Monistische Studien über den Kampf zwischen der wissenschaftlichen Erfahrung und der christlichen Offenbarung. Die vier Perioden in der historischen Metamorphose der christlichen Religion. Vernunft und Dogma.
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Inhalt: Wachsender Gegensatz zwischen moderner Naturerkenntniß und christlicher Weltanschauung. Der alte und der neue Glaube. Vertheidigung der vernünftigen Wissenschaft gegen die Angriffe des christlichen Aberglaubens, vor Allem gegen den Papismus. Vier Perioden in der Entwickelungsgeschichte des Christenthums. I. Das Urchristenthum (drei Jahrhunderte). Die vier kanonischen Evangelien. Die Episteln Pauli. II. Der Papismus (das ultramontane Christenthum). Rückschritt der Kultur im Mittelalter. Ultramontane Geschichtsfälschung. Papismus und Wissenschaft. Papismus und Christenthum. III. Die Reformation. Luther und Calvin. Das Jahrhundert der Aufklärung. IV. Das Scheinchristenthum des 19. Jahrhunderts. Die Kriegserklärung des Papstes gegen die Vernunft und Wissenschaft: I. Unfehlbarkeit. II. Encyklika. III. Unbefleckte Empfängniß.
Zu den hervorragenden Charakterzügen des scheidenden 19. Jahrhunderts gehört die wachsende Schärfe des Gegensatzes zwischen Wissenschaft und Christenthum. Das ist ganz natürlich und nothwendig; denn in demselben Maße, in welchem die siegreichen Fortschritte der modernen Naturerkenntniß alle wissenschaftlichen Eroberungen früherer Jahrhunderte überflügeln, ist zugleich die Unhaltbarkeit aller jener mystischen Weltanschauungen offenbar geworden, welche die Vernunft unter das Joch der sogenannten "Offenbarung" beugen wollen; und dazu gehört auch die christliche Religion. Je sicherer durch die moderne Astronomie, Physik und Chemie die Alleinherrschaft unbeugsamer Naturgesetze im Universum, durch die moderne Botanik, Zoologie und Anthropologie die Gültigkeit derselben Gesetze im Gesammtbereiche der organischen Natur nachgewiesen ist, desto heftiger sträubt sich die christliche Religion, im Vereine mit der dualistischen Metaphysik, die Geltung dieser Naturgesetze im Bereiche des sogenannten "Geisteslebens" anzuerkennen, d. h. in einem Theilgebiete der Gehirn-Physiologie.
Diesen offenkundigen und unversöhnlichen Gegensatz zwischen der modernen wissenschaftlichen und der überlebten christlichen Weltanschauung hat Niemand klarer, muthiger und unwiderleglicher bewiesen als der größte Theologe des 19. Jahrhunderts, David Friedrich Strauß. Sein letztes Bekenntniß: "Der alte und der neue Glaube" (1872, vierzehnte Auflage 1900) ist der allgemein gültige Ausdruck der ehrlichen Ueberzeugung aller derjenigen Gebildeten der Gegenwart, welche den unvermeidlichen Konflikt zwischen den anerzogenen, herrschenden Glaubenslehren des Christenthums und den einleuchtenden, vernunftgemäßen Offenbarungen der modernen Naturwissenschaft einsehen; aller derjenigen, welche den Muth finden, das Recht der Vernunft gegenüber den Ansprüchen des Aberglaubens zu wahren, und welche das philosophische Bedürfniß nach einer einheitlichen Naturanschauung empfinden. Strauß hat als ehrlicher und muthiger Freidenker weit besser, als ich es vermag, die wichtigsten Gegensätze zwischen "altem und neuem Glauben" klargelegt. Die volle Unversöhnlichkeit des Entscheidungskampfes zwischen beiden - "auf Tod und Leben" - hat von philosophischer Seite namentlich Eduard Hartmann nachgewiesen in seiner interessanten Schrift über die Selbstzersetzung des Christenthums (1874).
Unter den zahlreichen Werken, die im Laufe des 19. Jahrhunderts die wissenschaftliche Kritik des Christenthums, seines Wesens und seiner Lehre gefördert haben, sind außerdem namentlich folgende hervorzuheben: David Strauß, Das Leben Jesu für das deutsche Volk. 1864 (XI. Auflage, Bonn 1890). Ludwig Feuerbach, Das Wesen des Christenthums. 1841 (IV. Aufl. 1883). Paul de Regla (P. Desjardin), Jesus von Nazareth, vom wissenschaftlichen, geschichtlichen und gesellschaftlichen Standpunkte dargestellt. Leipzig, 1894. S. E. Verus, Vergleichende Uebersicht der vier Evangelien. Leipzig, 1897.
Wenn man die Werke von Strauß und Feuerbach, sowie die "Geschichte der Konflikte zwischen Religion und Wissenschaft" von John William Draper (1875) gelesen hat, könnte es überflüssig erscheinen, diesem Gegenstande hier ein besonderes Kapitel zu widmen. Trotzdem wird es nützlich und nothwendig sein, hier einen kritischen Blick auf den historischen Verlauf dieses großen Kampfes zu werfen, und zwar deshalb, weil die Angriffe der streitenden Kirche auf die Wissenschaft im Allgemeinen und auf die Entwickelungslehre im Besonderen in neuester Zeit besonders scharf und gefahrdrohend geworden sind. Auch ist leider die geistige Erschlaffung, welche sich neuerdings geltend macht, so wie die steigende Fluth der Reaktion auf politischem, socialem und kirchlichem Gebiete nur zu sehr geeignet, jene Gefahren zu verschärfen. Wollte Jemand daran zweifeln, so braucht er nur die Verhandlungen der christlichen Synoden und des Deutschen Reichstags in den letzten Jahren zu lesen. Im Einklang damit stehen die Bemühungen vieler weltlicher Regierungen, sich mit dem geistlichen Regimente, ihrem natürlichen Todfeinde, auf möglichst gutem Fuß zu setzen, d. h. sich dessen Joche zu unterwerfen; als gemeinsames Ziel schwebt dabei den beiden Verbündeten die Unterdrückung des freien Gedankens und der freien wissenschaftlichen Forschung vor, mit dem Zwecke, sich auf diese Weise am leichtesten die absolute Herrschaft zu sichern.
Wir müssen ausdrücklich betonen, daß es sich hier um nothgedrungene Vertheidigung der Wissenschaft und der Vernunft gegen die scharfen Angriffe der christlichen Kirche und ihrer gewaltigen Heerschaaren handelt, und nicht etwa um unberechtigte Angriffe der ersteren gegen die letzteren. In erster Linie muß dabei unsere Abwehr gegen den Papismus oder Ultramontanismus gerichtet sein; denn diese "allein selig machende" und "für Alle bestimmte" katholische Kirche ist nicht allein weit größer und weit mächtiger als die anderen christlichen Konfessionen, sondern sie besitzt vor Allem den Vorzug einer großartigen, centralisirten Organisation und einer unübertroffenen politischen Schlauheit. Man hört allerdings oft von Naturforschern und von anderen Männern der Wissenschaft die Ansicht äußern, daß der katholische Aberglaube nicht schlimmer sei als die anderen Formen des übernatürlichen Glaubens, und daß diese trügerischen "Gestalten des Glaubens" alle in gleichem Maße die natürlichen Feinde der Vernunft und Wissenschaft seien. Im allgemeinen theoretischen Princip ist diese Behauptung richtig, aber in Bezug auf die praktischen Folgen irrthümlich; den die zielbewußten und rücksichtslosen Angriffe der ultramontanen Kirche auf die Wissenschaft, gestützt auf die Trägheit und Dummheit der Volksmassen, sind vermöge ihrer mächtigen Organisation ungleich schwerer und gefährlicher als diejenigen aller anderen Religionen.
I. Das Urchristenthum umfaßt die ersten drei Jahrhunderte. Christus selbst, der edle, ganz von Menschenliebe erfüllte Prophet und Schwärmer, stand tief unter dem Niveau der klassischen Kulturbildung; er kannte nur jüdische Tradition; er hat selbst keine einzige Zeile hinterlassen. Auch hatte er von dem hohen Zustande der Welterkenntniß, zu dem die griechische Philosophie und Naturforschung schon ein halbes Jahrtausend früher sich erhoben hatten, keine Ahnung. Was wir daher von ihm und von seiner ursprünglichen Lehre wissen, schöpfen wir aus den wichtigsten Schriften des Neuen Testamentes: erstens aus den vier Evangelien und zweitens aus den paulinischen Briefen. Von den vier kanonischen Evangelien wissen wir jetzt, daß sie im Jahre 325 auf dem Koncil zu Nicäa durch 3318 versammelte Bischöfe aus einem Haufen von wiedersprechenden und gefälschten Handschriften der drei ersten Jahrhunderte ausgesucht wurden. Auf die weitere Wahlliste kamen vierzig, auf die engere vier Evangelien. Da sich die streitenden, boshaft sich schmähenden Bischöfe über die Auswahl nicht einigen konnten, beschloß man, die Auswahl durch ein göttliches Wunder bewirken zu lassen, man legte alle Bücher zusammen unter den Altar und betete, daß die unechten, menschlichen Ursprungs, darunter liegen bleiben möchten, die echten von Gott selbst eingegebenen dagegen auf den Tisch des Herrn hinaufhüpfen möchten. Und das geschah wirklich! Die drei synoptischen Evangelien (Matthäus, Markus, Lukas - alle drei nicht von ihnen, sondern nach ihnen niedergeschrieben, im Beginn des zweiten Jahrhunderts -) und das ganz verschiedene vierte Evangelium (angeblich nach Johannes, in der Mitte des zweiten Jahrhunderts abgefaßt), alle vier hüpften auf den Tisch und wurden nunmehr zu echten (tausendfach sich widersprechenden!) Grundlagen der christlichen Glaubenslehre. Sollte ein moderner "Ungläubiger" dieses "Bücherhüpfen" unglaubwürdig finden, so erinnern wir ihn daran, daß das ebenso glaubhafte "Tischrücken" und "Geisterklopfen" noch heute von Millionen "gebildeter" Spiritisten fest geglaubt wird; und Hunderte von Millionen gläubiger Christen sind noch heute ebenso fest von ihrer eigenen Unsterblichkeit, ihrer "Auferstehung nach dem Tode" und von der "Dreieinigkeit Gottes" überzeugt - Dogmen, welcher der reinen Vernunft nicht mehr und nicht weniger widersprechen als jenes wunderbare Springen der Evangelien-Handschriften. Näheres darüber berichtet der englische Theologe Saladin (Stewart Rofs) in seiner scharfsinnigen, neuerdings vielbesprochenen Schrift: "Jehovahs Gesammelte Werke", eine kritische Untersuchung des jüdisch-christlichen Religions-Gebäudes auf Grund der Bibelforschung, Leipzig 1896. (Vergl. Anm. 4, S. 159.).
Nächst den Evangelien sind bekanntlich die wichtigsten Quellen die 13 verschiedenen (größtentheils gefälschten!) Episteln des Apostels Paulus. Die echten paulinischen Briefe (der neueren Kritik zufolge nur vier: an die Römer, die Galater und die beiden Korinther-Briefe) sind sämmtlich früher niedergeschrieben als die vier kanonischen Evangelien und enthalten weniger unglaubliche Wundersagen als die letzteren; auch suchen sie mehr als diese sich mit einer vernünftigen Weltanschauung zu vereinigen. Die aufgeklärte Theologie der Neuzeit konstruirt daher theilweise ihr ideales Christenthum mehr auf Grund der Paulus-Briefe als der Evangelien, so daß man dasselbe geradezu als Paulinismus bezeichnet hat. Die bedeutende Persönlichkeit des Apostels Paulus, der jedenfalls viel mehr Weltkenntniß und praktischen Sinn befaß als Christus, ist für die anthropologische Beurtheilung auch insofern interessant, als der Rassen-Ursprung der beiden großen Religions-Stifter ähnlich sein soll. Auch den beiden Eltern des Paulus soll (neueren historischen Forschungen zufolge) der Vater griechischer, die Mütter jüdischer Rasse sein. Die Mischlinge dieser beiden Rassen, die ursprünglich ja sehr verschieden sind (obgleich beide Zweige derselben Species: Homo mediterraneus!), zeichnen sich oft durch eine glückliche Mischung der Talente und Charakter-Eigenschaften aus, wie auch viele Beispiele aus neuerer Zeit und aus der Gegenwart beweisen. Die plastische orientalische Phantasie der Semiten und die kritische occidentale Vernunft der Arier ergänzen sich oft in vortheilhafter Weise. Das zeigt sich auch in der paulinischen Lehre, die bald größeren Einfluß gewann als die älteste urchristliche Anschauung. Man hat daher auch den Paulinismus mit Recht als eine neue Erscheinung bezeichnet, deren Vater die griechische Philosophie, deren Mutter die jüdische Religion war; eine ähnliche Mischung zeigte der Neuplatonismus.
Ueber die ursprünglichen Lehren und Ziele von Christus - ebenso wie über viele wichtigen Seiten seines Lebens - sind die Ansichten der streitenden Theologen um so mehr auseinander gegangen, je mehr die historische Kritik (Strauß, Feuerbach, Baur, Renan u. s. w.) die zugänglichen Thatsachen in ihr wahres Licht gestellt und unbefangene Schlüsse daraus gezogen hat. Sicher bleibt davon stehen das edelste Princip der allgemeinen Menschenliebe und der daraus folgende höchste Grundsatz der Sittenlehre: die "goldene Regel" - beide übrigens schon Jahrhunderte vor Christus bekannt und geübt (vergl. Kap. 19)! Im Uebrigen waren die Urchristen der ersten Jahrhunderte zum größten Theil reine Kommunisten, zum Theil Social-Demokraten, die nach den heute in Deutschland herrschenden Grundsätzen mit Feuer und Schwert hätten vertilgt werden müssen.
II.
III.
IV.
Wie verhält sich nun zu diesen gewaltigen, alles Frühere weit überbietenden Fortschritten der Naturerkenntniß das moderne Christenthum? Zunächst wurde natugemäß die tiefe Kluft zwischen den beiden Hauptrichtungen desselben immer größer, zwischen dem konservativen
Papismus und dem progressiven Protestantismus. Der ultramontane Klerus (- und im Verein mit ihm die orthodoxe "Evangelische Allianz" -) mußten naturgemäß jenen mächtigen Eroberungen des freien Geistes den heftigsten Widerstand entgegensetzen; sie verharrten unbeirrt auf ihrem strengen Buchstaben-Glauben und verlangten die unbedingte Unterwerfung der Vernunft unter das Dogma. Der liberale Protestantismus hingegen verflüchtigte sich immer mehr zu einem monistischen Pantheismus und strebte nach Versöhnung der beiden entgegengesetzten Principien; er suchte die unvermeidliche Anerkennung der emprisich bewiesenen Naturgesetze und der daraus gefolgerten philosophischen Schlüsse mit einer geläuterten Religionsform zu verbinden, in der freilich von der eigentlichen Glaubenslehre fast nichts mehr übrig blieb. Zwischen beiden Extremen bewegten sich zahlreiche Kompromiß-Versuche; darüber hinaus aber drang in immer weitere Kreise die Ueberzeugung, daß das dogmatische Christenthum überhaupt jeden Boden verloren habe, und daß man nur seinen werthvollen ethischen Inhalt in die neue, monistische Religion des 20. Jahrhunderts hinüberretten könne. Da jedoch gleichzeitig die gegebene äußeren Formen der herrschenden christlichen Religion fortbestanden, da sie sogar trotz der fortgeschrittenen politischen Entwickelung mit den praktischen Bedürfnissen des Staats immer enger verknüpft wurden, entwickelte sich jene weitverbreitete religiöse Weltanschauung der gebildeten Kreise, die wir nur als Scheinchristenthum bezeichnen können - im Grunde eine "religiöse Lüge" bedenklichster Art. Die großen Gefahren, welche dieser tiefe Konflikt zwischen der wahren Ueberzeugung und dem falschen Bekenntniß der modernen Scheinchristen mit sich bringt, hat u. A. trefflich Max Nordau geschildert in seinem interessanten Werke: "Die Konventionellen Lüger der Kulturmenschheit" (1883; XII. Auflage 1886).
Inmitten dieser offenkundigen Unwahrhaftigkeit des herrschenden Scheinchristenthums ist es für den Fortschritt der vernunftgemäßen Naturerkenntniß sehr werthvoll, daß dessen mächtigster und entschiedenster Gegner, der Papismus, um die Mitte des 19. Jahrhunderts die alte Maske angeblicher höherer Geistesbildung fortgeworfen und der selbstständigen Wissenschaft als solcher den entscheidenden "Kampf auf Tod oder Leben" angekündigt hat. Es geschah dies in drei bedeutungsvollen Kriegserklärungen gegen die Vernunft, für deren Unzweideutigkeit und Entschiedenheit die moderne Wissenschaft und Kultur dem römischen "Statthalter Christi" nur dankbar sein kann: I. Im Dezember 1854 verkündete der Papst das Dogma von der unbefleckten Empfängniß Mariä. II. Zehn Jahre später, im Dezember 1864, sprach der "heilige Vater" in der berüchtigten Encyklika das absolute Verdammungs-Urtheil über die ganze moderne Civilisation und Geistesbildung aus; in dem begleitenden Syllabus gab er eine Aufzählung und Verfluchung aller einzelnen Vernunftsätze und philosophischen Principien, welche von unserer modernen Wissenschaft als sonnenklare Wahrheit anerkannt sind. III. Endlich setzte sechs Jahre später, am 13. Juli 1870, der streitbare Kirchenfürst im Vatikan seinem Aberwitz die Krone auf, indem er für sich und alle seine Vorgänger in der Papstwürde die Unfehlbarkeit in Anspruch nahm. Dieser Triumpf der römischen Kurie wurde der erstaunten Welt fünf Tage später verkündet, am 18. Juli 1870, an demselben denkwürdigen Tage, an welchem Frankreich den Krieg an Preußen erklärte! Zwei Monate später wurde die weltliche Herrschaft des Papstes infolge dieses Krieges aufgehoben.
Die ganze Geschichte des Papstthums, wie sie durch Tausende von zuverlässigen Quellen und von handgreiflichen historischen Dokumenten unwiderleglich festgenagelt ist, erscheint für den unbefangenen Kenner als ein gewissenloses Gewebe von Lug und Trug, als ein rücksichtsloses Streben nach absoluter Macht, als eine frivole Verleugnung aller der hohen sittlichen Gebote, welche das wahre Christenthum predigt: Menschenliebe und Duldung, Wahrheit und Keuschheit, Armuth und Entsagung. Wenn man die lange Reihe der Päpste und der römischen Kirchenfürsten, aus denen sie gewählt wurden, nach dem Maßstabe der reinen christlichen Moral mustert, ergiebt sich klar, daß die große Mehrzahl derselben schamlose Gaukler und Betrüger waren, viele von ihnen nichtswürdige Verbrecher. Diese allbekannten historischen Thatsachen hindern aber nicht, daß noch heute Millionen von "gebildeten" Katholiken an die "Unfehlbarkeit" dieses "heiligen Vaters" glauben, die er sich selbst zugesprochen hat; sie hindern nicht, daß heute noch protestantische Fürsten nach Rom fahren und den "heiligen Vater" (ihrem gefährlichsten Feinde!) ihre Verehrung bezeugen; sie hindern nicht, daß noch heute im Deutschen Reichstage die Knechte und Helfershelfer dieses "heiligen Gauklers" die Geschicke des Deutschen Volkes bestimmen - dank seiner unglaublichen politischen Unfähigkeit und seiner kritiklosen Gläubigkeit!
Die besonderen Gaben des Geistes und Körpers, durch welche solche "Kinder der Liebe" oft vor gewöhnlichen Menschenkindern sich auszeichneten, wurden damit zugleich theilweise durch Vererbung erklärt. Solche hervorragende "Göttersöhne" standen sowohl im Alterthum als im Mittelalter in hohem Ansehen, während der Moral-Kodex der modernen Civilisation ihnen den Mangel der "legitimen" Eltern als Makel anrechnet. In noch höherem Maße gilt dies von den "Göttertöchtern", obwohl diese armen Mädchen an dem fehlenden Titel ihres Vaters ebenso unschuldig sind. Uebrigens weiß Jeder, der sich an der schönheitsvollen Mythologie des klassischen Alterthums erfreut hat, wie gerade die angeblichen Söhne und Töchter der griechischen und römischen "Götter" sich oft den höchsten Idealen des reinen Menschen-Typus am meisten genähert haben; man denke nur an die große legitime und die noch viel größere illegitime Familie des Göttervaters Zeus u. s. w. (Vgl. auch Shakespeare.)
Was nun speciell die Befruchtung der Jungfrau Maria durch den heiligen Geist betrifft, so werden wir duch das Zeugniß der Evangelien selbst darüber aufgeklärt. Die beiden Evangelisten, welche allein daüber Bericht erstatten, Matthäus und Lukas, erzählen übereinstimmend, daß die jüdische Jungfrau Maria mit dem Zimmermann Joseph verlobt war, aber ohne dessen Mitwirkung schwanger wurde, und zwar durch den "Heiligen Geist". Matthäus sagt ausdrücklich (Kap. 1, Vers 19): "Joseph aber, ihr Mann, war fromm und wollte sie nicht in Schande bringen, gedachte aber sie heimlich zu verlassen"; er wurde erst beschwichtigt, als ihm der "Engel des Herrn" mittheilte: "Was in ihr geboren ist, das ist von dem heiligen Geist." Ausführlicher erzählt Lukas (Kap. 1, Vers 26-38) die "Verkündigung Mariä" durch den Erzengel Gabriel mit den Worten: "Der heilige Geist wird über dich kommen, und die Kraft des Höchsten wird dich überschatten" - worauf Maria antwortet; "Siehe, ich bin des Herrn Magd, mir geschehe, wie du gesagt hast." Bekanntlich ist dieser Besuch des Engels Gabriel und seine Verkündigung von vielen berühmten Malers zum Vorwurf interessanter Gemälde gewählt worden. Svoboda sagt darüber: "Der Erzengel spricht da mit einer Aufrichtigkeit, welche die Malerei zum Glück nicht wiederholen konnte. Es zeigt sich auch in diesem Falle die Veredelung eines prosaischen Bibelstoffes durch die bildende Kunst. Allerdings gab es auch Maler, welche für die embryologischen Betrachtungen des Erzengels Gabriel in ihren Darstellungen volles Verständniß bekundeten."
Wie schon früher angeführt wurde, sind die vier kanonischen Evangelien, welche der von christlichen Kirche allein als die echten anerkannt und als die Grundlagen des Glaubens hochgehalten werden, willkürlich ausgewählt aus einer viel größeren Zahl von Evangelien, deren thatsächliche Angaben sich oft unter sich nicht weniger widersprechen als die Sagen der ersteren. Die Kirchenväter selbst zählen nicht weniger als 40-50 solcher unechter oder apokrypher Evangelien auf; einige davon sind sowohl in griechischer als in lateinischer Sprache vorhanden, so z. B. das Evangelium des Jakobus, des Thomas, des Nikodemus u. A. Die Angaben, welche diese apokryphen Evangelien über das Leben Jesu machen, bsonders über seine Geburt und Kindheit, können ebenso gut (oder größtentheils ebenso wenig!) Anspruch auf historische Glaubwürdigkeit erheben als die vier kanonischen, die sogenannten "echten" Evangelien. Nun findet sich aber in einer jener apokryphen Schriften eine historische Angabe, die wahrscheinlich das "Welträthsel" von der übernatürlichen Empfängniß und Geburt Christi ganz einfach und natürlich löst. Jener Geschichtsschreiber erzählt mit trockenen Worten in einem Satze die merkwürdige Novelle, welche diese Lösung enthält: "Josephus Pandera, der römische Hauptmann einer kalabresischen Legion, welche in Judäa stand, verführte Mirjam von Bethlehem, ein hebräisches Mädchen und wurde der Vater von Jesus." (Vergl. Celsus, 178 n. Chr.)
Natürlich werden diese historischen Angaben von den officiellen Theologen sorgfältig verschwiegen, da sie schlecht zu dem traditionellen Mythus passen und den Schleier von dessen Geheimniß in sehr einfacher und natürlicher Weise lüften. Um so mehr ist es gutes Recht der objektiven Wahrheitsforschung und heilige Pflicht der reinen Vernunft, diese wichtigen Angaben kritisch zu prüfen. Da ergiebt sich denn, daß dieselben sicher weit mehr Anrecht auf Glaubwürdigkeit haben, als alle anderen Behauptungen über den Ursprung Christi. Da wir seine Parthenogenesis, die übernatürliche Erzeugung durch "Ueberschattung des Höchsten", aus den bekannten wissenschaftlichen Principien überhaupt als reinen Mythus ablehnen müssen, bleibt nur noch die weitverbreitete Behauptung der modernen "rationellen Theologie" übrig, daß der jüdische Zimmermann Joseph der wahre Vater von Christus gewesen sei. Diese Annahme wird aber durch verschiedene Sätze des Evangeliums ausdrücklich wiederlegt; Christus selbst war überzeugt, "Gottes Sohn" zu sein, und hat niemals seinen Stiefvater Joseph als seinen Erzeuger anerkannt. Joseph aber wollte seine Braut Maria verlassen, als er entdeckte, daß sie ohne sein Zuthun schwanger geworden war. Er gab diese Absicht erst auf, nachdem ihm im Traum ein "Engel des Herrn" erschienen war und ihn beschwichtigt hatte. Wie im ersten Kapitel des Evangeliums Matthäi (Vers 24, 25) ausdrücklich hervorgehoben wird, fand die sexuelle Verbindung von Joseph und Maria zum ersten Male statt, nachdem Jesus geboren war.
Die Angabe der alten apokryphen Schriften, daß der römische Hauptmann Pandera oder Pantheras der wahre Vater von Christus gewesen, erscheint um so glaubhafter, wenn man von streng anthropologischen Gesichtspunkten aus die Person Christi kritisch prüft. Gewöhnlich wird derselbe als reiner Jude betrachtet. Allein gerade die Charakter-Züge, die seine hohe und edle Persönlichkeit besonders auszeichnen und welche seiner "Religion der Liebe" den Stempel aufdrücken, sind entschieden nicht semitisch; vielmehr erscheinen sie als Grundzüge der höheren arischen Rasse und vor allem ihres edelsten Zweiges, der Hellenen. Nun deutet aber der Name von Christus' wahrem Vater: "Pandera", unzweifelhaft auf hellenischen Ursprung; in einer Handschrift wird er sogar "Pandora" geschrieben. Pandora war aber bekanntlich nach der griechischen Sage die erste, von Vulkan aus Erde gebildete und von den Göttern mit allen Liebreizen ausgestattete Frau, welche Epimetheus heirathete, und welche der Götter-Vater mit der schrecklichen, alle Uebel enthaltenden "Pandora-Büchse" zu den Menschen schickte, zur Strafe dafür, daß der Lichtbringer Prometheus das göttliche Feuer (der "Vernunft"!) vom Himmel entwendet hatte.
Interessant ist übrigens die verschiedene Auffassung und Beurtheilung, welche der Liebesroman der Mirjam von Seiten der vier großen christlichen Kultur-Nationen Europa's erfahren hat. Nach den strengeren Moral-Begriffen der germanischen Rassen wird derselbe schlechtweg verworfen; lieber glaubt der ehrliche Deutsche und der prüde Brite blind an die unmögliche Sage von der Erzeugung durch den "heiligen Geist". Wie bekannt, entspricht diese strenge, sorgfältig zur Schau getragene Prüderie der feineren Gesellschaft (besonders in England!) keineswegs dem wahren Zustande der sexuellen Sittlichkeit in dem dortigen "High life". Die Enthüllungen z. B., welche darüber vor einem Dutzend Jahren die "Pall Mall Gazette" brachte, erinnerten sehr an die Zustände von Babylon und an das Rom der Kaiserzeit.
Die romanischen Rassen, welche diese Prüderie verlachen und die sexuellen Verhältnisse leichtfertiger beurtheilen, finden jenen "Roman der Maria" recht anziehend, und der besondere Kultus, dessen gerade in Frankreich und Italien "Unsere liebe Frau" sich erfreut, ist oft in merkwürdiger Naivetät mit jener Liebesgeschichte verknüft. So finden z. B. Paul de Regla (Dr. Desjardin), welcher (1894) "Jesus von Nazareth vom wissenschaftlichen, geschichtlichen und gesellschaftlichen Standpunkte aus dargestellt" hat, gerade in der unehelichen Geburt Christi ein besonderes "Anrecht auf den Heiligenschein, der seine herrliche Gestalt umstrahlt"!
Es erschien mir nothwendig, diese wichtigen Fragen der Christus-Forschung hier offen im Sinne der objektiven Geschichts-Wissenschaft zu beleuchten, weil die streitende Kirche selbst darauf das größte Gewicht legt, und weil sie den darauf gegründeten Wunderglauben als stärkste Waffe gegen die moderne Weltanschauung verwendet. Der hohe ethische Werth des ursprünglichen reinen Christenthums, der veredelnde Einfluß diese "Religion der Liebe" auf die Kulturgeschichte, ist ganz unabhängig von jenen mythologischen Dogmen. Die angeblichen "Offenbarungen", auf welche sich diese Mythen stützen, sind dagegen unvereinbar mit den sichersten Ergebnissen unserer modernen Naturerkenntniß.