Physikern die reale Existenz des Aethers als eine positive Thatsache betrachtet wird, und wenn uns auch viele Wirkungen dieser wunderbaren Materie durch unzählige Erfahrungen, besonders optische und elektrische Versuche, genau bekannt sind, so ist es doch bisher nicht gelungen, Klarheit und Sicherheit über ihr eigentliches Wesen zu gewinnen. Vielmehr gehen auch heute noch die Ansichten der hervorragendsten Physiker, die sie speciell studirt haben, sehr weit auseinander; ja sie widersprechen sich sogar in den wichtigsten Punkten. Es steht daher Jedem frei, sich bei der Wahl zwischen den widersprechenden Hypothesen seine eigene Meinung zu bilden, entsprechend dem Grade seiner Sachkenntniß und Urtheilskraft (die ja beide immer unvollkommen bleiben!). Die Meinung, die ich persönlich (als bloßer Dilettant auf diesem Gebiete!) mir durch reifliches Nachdenken gebildet habe, fasse ich in folgenden acht Sätzen zusammen:

I. Der Aether erfüllt als eine kontinuirliche Materie den ganzen Weltraum, soweit dieser nicht von der Masse (oder der ponderablen Materie) eingenommen ist; er füllt auch alle Zwischenräume zwischen den Atomen der letzteren vollständig aus. II. Der Aether besitzt wahrscheinlich noch keinen Chemismus und ist noch nicht aus Atomen zusammengesetzt wie die Masse; wenn man annimmt, derselbe sei aus äußerst kleinen, gleichartigen Atomen zusammengesetzt (z. B. untheilbaren Aetherkugeln von gleicher Größe), so muß man weiterhin auch annehmen, daß zwischen denselben noch etwas Anderes existirt, entweder der "leere Raum" oder ein drittes (ganz unbekanntes) Medium, ein völlig hypothetischer "Interäther"; bei der Frage nach dessen Wesen würde sich dann dieselbe Schwierigkeit, wie beim Aether erheben (in infinitum!). III. Da die Annahme des leeren Raumes und der unvermittelten Fernwirkung beim jetzigen Stande unseres Naturkennens kaum mehr möglich ist (wenigstens zu keiner klaren monistischen Vorstellung führt), so nehme ich eine eigenthümliche Struktur des Aethers an, die nicht atomistisch ist, wie diejenige der ponderablen Masse, und die man vorläufig (ohne weitere Bestimmung) als ätherische oder dynamische Struktur bezeichnen kann. IV. Der Aggregat-Zustand des Aethers ist, dieser Hypothese zufolge, ebenfalls eigentümlich und von demjenigen der Masse verschieden; er ist weder gasförmig wie einige, noch fest, wie andere Physiker annehmen; die beste Vorstellung gewinnt man vielleicht durch den Vergleich mit einer äußerst feinen elastischen und leichten Gallerte. V. Der Aether ist imponderable Materie in dem Sinne, daß wir kein Mittel besitzen, sein Gewicht experimentell zu bestimmen; wenn er wirklich Gewicht besitzt, was sehr wahrscheinlich ist, so ist dasselbe äußerst gering und für unsere feinsten Waagen unwägbar; einige Physiker haben versucht, aus der Energie der Lichtwellen das Gewicht des Aethers zu berechnen; sie haben gefunden, daß es etwa 15 Tiillionen mal geringer sei als das der atmosphärischen Luft; immerhin soll eine Aetherkugel vom Volumen unserer Erde mindestens 250 Pfund wiegen. (?) VI. Der ätherische Aggregat-Zustand kann wahrscheinlich (der Pyknose-Theorie entsprechend) unter bestimmten Bedingungen durch fortschreitende Verdichtung in den gasförmigen Zustand der Masse übergehen, ebenso wie dieser letztere durch Abkühlung in den flüssigen und weiterhin in den festen übergeht. VII. Diese Aggregat-Zustände der Materie ordnen sich demnach (was für die monistische Kosmogenie sehr wichtig ist) in eine genetische, kontinuirliche Reihe; wir unterscheiden fünf Stufen derselben: 1. der ätherische, 2. der gasförmige, 3. der flüssige, 4. der fest-flüssige (im lebenden Plasma), 5. der feste Zustand. VIII. Der Aether ist ebenso unendlich und unermeßlich wie der Raum, den er ausfüllt; er befindet sich ewig in ununterbrochender Bewegung; dieser eigenthümliche Aether-Motus (gleichviel, ob als Schwingung, Spannung, Verdichtung u. s. w. aufgefaßt), in Wechselwirkung mit den Massen-Bewegungen (Gravitation), ist die letzte Ursache aller Erscheinungen. (Thesen von 1899.)

Aether und Masse.

"Die gewaltige Hauptfrage nach dem Wesen des Aethers", wie sie Hertz mit Recht nennt, schließt auch diejenige seiner Beziehungen zur Masse ein; denn beide Hauptbestandtheile der Materie befinden sich nicht nur überall in innigster äußerer Berührung, sondern auch in ewiger dynamischer Wechselwirkung. Man kann die allgemeinsten Natur-Erscheinungen, welche die Physik als Naturkräfte oder als "Funktionen der Materie" unterscheidet, in zwei Gruppen theilen, von denen die eine vorzugsweise (aber nicht ausschließlich) Funktion des Aethers, die andere ebenso Funktion der Masse ist, etwa nach folgendem Schema, das ich (1892) im "Monismus" aufgestellt habe (S. 18, 42):

Welt (=Natur=Substanz=Kosmos=Universum=Gott).

I. Aether (=Imponderabile, gespannte Substanz).

II. Masse (=Ponderabile, verdichtete Substanz).

1. Aggregat-Zustand: ätherisch (weder gasförmig, noch flüssig, noch fest).

1. Aggregat-Zustand: nicht ätherisch (sondern gasförmig, flüssig oder fest).

2. Struktur: nicht atomistisch, kontinuirlich, nicht aus diskreten Theilchen (Atomen) zusammengesetzt.

2. Struktur: atomistisch, diskontinuirliche, aus kleinsten diskreten Theilchen (Atomen) zusammengesetzt.

3. Hauptfunktionen: Licht, Strahlwärme, Elektrizität, Magnetismus.

3. Hauptfunktionen: Schwere, Trägheit, Massenwärme, Chemismus.

Die beiden Gruppen von Funktionen der Materie, welche in diesem Schema gegenübergestellt sind, können gewissermaßen als Folgen der ersten Arbeitstheilung des Stoffes betrachtet werden, als primäre Ergonomie der Materie. Diese Unterscheidung bedeutet aber keine absolute Trennung der beiden entgegengesetzten Gruppen; vielmehr bleiben beide trotzdem vereinigt, behalten ihren Zusammenhang und stehen überall in beständiger Wechselwirkung. Wie bekannt, sind optische und elektrische Vorgänge des Aethers eng verknüpft mit mechanischen und chemischen Veränderungen der Masse; die strahlende Wärme des ersteren geht direkt über in die Massenwärme oder mechanische Wärme der letzteren; die Gravitation kann nicht wirken, ohne daß der Aether die Massen-Anziehung der getrennten Atome vermittelt, da wir keine Fernwirkung annehmen können. Die Verwandlung einer Energie-Form in die andere, wie sie das Gesetz von der Erhaltung der Kraft nachweist, bestätigt zugleich die beständige Wechselwirkung zwischen den beiden Haupttheilen der Substanz, Aether und Masse.

Kraft und Energie.

Das große Grundgesetz der Natur, welches wir als Substanzgesetz an die Spitze aller physikalischen Betrachtungen stellen, wurde ursprünglich von Robert Mayer, der es aufstellte (1842), und von Helmholtz, der es ausführte (1847), als das Gesetz von der Erhaltung der Kraft bezeichnet. Schon 10 Jahre früher hatte ein anderer deutscher Naturforscher, Friedrich Mohr in Bonn, die wesentlichen Grundgedanken desselben klar entwickelt (1837). Später wurde der alte Begriff der Kraft durch die moderne Physik von demjenigen der Energie getrennt, der ursprünglich gleichbedeutend war. Demnach wird jetzt dasselbe Gesetz gewöhnlich als das "Gesetz von der Konstanz der Energie" bezeichnet. Für die allgemeine Betrachtung desselben, mit der ich mich hier begnügen muß, und für das große Princip von der "Erhaltung der Substanz" kommt dieser feine Unterschied nicht in Betracht. Der Leser, der sich dafür interessirt, findet eine sehr klare Auseinandersetzung darüber z. B. in dem ausgezeichneten Aufsatz des englischen Physikers Tyndall über "das Grundgesetz der Natur" (Braunschweig 1898). Dort ist auch eingehend die universale Bedeutung dieses kosmologischen Grundgesetzes erläutert, sowie seine Anwendung auf die wichtigsten Probleme sehr verschiedener Gebiete. Wir begnügen uns hier mit der wichtigen Thatsache, daß gegenwärtig das "Energie-Princip" und die damit verknüpfte Ueberzeugung von der Einheit der Naturkräfte, von ihrem gemeinsamen Ursprung, durch alle kompetenten Physiker anerkannt und als der wichtigste Fortschritt der Physik im 19. Jahrhundert gewürdigt wird. Wir wissen jetzt, daß Wärme ebenso gut eine Form der Bewegung ist, wie Schall, Elektrizität ebenso wie Licht, Chemismus ebenso wie Magnetismus. Wir können durch geeignete Vorrichtungen eine dieser Kräfte in die andere verwandeln, und überzeugen uns dabei durch die genaueste Messung, daß von ihrer Gesammt-Summe niemals das kleinste Theilchen verloren geht.

Spannkraft und lebendige Kraft

(potentielle und aktuelle Energie). Die Gesammtsumme der Kraft oder Energie im Weltall bleibt beständig, gleichviel weilche Veränderungen uns erscheinen; sie ist ewig und unendlich, wie die Materie, an die sie untrennbar gebunden ist. Das ganze Spiel der Natur beruht auf dem Wechsel von scheinbarer Ruhe und Bewegung; die ruhenden Körper besitzen aber ebenso eine unverlierbare Größe von Kraft, wie die bewegten. Bei der Bewegung selbst verwandelt sich die Spannkraft der ersteren in die lebendige Kraft der letzteren. "Indem das Princip der Erhaltung der Kraft sowohl die Abstoßung als die Anziehung in Betracht zieht, behauptet es, daß der mechanische Werth der Spannkräfte und der lebendigen Kräfte in der materiellen Welt eine konstante Quantität ist. Kurz gesagt, zerfällt der Kraftbesitz des Universums in zwei Theile, die nach einem bestimmten Werthverhältniß in einander verwandelt werden können. Die Verminderung des einen bringt die Vergrößerung des anderen mit sich; der Gesammtwerth seines Besitzes bleibt jedoch unverändert." Die Spannkraft oder die potentielle Energie und die lebendige Kraft oder die aktuelle Energie werden beständig in einander umgewandelt, ohne daß die unendliche Gesammtsumme der Kraft im unendlichen Weltall jemals den geringsten Verlust erleidet.

Einheit der Naturkräfte.

Nachdem die moderne Physik das Substanz-Gesetz zunächst für die einfacheren Beziehungen der anorganischen Körper festgestellt hatte, wies die Physiologie dessen allgemeine Geltung auch im Gesammtbereiche der organischen Natur nach. Sie zeigte, daß alle Lebensthätigkeiten der Organismen - ohne Ausnahme! - ebenso auf einem beständgien "Kraftwechsel" und einem damit verknüpften "Stoffwechsel" beruhen wie die einfachsten Vorgänge in der sogenannten "leblosen Natur". Nicht nur das Wachstum und die Ernährung der Pflanzen und Thiere, sondern auch die Funktionen ihrer Empfindung und Bewegung, ihrer Sinnesthätigkeit und ihres Seelenlebens beruhen auf der Verwandlung von Spannkraft in lebendige Kraft und umgekehrt. Dieses höchste Gesetz beherrscht auch diejenigen vollkommensten Leistungen des Nervensystems, welche man als das "Geistesleben" bezeichnet. Somit gilt dasselbe auch für die gesammte Psychologie.

Allmacht des Substanz-Gesetzes.

Unsere feste monistische Ueberzeugung, daß das kosmologische Grundgesetz allgemeine Geltung für die gesammte Natur besitzt, nimmt die höchste Bedeutung in Anspruch. Denn dadurch wird nicht nur positiv die principielle Einheit des Kosmos und der kausale Zusammenhang aller uns erkennbaren Erscheinungen beweisen, sondern es wird dadurch zugleich negativ der höchste intellektuelle Fortschritt erzielt, der definitive Sturz der drei Central-Dogmen der Metaphysik: "Gott, Freiheit und Insterblichkeit". Indem das Substanz-Gesetz überall mechanische Ursachen in den Erscheinungen nachweist, verknüpft es sich mit dem "allgemeinen Kausalgesetz".


Inhalt, Kapitel 1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8, 9, 10, 11, 12, 13, 14, 15, 16, 17, 18, 19, 20, Schlußwort, Anmerkungen, Nachwort
Copyright 1997. Kurt Stüber